Erst Ankunft, dann Wiederkehr, dann Abschied… und dann wieder Ankunft
Die Rückkehr nach Moldawien bring Lockenjule zum Nachdenken. Der Besuch bei ihrer Familie war schön, aber ebenso freut sie sich auf die Zeit, die vor ihr liegt. Und sie hat viele Pläne.
2. Januar, 6:48 Uhr.
Ich sitze im Zug nach Frankfurt, um am dortigen das Flugzeug nach Chisinau zu besteigen. Ein komisches Gefühl. Genauso komisch wie bei der Rückkehr - oder besser ‚Ankunft‘ - nach Berlin. Was hatte sich geändert, nach dreieinhalb Monaten Moldawien? Ein anderer Freiwilliger, der bereits in Berlin ‚Heimaturlaub‘ gemacht hatte, prophezeite mir: Nichts hat sich geändert. Kann ich so nicht unterschreiben. Was sich nicht geändert hat, ist Berlin. Ach doch, der Bahnhof ‚Unter den Linden‘ heißt jetzt ,Brandenburger Tor‘. Und es gibt neue Baustellen. Aber im Wesentlichen ist die Stadt genauso dieselbe wie im Sommer, nur mit Schnee bedeckt. Allerdings sind mir mehr Dinge aufgefallen, als ich jetzt zurückkam. Die Internationalität der Stadt zum Beispiel. Früher habe ich nie darauf geachtet, in wie vielen Sprachen man sich um mich herum in der U-Bahn über die BVG aufregt. Früher habe ich nie darauf geachtet, wie viele türkische und russische Zeitungen verkauft werden. Und wie viele Hotels es in der Innenstadt gibt. Wie viel von Berlin für mich fremdes, selten oder nie besuchtes Gebiet ist.
Ein wenig fremd fühlte ich mich auch, als ich am 21. Dezmber 2009 endlich in Berlin ankam. ‚Endlich‘, weil sich auch die enorme Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn nicht geändert hat, und ich von Frankfurt bis Berlin fast einen Tag gebraucht habe. Als ich nun also die S-Bahn Richtung August-Siebke-Straße bestieg, wollte ich eher nicht gesehen werden und vor allem keinen treffen. Irgendwie war ich immer noch ‚weg‘. Denn theoretisch war ich ja in Berlin nur im Urlaub, mein eigentliches Zuhause war ein Zimmer bei der dicken Mutter in Moldawien. Die ersten fünf Tage hielt dieses Urlaubsgefühl auch noch an, diese Verwirrung darüber, dass sich die heimatlichen Gefühle kaum einstellen wollen. Erst in der zweiten Woche war ich wieder richtig zuhause angekommen. Und dann, jetzt, geht’s schon wieder zurück nach Moldawien. Oder, wie mein Bruder es gestern Abend formulierte: „Jetzt hab ich mich schon wieder so an dich gewöhnt, und jetzt bist du schon gleich wieder weg… das find ich ganz dolle doof.“
Warum hat es sich dann aber gelohnt, zwei Wochen nach Hause zu kommen, mag man sich fragen. Zum einen, um bei seiner Familie nicht völlig in Vergessenheit zu geraten. Zuhause, wo strenger Schul- und Arbeitsalltag herrschen, vergeht die Zeit nämlich wie im Flug. Und die große Begrüßungseuphorie, wie man sich es im Vornherein tausendmal vorgestellt hat, gibt es gar nicht. Man ist einfach auf einmal wieder da. Natürlich, alle freuen sich, alle drücken dich, und insbesondere alle Großeltern wollen in den zwei Wochen so viel wie möglich mit dir machen.
Auch in familiären Kreisen hat sich einiges geändert. Mein Vater hat seit Herbst beschlossen, sich jetzt von Grund auf gesund zu ernähren, und verwirrt damit den Rest der Familie. Wer hätte auch je gedacht, dass Papa jemals Mamas und mein ‚Vogelfutter‘ (Müsli) und ‚Kommissbrot‘ (Vollkornbrot), wie er früher zu sagen pflegte, anrühren würde. Ja, sogar jeden morgen freiwillig essen würde. Auch wurde ich von ihm mit mehr Interesse und Respekt behandelt, als ich es in den letzten fünf Jahren erlebt habe. Zudem hat sich erwartungsgemäß die Körpergröße meines Bruders geändert, wenn auch zu seinem großen Bedauern nicht so rasant wie bei den anderen Jungs seiner Klasse. Im Geiste ist er aber immer noch derselbe, und kuschelt (pssst, nicht verraten) immer noch genauso gern wie vor drei Monaten. Eine Tatsache, die mich als ausgeprägte Glucken-Schwester natürlich sehr beruhigt.
Dann wird das in aufgerundet drei Monaten (wenn die werte Familie mich besuchen kommt) auch noch nicht anders sein.
Ebenfalls beruhigend konnte ich feststellen, dass meine Mama immer noch dieselbe geblieben ist, im positivsten Sinne. Somit werde ich auch die nächsten zehn Jahre, egal wie oft oder selten ich zwischendurch nach Haus komme oder zu Haus wohne, Mamis kleine Mausi sein. Mit diesen beruhigenden Gedanken fällt es mir jetzt ein wenig leichter, mich wieder für soooo viele Tage von meiner Familie zu trennen.
Natürlich war ich auch wegen meiner Freunde und dem Freundschaftserhalt an sich hier. Hach war das schön, alle mal wieder zusehen. Nun, ‚alle‘ stimmt nicht, aber es können sich nun mal nicht alle Freundschaften halten. Und es werden auch noch weniger werden, aber naja, so ist das Leben. Hoch interessant, welche Wege alle die gegangen sind, mit denen ich einst am selben Punkt losgegangen bin… und eigenartig, dass man sich mit einigen sofort wieder so gut versteht, als wäre eine Woche oder weniger vergangen. Hoffentlich bliebt das auch so, hoffentlich ist es im Sommer noch so. Bitte, meine Lieben, entwickelt Euch weiterhin in die Richtung, die ihr im Herbst eingeschlagen habt.
Ein letzter Grund, warum ich nach Hause gekommen bin… nirgendwo anders werden die Feiertage wohl so intensiv praktiziert wie in Deutschland. Nirgendwo frisst man sich so voll (fast jeden Tag Fleisch, hach welch Wohltat nach über drei Monaten Entzug), nirgendwo beschenkt man sich so viel. Und Silvester wird in Berlin gefeiert, dass sehe selbst ich so, die ich doch sonst überhaupt keine Lokalpatriotin bin. Und dann hatte ich ja auch noch Geburtstag… ein weiterer Grund zum Feiern. Und zum reich beschenkt werden. Reich im wahrsten Sinne des Wortes, denn jetzt kann ich mir einige Kurzreisen in Länder um Moldawien leisten. Juchuhh! Meine Freude wird allerdings genau jetzt, in diesem Moment wieder gehemmt, da gerade die Zugdurchsage kommt, dass sich die Weiterfahrt aufgrund eines XY-Problems auf unbestimmte Zeit verzögert. Sch****.
Aha, es geht weiter, sehr zögerlich allerdings. Na, der Zug spiegelt ja so ziemlich meine Gedankenwelt wieder. Natürlich freue ich mich, die Freiwilligen wieder zu sehen, insbesondere natürlich meine Mitbewohnerin. Und jetzt weiß ich ja auch, wer und was mich in Moldawien erwartet. Und jetzt weiß ich ja auch, dass sich Familienidyll und Freundschaften halten werden. Aber trotzdem… eine gewisse sehnsüchtige Melancholie steigt schon wieder in mir auf. Insbesondere bezüglich meiner Familie. Was bin ich doch nur für ein Nesthäkchen. Das wird sich auch nie ändern, ‚Abnabelungsprozess‘ hin oder her. Aber ich nehme mir vor, die nächsten zwei Monate und äääähhh ca. drei Wochen weniger Zeit zum Nachdenken, zum Grübeln zu haben.
Erstes Großprojekt: Endlich Internet in unsere Wohnung bekommen! Zweites Groß- und Dauerprojekt: Reisen! Wenn folgende schnell entstandene Ideen tatsächlich Realität werden, dann: Im Januar nach Odessa mit Rosi oder einer anderen Freiwilligen, im Februar mit Laura nach Bukarest, im März mit Marie nach Zagreb, im April mit Familie durch die Gegend, im Mai mit Ingrid (Freiwillige) nach Istanbul, im Juni mit X nach Kiev, Ende Juni die Segel streichen und durch die diverse besuchswürdige Städte in Richtung Heimat. Gern auch zwischendurch noch nach Jasch (Rumänien) und Georgien.
Um auch die anderen Pläne gleich noch schriftlich zu fixieren (das soll ja bekanntlich die tatsächliche Umsetzung vorantreiben): Ein Faschingsfest im Projekt gestalten, unter Umständen irgendwann mit dem Tanzunterricht aufhören und die Kids stattdessen anders beschäftigen (dafür aber einem örtlichen Fitnessstudio betreten), meine Koch- und Strickkenntnisse erweitern, noch mehr Orte in Moldawien besuchen, mein Russisch und Rumänisch auf ein halbwegs ansehnliches Level hinaufbefördern, erste Lektionen in Altgriechisch bekommen. So, nun wisst ihr schon mal Bescheid.
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