Einstimmung in Olsztyn
Alle Septemberfreiwilligen sind angekommen und an unserem zweiten Wochenende haben wir uns schon in unseren Wohnungen und im Alltag eingerichtet.
Seit zwei Wochen bin ich nun in Olsztyn und inzwischen sind alle Freiwilligen für diesen Monat angekommen. Bis im Oktober noch einige Italiener kommen, sind wir eine rein deutsche Gruppe, aber glücklicherweise haben wir schon sehr viele Polen kennengelernt.
Olsztyn ist dank der Universität eine sehr junge Stadt. Allerdings ist das Studentenviertel etwas außerhalb, im Kortowe. Dort haben wir noch ein sehr sonniges Wochenende verbracht, bevor das Wetter nun in ein beständiges Grau gewechselt ist. Doch glücklicherweise wohnen wir sehr nahe der Altstadt, die auch wirklich mit Geschäften belebt ist – also nicht nur eine Sehenswürdigkeit für die täglich erscheinenden deutschen Rentnergruppen.
Wir Mädchen werden zu acht in zwei Wohnungen wohnen. Für je vier Leute gibt es zwei Schlafzimmer, aber noch haben Laura und ich uns oben so aufgeteilt, dass jede ein Zimmer für sich hat. Beide Wohnungen sind frisch renoviert und die obere hat sogar zwei Badezimmer – dafür ist unten die Küche für die gemütlichen Stunden. Mit Fotos, Vokabelzetteln und den ersten Großeinkäufen wird es so langsam wohnlich. Wenn Nachttischlampen, Regale und Haken fehlen, merkt man erst, dass man sie braucht. Trotzdem haben wir es viel besser als die Jungs, die sich ein Internatszimmer teilen müssen, inklusive rund-um-die-Uhr-Pförtner-Überwachung. Unsere Vermieterin ist bisher sehr freundlich und da sie aus Deutschland kommt, können wir ihr ohne sprachliche Probleme erklären, was uns noch fehlt (Glühbirnen im Bad, kaputte Kühlschranktür…) – leider bedeutet das nicht unbedingt, dass sie das auch umsetzt.
Im Archiv arbeite ich nun seit anderthalb Wochen und weiß bereits, dass sich an meinen Aufgaben nicht viel ändern wird. Ich habe nach einem zwanzigminütigen Spaziergang durch die Altstadt einen entspannten Arbeitstag von neun bis 15 Uhr. Das Archiwum Panstwowe hat die Bestände des alten Königsberger Archivs übernommen, ein Großteil der fünf Kilometer Akten ist also auf Deutsch.
Deshalb werden auch immer wieder Freiwillige mit Deutschkenntnissen gebraucht: Das alte, maschinengeschriebene Inventar soll digitalisiert und überprüft werden. Ich komme morgens also an und widme mich ein paar Stunden lang Papierstapeln aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Im alten Inventar sind viele Fehler, aber die Mitarbeiter waren überrascht, dass mir diese Aufgabe als Muttersprachlerin trotzdem nicht leicht fällt. Doch selbst das schlimmste Lehrertafelbild ist besser lesbar als ausgebleichte Handschriften in kunstvollen Bögen des 19. Jahrhunderts. Meine zweite Aufgabe besteht ebenfalls im Archivieren: Der gesamte Bestand soll auch eingescannt vorliegen. Dazu sitze ich an einem großen Tisch in einem abgedunkelten Raum und fotografiere Seite um Seite ab. Ich war schon ein bisschen entsetzt, als mir gleich am ersten Tag verkündet wurde, dass jegliche Arbeit im Archiv nur langweilig und monoton ist. Ich will ja keine Ansprüche an ein Beschäftigungsprogramm stellen, aber ein bisschen Abwechslung hätte ich schon erwartet. Ich versuche nun das Beste draus zu machen: Meine Arbeit ist insoweit sinnvoll, dass sie den anderen Mitarbeitern viele Stunden einspart, ich lerne vielleicht irgendwann die alten Handschriften zu entziffern und suche in den alten Dokumenten nach Geschichten. Die Register vom Standesamt in Mohrungen sind wirklich deprimierend; in den 1880er Jahren betreffen fast alle Einträge im Sterberegister Kinder unter sechs Jahren. Man sieht auch sehr schön die wechselvolle Geschichte dieser Region an den Beschriftungen: vom königlich-preußischen Archiv zum Königsberger Archiv bis zu den dritten Stempel vom heutigen polnischen Archiv.
Das Einzige was mir dabei ein bisschen Sorgen macht, ist, dass ich so kaum Polnisch lernen werde. Zu Hause sprechen wir bisher eh nur Deutsch und auf der Arbeit wird abgesehen von den Pausen nur geschwiegen. Bei beiden Aufgaben teile ich mir das Büro jeweils mit einer älteren Mitarbeiterin, die keinerlei Fremdsprachen beherrschen, aber man muss sich trotzdem zu sehr konzentrieren, um ein Gespräch (und dann auch noch auf Polnisch zu führen).
Ich setze also große Hoffnungen auf das SprachCafé. Die letzten Freiwilligen haben in der Bibliothek vom Planetarium Deutsch-Konservationsstunden angeboten – und im Gegenzug mit ihren Partnern Polnisch gelernt. Obwohl wir noch gar nicht offiziell angefragt haben, haben wir schon einige Interessierte von der sprachlichen Gegenseite. Durch zwei andere EVSler, Irina und Adnan, haben wir die lokalen Couchsurfing-Gastgeber kennengelernt. Die Polen sind wirklich sehr offen und in Olsztyn gibt es dank des Uni-Austauschsprogramms für Medizin viele Ausländer. Bei den schon zahlreichen multinationalen Treffen (bisher versammelt: Frankreich, Türkei, Russland, Taiwan) wird bisher auf Englisch kommuniziert, was sich hoffentlich langfristig in Polnisch ändert. Unser offizieller Sprachkurs von Borussia fängt erst nächsten Monat an, wenn alle Freiwilligen da sind. Dann gibt es auch das erste Mentorentreffen, obwohl wir uns inoffiziell schon kennengelernt haben. Bisher habe ich von allen einen positiven Eindruck und wir werden auch gut versorgt, was die formellen Sachen wie Bankkonto eröffnen angeht. Dass wir unsere Bankkarten immer noch nicht erhalten haben, liegt wohl eher an der Bank…
Da keiner von uns eine besonders lange oder anstrengende Arbeit hat, haben wir viel Freizeit, die sich hoffentlich bald füllt. Es gibt ein Kulturzentrum für verschiedene künstlerische und dramatische Angebote; als Sport sind der Werbung nach zu urteilen, ungewöhnliche Kampfsportarten wie Krav maga sehr beliebt und eine Disco ist sogar in der Burganlage.
Alles in allem bin ich noch in der freudigen Anfangsphase und sehr glücklich mit dem Land, in dem ich gelandet bin. Außerdem bin ich froh, mit anderen EVSlern zusammen zu wohnen, die alle Polen als Ziel mehr oder weniger aus bewusstem Interesse gewählt haben.