Die Zeit vergeht...
„Die Zeit vergeht wie im Flug. Nun bin ich schon seit drei Wochen in Norwegen, genauer im Camphill Solborg, gelegen zwischen Jevnaker und Hønefoss, etwa 100 Kilometer nördlich von Oslo.“ Dort hat Becci alle Hände voll zu tun, um die ihr Anvertrauten satt zu kriegen, den Garten zu hegen und pflegen und nebenbei eine Menge über Botanik zu lernen.
...wie im Flug. Nun bin ich schon seit drei Wochen in Norwegen, genauer im Camphill Solborg, gelegen zwischen Jevnaker und Hønefoss, etwa 100 Kilometer nördlich von Oslo.
Mein erstes freies Wochenende geht gerade zu Ende. Und wenn ich auf die letzten drei Wochen zurückblicke, weiß ich gar nicht so recht, was ich berichten soll. Denn eigentlich ist der Tagesablauf immer relativ gleich, trotzdem habe ich bis jetzt keine Langeweile gehabt und schon viel erlebt.
Mein Tag beginnt morgens zwischen 7.00 und 8.00 Uhr. Um viertel vor acht gibt es Frühstück, das um viertel nach acht beendet wird. Zunächst etwas verwirrend und ungewohnt war das Tischgebet vor und das Danken nach jedem Essen. Aber schließlich befinde ich mich in einem Camphill. Und auch wenn ich kein religiöser Mensch bin, akzeptiere und respektiere ich die hier vorhandenen Rituale.
Um viertel vor neun treffen sich immer alle (oder zumindest ein Teil) der Solborg-Bewohner. Zurzeit wohnen im gesamten Dorf verteilt auf vier Häuser 18 geistig Behinderte zwischen 23 und 71 Jahren, zwei Hauseltern und einige Coworker pro Haus. Bei diesem morgendlichen Treffen wird dann immer (jede Woche ein neuer) Spruch von Rudolf Steiner vorgelesen und ein Liedchen gesungen, dann werden die Ereignisse des Tages kurz besprochen. Danach geht es los zur Arbeit.
Um etwa 9.00 Uhr beginnt dann mein eigentlicher Arbeitstag. Ich koche in einem Haus hier im Dorf. Allerdings ist es nicht das Haus zu dem ich gehöre, also in dem ich frühstücke und die Behinderte wohnt, um die ich mich kümmere. Ich koche für etwa acht bis zwölf Personen, was zu Beginn etwas ungewohnt und schwierig war, sicher, aber allmählich finde ich diese Aufgabe als recht angenehm, wenn man gerne kocht. Leider hatte ich nur einen Tag Einweisung und durfte danach direkt alleine kochen. Bis jetzt hat sich jedoch keiner beschwert, und was auf den Tisch kam, wurde immer gegessen.
Um 13.00 Uhr muss das Essen auf dem Tisch stehen. Das klingt nach unheimlich viel Zeit zum Kochen. Aber man muss bedenken, wie viele Personen ich zu bekochen habe, und dass in Camphills nur mit ökologischen Produkten gekocht wird. Man versucht außerdem, die meisten Dinge selber herzustellen. Ich habe also ganz viel frisches Gemüse, das ich klein schneiden darf. Und das dauert seine Zeit. Außerdem gilt es jeden Tag zwei Salate, ein Hauptgericht und einen Dessert zuzubereiten. Mittlerweile schaffe ich es jedoch ganz gut, um 13.00 Uhr fertig zu sein und auch die Küche blitzeblank zu hinterlassen.
Nach dem Mittagessen habe ich bis 15.00 Uhr frei bis mein Nachmitags-Workshop beginnt. Wenn ich nicht abwaschen muss, verbringe ich diese Zeit entweder mit einem Mittagsschlaf, am PC oder bei einem Kaffee und einem netten Plausch mit anderen Co-Workern.
Dann heißt es: Arbeitskleidung anziehen und ab in den Garten. Im Sommer ist im Garten unheimlich viel zu tun. Alle möglichen Beete müssen von Unkraut befreit werden - da es ja ökologischer Anbau ist, wird natürlich nicht gespritzt. Möhren-, Zwiebel- und Kürbisfeld sind schon fertig. Manchmal verbringt man den Nachmittag aber auch mit Erdbeerenpflücken.
Seit letzter Woche bin ich mit einer anderen italienischen Co-Workerin gemeinsam verantwortlich für die Kräuter. Wir trocknen sie oder müssen dort Unkraut rupfen. Montags machen wir immer Bündel, die Dienstags verkauft oder an die Häuser im Dorf verteilt werden. Der Workshop endet um 17.30 Uhr.
Im Garten bin ich sehr gerne, nach dem Morgen in der Küche ist das eine wirklich schöne Abwechslung. Wenn die Sonne scheint, ist es besonders toll. Bei Regen arbeiten wir in einem der Gewächshäuser, denn beim Grünzeug ist immer etwas zu tun. Man lernt in kurzer Zeit wirklich viel über Pflanzen. Schöne ist auch, dass ich als morgendlicher Koch den gesamten Kreislauf, zum Beispiel des Gemüses, miterlebe, vom Sähen bis zur Nutzung in der Küche.
Um 18.00 Uhr gibt es dann Abendessen. Frühstück und Abendessen nehme ich in dem Haus zu dem ich gehöre, ein. Nach dem Abendessen gehe ich meistens erst einmal duschen, weil man bei der Gartenarbeit wirklich dreckig wird!
Dann gibt es immer noch irgendwas zu tun oder zu erleben. Entweder ich habe meinen Norwegisch-Kurs (einmal die Woche mit zwei anderen Co-Workern zusammen hier im Dorf) oder ich muss meine Dörflerin, also die Behinderte, um die ich mich kümmere, duschen oder wir schauen noch einen Film. Manchmal ist auch ein Treffen oder man sitzt einfach nur nett beisammen und trinkt noch einen Tee.
Falls ihr Euch nun wundert, wo denn die Behinderten sind, mit denen ich arbeite: Sie sind immer überall dabei. Ich gehöre zum Kittelsen Hus in dem fünf Behinderte (hier auch Dörfler genannt) wohnen. Ich wohne im Asbjørnsen Hus in dem sich das Büro Solborgs und der PC-Raum sowie einige Schulräume befinden. Hier wohne ich allein oben unterm Dach in einem echt schönen Zimmer mit wunderbarer Aussicht. Einerseits ist es angenehm, nicht im Kittelsen Hus zu wohnen, denn so kann ich mich immer zurückziehen, wenn ich meine Ruhe haben will. Andererseits ist es manchmal auch etwas komisch, in so einem Riesenhaus alleine zu wohnen (aber vielleicht kommen ja noch andere Co-Worker, die hier auch wohnen).
Morgens, wenn ich in der Küche arbeite, hilft mir normalerweise eine Dörflerin (Sølvie) beim Kochen (soweit sie das kann). Im Garten sind auch immer Behinderte dabei, die mitarbeiten. Im Kittelsen Hus ist mir eine Behinderte zugeteilt. Iselin hat das Down-Syndrom und einen Hüftschaden, weswegen sie nicht so gut laufen kann. Bis jetzt komme ich wunderbar mit ihr klar. Ich muss ihr dreimal die Woche beim Duschen helfen, aufpassen, dass sie ihre Medikamente nimmt, sie rechtzeitig zu ihrem Workshop losschicken und mich einfach ein wenig um sie kümmern.
Im Kittelsen Hus ist seit nun eineinhalb Wochen eine neue norwegische Familie mit zwei Kindern als Hauseltern eingezogen. Das ist sehr gut für mich, weil sie nur Norwegisch reden und ich es dann vielleicht schneller lerne. Bis jetzt rede ich aber noch sehr viel Englisch und auch Deutsch, weil es zwei Coworker gibt, die Deutsch sprechen.
Normalerweise wohnt im Kittelsen Hus noch ein Co-Worker, der schon seit mehreren Jahren hier ist. Ein Holländer, er ist aber seit gestern im Urlaub. Deswegen ist es etwas einsam, weil die Familie eben doch Familie ist und sich auch mal zurückzieht. Aber es gibt eine andere Deutsche hier mit der ich mich sehr gut verstehe.
Mein erstes freies Wochenende habe ich sozusagen mit Sightseeing verbracht. Gestern war ich in Oslo (mit anderen Coworkern und einem Behinderten zusammen). Das war sehr schön, allerdings wussten wir nicht, dass Gay-Parade war und die Stadt deshalb leicht überfüllt war. Ich habe sehr viel gesehen und das Wetter war wunderbar. Wir waren zuerst am Holmenkollen (einer Skisprungschanze), dann in der Osloer Innenstadt und dann im berühmten Vigelandpark. Danach war ich total müde. Abends waren wir im nächsten Ort noch etwas trinken, wie die letzten Wochenenden auch schon.
Heute hab ich superlang geschlafen (das erste Mal seitdem ich hier bin). Es hat den ganzen Tag geregnet und ich habe gelesen und war mal spazieren. Keine besonderen Ereignisse. Gerade eben haben wir uns in einem Haus getroffen um einen Spieleabend zu machen.
Jetzt ist es schon verdammt spät und ich muss ins Bett, denn ich bin diese Woche dran mit Frühstück machen, also muss ich um 7.00 Uhr die Behinderten wecken.
Bald hört und seht Ihr mehr von hier.