Europa zu Gast in meinem Haus
Hauptsächlich eine Beschreibung des europäischen Trainings, welches hier in meiner Organisation beherbergt wurde.
Ich melde mich heute aus dem Innenhof des Zentrums, um die Zeit, die ich mit dem Schreiben des Blogs verwende, gleichzeitig auch noch zum Absorbieren der Sonnenenergie zu nutzen. Ich muss feststellen, dass die Sonne auf Zypern nach wie vor noch sehr viel Kraft hat und ich bin gespannt, ob ich am Ende einen Sonnenbrand davon tragen werde oder nicht.
Doch ich will euch nicht also eifersüchtig stimmen. Ich muss eingestehen, dass auch der Sommer auf Zypern nicht ewig ist! Die Temperaturen tagsüber übertreffen zwar immer noch das, was ich diesen Sommer in Deutschland erlebt habe, aber abends kühlt es sich merklich ab und erste Befürchtungen, dass ich nicht gut genug ausgerüstet bin für das was noch kommt, nehmen Gestalt an. Da es, auch tagsüber, aufgrund der südeuropäischen Architektur ziemlich kühl im Haus ist, war meine erste Maßnahme ein Hilferuf an meine Familie mit der Bitte mir doch ein paar mehr Socken, vor allem die selbstgestrickten von Oma, und meine Hausschuhe hinterher zu schicken. Desweiteren auch den Yogitee aus unserem Bioladen, denn mit Frappe ist für mich nun Schluss! Ich habe mich in den Geschäften hier auch schon nach einer Jacke umgesehen, denn die musste aufgrund von Gewichtsbeschränkungen erst mal in Deutschland bleiben. Gekauft habe ich letztendlich allerdings einen kurzen Rock, zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich schon überall nach so einem Ausschau gehalten habe, nachdem ich ihn bei einer Frau auf der Hochzeit vor 2 Wochen gesehen habe.
Doch jetzt zum eigentlichen Thema dieses Beitrags.
Letzte Woche Freitag sind 20 hochmotivierte Europäer allem Alters nach Nikosia gereist um teilzunehmen an einem Training im Rahmen des "Youth in Action" Programms. Die vertretenen Nationalitäten waren Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Italien, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Lettland, Serbien, Zypern und durch mich dann auch Deutschland. Motto des Trainings unter dem Namen "DayCul" war "Think daily - Act interculturally" und Thema, wie man es mehr oder weniger aus dem Motto ersehen kann, Kultur im Alltag und interkulturelles Lernen. Unbedingt zu erwähnen ist, dass während des gesamten Trainings nur "non-formal" (mir fällt keine passende deutsche Übersetzung ein) Lern- und Lehrmethoden angewandt wurden, das heißt der Fokus lag darauf, die Teilnehmer alles selbst erarbeiten zu lassen. Dieser Prozess fand in der Regel mit Hilfe von unterhaltsamen Aktivitäten (Kartenspiel mit uneindeutigen Regel ohne Kommunikation, Tanzen mit verbundenen Augen, Teambuilding im trockenen Fluss von Nikosia, die bödesten Aufwärmspiele überhaupt...), vielen Diskussionen und persönlichem Teilhabenlassen an der eigenen Person (oder einfach "sharing" auf Englisch) statt.
Im Laufe dieses Trainings habe ich "Photovoice" als neues Medium kennengelernt, mit dem man ein Thema oder eine Nachricht ausdrücken kann. Wir waren in kleinen Gruppen in einem Dorf und hatten dort die Aufgabe Fotos zu machen, die die alltägliche Kultur dort festhalten.
An dem freien Nachmittag während des Trainings sind wir in das Troodos Gebirge gefahren. Wir haben einen Bus samt Fahrer gemietet, der uns auf den Gipfel des Olympos gebracht hat. Ganz der Gipfel war es allerdings nicht, weil dieser unzugänglich ist, denn dort befindet sich eine britische Radarstation der Royal Air Force.
Der Plan war, dass wir den dortigen Rundwanderweg besichtigen und nach einer Stunde wieder aufbrechen um eines der Bergdörfer besuchen. "Wir" waren in diesem 15 der Teilnehmer, die sich entschieden haben an diesem Ausflug teilzunehmen, 15 Ortsunkundige (fast) komplett ohne Griechischkenntnisse (ausgenommen meiner bescheidener Kenntnisse nach einem Monat Unterricht) und der Busfahrer, der leider zu der Minderheit in Zypern zählte, die kein Englisch spricht. Eine Zusammensetzung mit viel Problempotential. Der Busfahrer wurde vor der Abfahrt von Panayiotis noch über den Ablauf des Nachmittags informiert (einstündige Wanderung auf dem Olympos, dann Fahrt nach Kakopetria für einen weiteren anderthalbstündigen Aufenthalt im Bergdorf) und dann ging es los. Und wie man aufgrund meiner Beschreibung wahrscheinlich schon vermuten kann, kam es wie es kommen mussste: Niemand hat uns gesagt, wie lange es dauert auf dem Rundwanderweg zu wandern, bis wir wieder am Startpunkt sind. Panayiotis Idee war, dass wir eine halbe Stunde wandern und dann wieder umkehren um die zweite halbe Stunde zurückzuwandern. Diese Idee hat er allerdings so nicht eindeutig geäußert. Die Gruppe hat also stumm entschieden, den ganzen Weg zu wandern und so kam der Moment, in dem eine Stunde vorüber war, wir aber ganz eindeutig nicht in der Nähe des Busses waren. Den nicht ganz Orientierungslosen war schon vorher aufgefallen, dass wir der Richtung nach zu urteilen noch lange nicht bald wieder zurück sein können. Nach einer Stunde wieder umzukehren schien dann keine gute Lösung mehr zu sein, also wurde weitergewandert, in angezogenem Tempo, was angesichts des steinigen und daher etwas unwegsamen Geländes dazu führte, dass jeder damit beschäftigt war auf die eigenen Schritte zu achten und wir die atemberaubende Natur so mit Sicherheit nicht gebührend würdigen konnten. Die Angst, dass der Busfahrer den Plan gnadenlos auch ohne Passagiere verfolgt und uns zurücklässt, so absurd das auch klingen mag, wenn man diese Worte zuhause vor dem Computer liest, war allgegenwärtig. Ebenso die Furcht vor der einbrechenden Dunkelheit, die uns ein Weiterkommen ohne irgendeine Art von Lichtquelle (ausgenommen die Displaybeleuchtung des Handys oder vielleicht sogar eine Taschenlampen-App) auf dem teilweise auch nicht ungefährlichen, weil schmalen, mit Geröll übersäten, Weg sehr erschwert hätte. Die Unwissenheit, wie lange der Rundwanderweg denn nun letztendlich sein wird, machte es natürlich auch nicht besser. Positiv hervorheben möchte ich nun aber, dass niemand in der Gruppe diese Gedanken, die wir sicher alle still teilten, laut ausschmückte und somit Panik verbreitete.
Pünktlich zum (wunderhübschen) Sonnenuntergang erreichten wir nach 2 Stunden dann endlich den Bus, und benötigten für die 7 km (wie ich später herausfand) eine halbe Stunde weniger als für die Route üblich, was wie ich denke eine Menge über die Art und Weise, wie wir dem Wanderweg begegnet sind, aussagt. Vor allem, weil wir den ersten Teil (bis zur Erkenntnis, dass wir in einer Stunde nicht zurück sein würden) sehr gemächlich und mit kleinen Pausen bewandert haben.
Das restliche Training verlief weniger abenteuerlich, aber nicht weniger interessant und ereignisreich, aber hier über alles zu berichten, würde den Rahmen sprengen.
Am Ende stand ein sehr emotionaler Abschied, der den Eindruck vermittelte, dass es für alle eine tolle Zeit war und natürlich wollen alle in Kontakt bleiben. Für mich ist das leider ein fast unmögliches Versprechen, aber man kann es ja immer wieder mal versuchen. Ich habe schon das Gefühl, dass ich mich öfter bei meinen Lieben zuhause melden sollte. Da werden die Bekanntschaften eines 6-tägigen Trainings natürlich erst mal zurückgestellt.
Jetzt sind alle wieder in ihrer Heimat und ich kann mein EVS Alltag wieder aufnehmen.
Zur Zeit findet in der Altstadt, allerdings ziemlich versteckt, ein brasilianisches Filmfestival statt, in einem sehr beeindruckenden Haus. Der Film gestern hieß "4 days in September" war sehr beeindruckend. Er handelte von einer Widerstandsgruppe zu Zeiten der Diktatur in Brasilien, die den amerikanischen Botschafter kidnappt, um ihre Stimme so öffentlich zu machen. Wenn es sich einrichten lässt, möchte ich die nächsten da unbedingt wieder hin, um die anderen Filme zu gucken. Nach dem Film gestern waren wir dann noch in einer Bar, die die merkwürdigsten Biere aus den USA und Belgien anbietet. Die hatten da auch eins mit 32% Alkoholgehalt, ich möchte gar nicht wissen wie teuer das ist, wenn mein Cider schon 5 € kostet...
Ach, und dann war gestern noch "Ochi-Tag". "Ochi" ist Griechisch für "nein". Am "Ochi-Tag" feiern die Zyprioten das "Nein" der Griechen an die Italiener, als diese Militärstützpunkte in Griechenland während des 2. Weltkriegs aufbauen wollten. Hier wird der Feiertag (keine Arbeit heute) mit einer riesengroßen Parade begangen, an der alle Unis, Schulen und sonstige Vereine ihre besten Schüler etc. aufmarschieren lassen, und zwar wirklich marschieren! In Uniform, mit Fahnen, begleitet von Blasmusik und Trommeln, alle im Gleichschritt mit übertriebenen Armbewegungen dazu. Für die Auserwählten ist es jedoch eine Ehre und die Eltern am Straßenrand sind natürlich unglaublich stolz, wenn der Nachwuchs vorbeimarschiert. So war gestern tatsächlich ganz Nikosia auf den Beinen um dieser Parade zuzusehen. Ich habe hier noch nie so viele Menschen auf einmal auf der Straße gesehen, und damit meine ich zu Fuß, ohne Auto. Nach der Parade ist es üblich, dass die Kinder und Jugendlichen zusammen mit ihren Freunden durch die Stadt ziehen. Das durfte ich dann auch live miterleben, als ich nachmittags shoppen wollte... ein Gewühle aus jungen Leuten, wie ich es hier noch nicht gesehen habe!