Europa braucht uns!
Wenige Tage nach der Wahl stellt sich die drängende Frage: Wer unterstützt die europäische Idee? Braucht Europa uns?
Rund 27 Prozent der Stimmen am Sonntag gingen an Populisten und Extremisten - die Wahlergebnisse sind schockierend, der EU fehlt es an öffentlichem Rückhalt.
In United Kingdom gehört die Forderung nach dem Austritt aus der EU zum guten Ton.
Einer der führenden Köpfe der UKIP, einer europakritischen Partei in Großbritannien, die den Austritt aus der Union fordert, gab am Wahlabend zu Protokoll: "The penny's really dropped that as members of this union we cannot run our own country and crucially, we cannot control our own borders."
David Cameron, britischer Premierminister, sprach davon, dass die Briten "disillusioned" seien und die Botschaft der Wahl sei "received and understood". Was meint der konservative Politiker damit? Wird damit ein Austritt begründet?
Die Unionsgegner erfahren im Moment große Zustimmung, ein Austritt nach dem geplanten Referendum 2017 wird wahrscheinlicher.
David Cameron muss an dieser Stelle öffentlich korrigiert werden - es ist eine Illusion zu glauben, man könnte sich den (supranationalen) Herausforderungen (Klimawandel, Terrorismus, Staatsverschuldung, Datenschutz im digitalen Zeitalter etc.) alleine begegnen.
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident - nach den Gräueln des Krieges und inmitten der ersten Annäherungsversuche nach denen das Undenkbare geschehen ist - hat Europas Herkunft metaphorisch definiert: "Europa ist auf drei Hügeln erbaut – auf der Akropolis von Athen, auf dem Kapitol in Rom und auf Golgotha." Damit spielt der FDP-Politiker auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die christlich-jüdische Identität unsere Kultur an.
Zur vollständigen Definition gehört aber auch: zu Europa gehören nicht nur Hügel - sondern auch Flüsse. Was wäre Europa im 21. Jahrhundert ohne die Themse, die Seine oder die Spree? Die Insel war während der Epoche der Aufklärung Heimat vieler Liberalen; was wäre Europa ohne Männer wie John Locke oder Adam Smith?
Die Wahrheit ist, dass man Freunde braucht. Europas Nationen sind solche Freunde, auf sie ist in schlechten Zeiten verlass, man hilft sich aus, ist für "einander" da. Kein Land, kein Staat und keine Nation hätte die Weltwirtschaftskrise 2007 alleine überwinden können; die Krise 1929 war auch deshalb so gravierend, weil auf Zusammenarbeit und Kooperation aus Nationalstolz verzichtet worden ist. Anstatt die Märkte zu beruhigen, zwang man Deutschland mit Bruenigs Austeritätspolitik in den Abgrund. Ein Engländer hat dieses vorhergesehen - John Maynard Keynes. Was würde er heute wohl zu Europa sagen? Schliesslich waren es doch seine Ideen, die uns 2007 vor dem Kollaps gerettet haben. Wir dürfen mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Keynes den Einigungs- und Integrationsprozess Europas befürwortet.
Europa braucht seine Mitglieder - starke wie schwache. Europa braucht Mahner und Kritiker, Europa braucht Bannerträger genauso wie es Bedenkenträger braucht. Europa braucht engagierte Bürger, Zupacker und Gestalter. Was Europa nicht braucht, sind Extremisten und Populisten. Kritik muss konstruktiv sein, Kritik muss Dinge zum Besseren verändern. Was Europa nicht braucht, sind Zögerer und Verweigerer. Europa ist ein Projekt des Volkes – nicht der Eliten. Europa braucht seine Bürger – nur so kann es auch in Zukunft bestehen.
Das neue Parlament hat auch deshalb Sorge zu tragen, dass Englands (berechtigte) Kritikpunkte konstruktiv im Integrationsprozess berücksichtigt werden. Extremistische und populistische Strömungen sind gefährlich - sie stellen unsere Werte und unsere Entscheidungen in Frage, sie verneinen Pluralität und Vielfalt. Aber ist nicht gerade das unser Motto? In Vielfalt vereint - nicht nur heute, sondern bitte auch noch morgen.