Einiges
Das Wetter macht was es will, wechselt stetig wie die Tage auf der Arbeit, bringt das kulturelle Bewusstsein der Esten hervor und wenn dann mal die Sonne scheint, dann feiern die Menschen hier draußen den 98. Jubiliäumstag ihrer blau-schwarz-weißen Republik.
Mit den Minusgraden sind auch die anstrengenden Tage auf der Arbeit vergangen. Innerhalb von fünf Tagen wurde es um 20°C wärmer und auch nicht mehr wirklich kälter seit nun fast einem Monat. Momentan hält es sich so bei 1°C. Davon reden, dass der Winter wirklich vorbei ist, traut sich dennoch keiner so wirklich, wenngleich man Veränderungen sehen kann. So klarte zum Beispiel der Himmel etwas auf und ließ keinen Platz mehr für drückendes Grau auf das Gemüt der hier lebenden Menschen. Allerdings schneit es immer wieder für mich volkommen unerwartet, dabei müsste man meinen, ich sei mittlerweile doch an dieses Wetter gewöhnt. Nun ja, zwei Tage Sonne und strahlend blauem Himmel, der Schnee verschwindet von den Straßen, Gehwegen und Wiesen, die Blumen beginnen sich zu zeigen und dann schneit es wieder zwei Tage, als hätte Frau Holle auch nur mal ein schönes Picknick bei dem schönen Wetter gemacht und nun sich wieder ihrer Betten besinnt. Da der Schnee vorher allerdings auf den Bäumen auch zu schmelzen begann, verwandelt sich der Schnee auf den Wegen und den Straßen in gefährliches Eis, denn das Wasser tropft stetig auf den neuen Schnee.
Die Arbeitswoche nach dem Midterm-Seminar war meine anstrengendste bisher. Ich hatte 12 Tage am Stück gearbeitet und dann kamen die jährlichen Gespräche mit den Eltern der Klienten, die meine Kollegen und meine Tutorin führten, während ich die Aktivitäten mit den Klienten machte. Die Gespräche fanden an zwei Tagen in dieser Woche statt und an zwei weiteren Tagen in dieser Woche gab es zusätzlich noch eine Fortbildung für einige meiner Kollegen, so dass ich mit nur einer Kollegin und insgesamt drei Stunden mehr pro Tag mein Bestes gab. Alle sagten, dass ich wirklich gut mitgearbeitet hatte und ich war auch ein bisschen stolz, dass alles reibungslos verlief, doch anschließend war ich wirklich erschöpft. Allerdings bekomme ich zwei Ausgleichstage für meine Überstunden.
Nachdem das Wetter nun also teilweise sehr frühlingshaft wurde, konnte ich auch wieder mehr draußen an der frischen Luft unternehmen, was nach der erdrückenden grauen Zeit doch nicht nur für mich sehr erleichternd war. Man konnte sehen wie die Tatkraft in meine Kollegen zurückkehrte und auch in die Klienten, da auf einmal selbst der Klient, der sich sonst immer Regen gewünscht hatte, bloß damit wir dann nicht spazieren gehen, sich sehr auf den nächsten Tag freut und tausendmal fragt: "Homme lähme minema oues ka?" (dt. Gehen wir morgen auch hinaus?).
Ich möchte auch einmal bemerken, wie groß und vielseitig das kulturelle Bewusstsein der Esten eigentlich ist. Das habe ich, glaube ich, hier noch nie erwähnt. Sie interessieren sich dabei nicht nur für ihre eigene Kultur, Geschichte und Sprache, sondern auch für die, vieler anderer Staaten. Das liegt vermutlich zum Einen daran, dass sie wirtschaftlich gesehen auf Mehrsprachigkeit angewiesen sind, aber auch denke ich, dass sie durch die lang andauernden Fremdherrschaften begannen, bestimmte Kulturaspekte zu übernehmen oder in ihre eigene Form umzuwandeln. Zum Beispiel wird im sozialen Bereich damit auch schon sehr früh angefangen - Kinder besuchen ab dem Kindergarten die Oper, lernen spielerisch Englisch, ab der zweiten Klasse dann Russisch bzw. wachsen sogar schon zweisprachig Russisch-Estnisch auf, später auf dem Gymnasium kommt dann noch Deutsch oder Finnisch hinzu und wenn man erstmal auf der Universität ist, stehen einem alle Sprachen zum Lernen zur Verfügung. Filme im Kino werden auch nicht auf Estnisch synchronisiert, sondern laufen im Originalton mit estnischem Untertitel. Es finden eigentlich täglich Konzerte statt mit unterschiedlichsten Musikstilrichtungen und manche Schulen machen sogar ganze Konzertreisen mit ihren Klassen. Das nenne ich mal einen gelungenen Wandertag! ;)
Des weiteren war ich jetzt im Februar zusammen mit meinem Freund Daniel ein paar Tage in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, die es auch auf jeden Fall wert ist, einmal besucht zu werden. Begleitet von durchweg blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein waren die teils Stunden dauernden Spaziergänge durch die von barocken, jugendstilmäßigen und neueren Häusern gesäumten Straßen, an Kanälen und kleinen Inseln entlang, über Brücken und Fahrradwegen wie zweite Straßen hinweg zur Nationaloper, den Schlössern Christiansborg, Amalienborg und Rosenborg eine echt schöne Auszeit von dem täglichen estnischen Treiben. Auch der Abstecher nach Malmö in Schweden, der innerhalb von 30 Minuten Zugfahrt passierte, war ein wunderbares Erlebnis.
Vor vier Tagen dann wurde hier in Tallinn mit einer großen Euphorie der 98. Jahrestag der estnischen Republik gefeiert. Dabei muss man sagen, dass Estland während dem Zerfall des russischen Reiches durch die Oktoberrevolution der russischen Kommunisten am 24. Februar 1918 als Republik ausgerufen wurde und erstmals seit fast tausend Jahren unter deutsch, dänisch, schwedisch und russischer Fremdherrschaft seine Unabhängigkeit erlangte. Dazu gab es diesmal Feierlichkeiten auf dem Freiheitsplatz in Tallinn mit der Rede des seit 2006 amtierenden Präsidenten Toomas Hendrik Ilves und einer anschließenden für mich doch großen Militärparade. An jedem Haus war die estnische Flagge mit ihren blau-schwarz-weißen Farben zu sehen und es gab an vielen Orten tradiotionell die estnische Nationalspeise - Brot mit gesalzener Butter, Hering und Frühlingszwiebeln.