Ein Dienstagmorgen am Anfang der Welt
Von einer schwangeren Katze bis hin zu verstaubten 90iger Hits und Kaviar, die üblichen schwerfallenden Morgenstunden in einer anderen Welt.
Ich befinde mich in Esso, einem kleinen Dorf in der Mitte der russischen Halbinsel Kamtschatka. Dort passe ich zur Zeit auf ein Haus und deren Bewohnerin, eine schwangere britannische Katze auf. Da ich Montagabend wieder bis über Feierabend für Dorfbewohner Deutsch- und Englischunterricht im Naturparkbüro gegeben hatte, wo ich seit Mai ein EFD absolviere, wollte ich mir die Überstunden zum länger schlafen gönnen.
Gegen 7 Uhr hörte ich bereits ein „Miauuuu!“, was ich sofort ins Deutsche übersetzte: „Ich muss mal und will aus dem Fenster raus in den Schnee gelassen werden“. Gedacht, aufgestanden, geöffnet, gewartet, geschlossen, wieder hingelegt. Etwa 30 Minuten später klingelt das Haustelefon. Da ich vor wenigen Tagen mein Handy auf mysteriöse Weise am Thermalbad im Dorf verloren hatte, gehen nun nicht nur Anrufe für den eigentlichen Hausbesitzer zwecks dessen Ferienwohnungen ein, sondern auch private für mich. Die Hausbesitzer sind übrigens gerade in China und lassen sich in für Russen spezialisierten Praxen die Zähne neu machen, wie fast alle etwas besser gestellten Russen. Ich wollte also nicht wieder die Sekretärin der Ferienwohnungen spielen, die eh kaum verstanden wird, und so blieb ich liegen, bis es das zweite Mal klingelte und mein Freund aus Deutschland dran war, bei ihm war es gerade Abend. Nach einem netten Gespräch mit üblichen Rauschstörungen schlief ich wieder kurz ein, dann klingelte mein Wecker und ich raffte mich auf, schaltete das Radio ein, besser gesagt den einzigen Sender den man hier in Mitten der Wildnis nur empfangen kann. Mein Frühstück war großartig! Müsli aus Buchweizenflocken, danach Honigbrot und auch noch ein Kaviarbrot. Und wie ich gerade genüsslich meine delikate Schnitte esse, kommen mir die Anfangstöne eines Liedes aus dem Radio so seltsam bekannt vor, ich überlege gerade noch, was es sein könnte, ob es Modern Talking, DJ Bobo oder Rammstein sein könnte, da ertönt bereits „Auf die Schnelle auf die Schnelle machste hier ne Riesenwelle….“ es war meine alte Lieblings-Pop-Gruppe aus der Grundschulzeit: Tic Tac Toe mit dem Hit „Ich find dich Schei*“! Willkommen in den 90igern, dachte ich mir mal wieder und machte mich bereit zum auf Arbeit gehen.
Ich ziehe mich also an, wie ein Kohl- mehrere Schichten, und das ist zeitaufwendig wie auch notwendig. Dazu eine Fellmütze, doppelwandige Expeditionsstiefel mit Spikes unten dran, den Schal bis zur Nase. Als ich die Außentür öffne, fällt das Atmen der trockenen, eisigen Luft schwer, ich schaue auf das Thermometer: -23°C, ich gehe zur Arbeit, der noch nicht gefrorene Fluss dampft und es bilden sich in Flussnähe die schönsten Eiskristallformationen.
Guten Morgen neuer Tag, ich weiß noch nicht, was du sonst noch heute so für Überraschungen bringst, aber ich find dich jetzt schon wieder total aufregend und wunderschön!