Ein politisches Beben in der österreichischen Bundespolitik
Über den gestrigen Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann und dessen Hintergründe und Folgen sowie die möglichen Auswirkungen auf die Bundespolitik.
„Hat man die volle Rückendeckung, einen starken Rückhalt in der Partei? Das muss ich Ihnen mit Nein beantworten. Dieser starke Rückhalt ist verloren gegangen. Ich ziehe aus diesem zu geringen Rückhalt die Konsequenzen, lege meine Funktionen als Bundesparteiobmann und Bundeskanzler mit heutigem Tag zurück“, mit diesen Worten überraschte am Montag, den 09. Mai, um 12:45 Uhr Werner Faymann (SPÖ) die österreichische Politik, die Medien und die Bevölkerung. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Österreichs ist damit zurückgetreten.
Doch was sind die Hintergründe für diesen Rücktritt und warum war er gerade jetzt so überraschend? Die SPÖ, deren Vorsitz bis zum gestrigen Tag Faymann innehatte, ist durch den Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik faktisch gespalten in ein rechtes Lager, das den restriktiven Flüchtlingskurs der derzeitigen österreichischen Bundesregierung unterstützt und einem linken Flügel, der für eine offenere Flüchtlingspolitik eintritt. Werner Faymann, der als ehemaliger Bundeskanzler seit Jahresbeginn den restriktiven Kurs in der österreichischen Flüchtlingspolitik eingeschlagen hat, steht seitdem durch den linken Flügel der SPÖ unter Druck. Erschwerend für die Person Faymann kam hinzu, dass die SPÖ bei den meisten vergangenen Wahlen zumeist als Wahlverlierer hervortrat und er damit als Parteivorsitzender unmittelbar auch in der Verantwortung stand. Den Höhepunkt der Wahldebakel verzeichneten die SPÖ und ihr Vorsitzender Faymann bei den vergangenen Wahlen zum österreichischen Bundespräsidenten am 24. April. Der sozialdemokratische Kandidat Rudolf Hundstorfer erreichte hierbei gerade einmal 11,3% und schaffte es demnach nicht in die Stichwahl. Viele SPÖ-Mitglieder und Faymann-Kritiker hat diese enttäuschende Wahlschlappe darin bestätigt, dass Werner Faymann als Bundeskanzler nicht mehr haltbar ist. Diese innerparteiliche Ablehnung äußerte sich vor allem beim traditionellen Maifest der SPÖ am Tag der der Arbeit (1. Mai) vor dem Wiener Rathaus als Werner Faymann während seiner Rede lautstark „ausgebuht“ wurde und zahlreiche Transparente mit Aufschriften wie „Rücktritt“ hoch gehalten wurden. Auch der Rückhalt in den österreichischen Landesverbänden der SPÖ für Werner Faymann schmolz. So waren beispielsweise die SPÖ-Verbände der Bundesländer Salzburg, Kärnten, Vorarlberg und der Steiermark für einen Rücktritt Faymanns. Diese Landesverbände forderten zugleich auch einen aus dem Herbst vorverlegten Parteitag, um die Weichen für die Abwahl Faymanns zu stellen. Aus diesem Anlass sollte am Montag eigentlich das SPÖ-Präsidium mit den Landesvorsitzenden in Wien tagen und neben wichtigen inhaltlichen Punkten auch über die Zukunft Faymanns beraten.
Im Vorfeld hatte Faymann mehrmals den Kritikern bezüglich eines Rücktritts eine Absage erteilt und sich hierbei auch auf die Mehrheit der Unterstützer im SPÖ-Präsidium gestützt. Innerhalb der SPÖ hätte er wohl zumindest die rechnerische Mehrheit gehabt sein Amt weiterzuführen, der Rückhalt aber schwankt. Dennoch überraschte dann der spontane Rücktritt nicht nur die Parteifreunde, sondern ganz Österreich. Personell sind damit nun Konsequenzen aus den Wahldebakeln und dem Stimmenrückgang der SPÖ gezogen, inhaltlich entscheidende Fragen aber bleiben offen. Zu klären bleibt, wie sich die SPÖ künftig hinsichtlich ihrer möglichen Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Landes- und Bundesebene positionieren wird. Ebenso spannend bleibt auf welche Weise mit der Flüchtlingsproblematik weiter verfahren wird und welche maßgeblichen Reformen bis zur erneuten Nationalratswahl 2018 noch umgesetzt werden können. Diese inhaltlichen Probleme werden herausfordernde Aufgaben für den künftigen SPÖ-Kanzler sein.
Bezüglich der Nachfolge von Faymann soll spätestens zum Beginn der nächsten Woche eine Entscheidung gefällt werden. In der engeren Kandidatenauswahl stehen vor allem zwei Personen, die zwar ein sozialdemokratisches Parteibuch haben, aber derzeit nicht aktiv in der Politik tätig sind: Christian Kern, derzeitiger Chef der österreichischen Bundesbahn ÖBB sowie der Medienmanager Gerhard Zeiler. Interimistisch übernimmt der Wiener Bürgermeister Michael Häupl den SPÖ-Vorsitz und wird bis zur Neuwahl des SPÖ-Vorsitzenden die Geschäfte der Bundespartei leiten. Das Kanzleramt wird vorläufig vom Vizekanzler und Koalitionspartner Reinhold Mittelehner (ÖVP) geleitet, der am gestrigen Nachmittag vom Bundespräsidenten Fischer damit beauftragt wurde. Dem Koalitionspartner ÖVP kommt bei diesem personellen Wechsel im Kanzleramt sowieso eine besondere Rolle zu, da sie als „Zünglein an der Waage“ das Fortbestehen der Bundesregierung mitbestimmen kann. Sollte sie einen von der SPÖ als Kanzler vorgeschlagenen Kandidaten ablehnen, würde es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Neuwahlen in Österreich kommen. Umfragen zufolge würde bei einer jetzigen Nationalratswahl die FPÖ als Sieger hervorgehen und es somit wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte der zweiten österreichischen Republik zu einem blauen Kanzler kommen. Ob das auch im Sinne einer ÖVP wäre, bleibt abzuwarten wie sie mit dem Kanzlervorschlag der SPÖ umgehen wird.