Dráhy Horažďovice
Meine ganz persönliche Liebeserklärung an eine kleine Stadt, über Honigautomaten und Dinosaurierhosenknöpfe.
Die Milchstraße habe ich in Berlin nie gesehen, zu viel Licht und Smog umgibt die Stadt. Dort sieht man eher Lichter der Flugzeuge, die tief zu den Flughäfen fliegen und die der Straßenlaternen. Den großen Wagen kann man in meiner tschechischen Heimat sehr deutlich erkennen. Es ist eines der wenigen Sternenbilder, die ich sicher erkennen kann und zu dem ich gestern beim Laufen immer wieder hochgeschaut habe.
Nach 16 Uhr bewegt sich in der Innenstadt niemand mehr auf den Straßen und gegen 20 Uhr kommt es einem so vor als wäre es schon tiefste Nacht. Dann hallen nur noch die eigenen Schritte zwischen Hauswänden wieder und Stimmen, vermischt mit Atemgeräuschen wenn man mit Laufpartnern quatscht.
Nebel steigt langsam auf, in der Ferne sieht man die Lichter der Bauernhöfe auf den Bergen. Wolkenschleier huschen über den Himmel, der eigene Atem hängt in der eisigen Luft, alles ist in glitzernde Eiskristalle getaucht und man hört das Plätschern des Flusses.Die kleine Laterne am alten Steintor aus dem Mittelalter leuchtet warm.
Abends wirkt Horazdovice gespenstisch und ein Hauch von Magie legt sich über die Stadt mit ihrem angestrahlten Kirchturm. Hinter der Kirche am Hauptplatz steht eine Bank, die eine tolle Aussicht auf den Fluss und unseren Hausberg bietet. Besonders in der Jahreszeiten der Farben, im Herbst habe ich hier gerne gesessen, mir den Wind um die Ohren streichen lassen, den Vögeln zugehört und streitende Enten beobachtet.
Die Luft ist unfassbar rein, immerhin befinden wir uns auch schon über 400 Meter, das ist schon fast Bergluft. Deshalb gibt es auch Schnee im November. Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind als ich eines Nachts nochmal die Fenster öffnen wollte, mir das weiße Nass entgegenrieselte und ich am nächsten Morgen die Schneedecke bewundern konnte
Die kleine Stadt hat zwar nur 5000 Einwohner, aber es ist eine Stadt die lebt. Unter der Woche öffnen eine Menge kleine Läden in der Altstadt ihre Pforten. Es gibt drei Bastelläden. In einem findet man alles was mit Farben zutun hat, auch Glitzerspray um Fenster und Kienäpfel weihnachtlicher zu machen. Den anderen betreibt ein älteres Paar, dass sich ständig streitet und über das alle schmunzeln, weil jeder weiß dass sie sich lieben. Der dritte Bastelladen ist ein Traum für jeden der Nähen liebt. Von Hosenknöpfen in Dinosaurierform über eine nicht endene Auswahl von Geschenkbändern bis second hand Reißverschlüssen gibt es fast alles. Nebenan hat die Bäckerei ihr Reich. Das Brot wird in einem Nachbarort gebacken und kommt jeden Morgen frisch. Am Donnerstag kann man Sauerteigbrot kaufen. Im Moment gibt es eine große Auswahl an Keksen und Weihnachtshefezöpfen.
Eine andere Konditorei liegt am anderen Ende des Platzes und Dank eines offenen Fensters riecht es draußen meistens nach geschmolzener Schokolade. Daneben verkauft ein Blumenladen letzte Adventskränze.
Nette Betreiber eines Paketladens findet man selten, in Horazdovice aber schon.
Genauso wie ein Schloss das der Freizeit von Kindern gewidmet ist.
Von Bogenschießen über Gitarrenunterricht bis Fitnesskursen auf dem Hometrainer, inclusive Schlossgespenst, ewigen Gängen mit ausgelaschtem Pakett, knarzenden alten Türen und einem riesigen, teilweise noch unerschlossenem Dachboden so einiges zu bieten hat.
Zwei Springbrunnen plätschern auf den Plätzen im Sommer fröhlich vor sich hin. Der Bioladen mit seiner bunten Markise lädt zum Entdecken ein. Und welcher Ort kann schon von sich behaupten einen Honigautomaten sein Eigen zu nennen. Für 50 Kronen gibt es alle möglichen Sorten. Regionaler könnte der Honig gar nicht sein. Er wird in den Bergen nebenan von Leuten produziert, die gute Freunde meiner host Organisation sind.
Supermarkt- und Restaurant-technisch sind wir auch gut versorgt. Man hat die Wahl zwischen Coop, Albert und Penny. Es gibt sogar ein Chinarestaurant, einen Italiener bei dem die Gnoccies Tschechisch schmecken, einen Dönerladen und zwei/drei tschechische Restaurants und Kneipen.
Ich könnte noch so viel zu meiner neuen Heimat sagen. Ich liebe es jedes Mal durch die Altstadt zu schlendern, die Atmosphäre aufzusaugen, dem lebendigen Treiben zuzusehen, neue Orte zu endecken.
Ich bin sehr glücklich darüber in dieser Stadt leben zu dürfen.