Die Sache mit der Identität
Vom Schwedisch Sprechen und einem nicht freien Tag der Deutschen Einheit, der viel zum Nachdenken anregte.
Wenn man sich in einem anderen Land mit noch fremden Eigenarten einlebt, kommt man nicht drumherum, auch einmal den Vergleich zum eigenen Heimatland und zu sich selbst zu ziehen. Was ist anders, was ist gleich? Was spielt für die Menschen hier eine große Rolle im Leben? Sind es die gleichen Dinge wie bei mir? Zusammen mit Jonas und Erica habe ich in den letzten Wochen immer wieder darüber gesprochen: Über Werte, die uns wichtig sind und unsere Identität. Die Themen am Abendbrottisch waren und sind ebenso politisch und aktuell wie auch persönlich und am Ende musste ich mein Nudeln dann auch gerne einmal in der Mikrowelle aufwärmen, weil das Gespräch mich zu sehr vom Essen abgelenkt hat.
Eine tragende Rolle in diesem Zusammenhang nahm besonders der vergangene Mittwoch ein. Hier in Schweden ein ganz normaler Arbeitstag, für alle meine Freunde in Deutschland die Möglichkeit lange auszuschlafen. Der 3. Oktober war für mich in den letzten Jahren zwar nie ein besonderer Feiertag gewesen, abgesehen vom Schulfrei kein besonderes Ereignis, aber gerade die Tatsache, dass dieser Tag der Deutschen Einheit 2018 für mich tatsächlich ein ganz normaler Tag werden würde, machte ihn dieses mal doch zu etwas Außergewöhnlichem. Hatte ich am Montag noch gemeinsam mit Erica anlässlich des internationalen Kindertags in der Familjecentralen Kinder geschminkt und am Dienstag beim Language Café versucht ein wenig Schwedisch zu sprechen, mit übrigens eher mäßigem Erfolg, konnte der Mittwoch im Gegensatz dazu eigentlich gar nicht noch weniger ereignisreich sein. Abgesehen von Annas Hund, der uns drei am Morgen im Europa Direkt Büro begrüßte, gab es tatsächlich nichts Erwähnenswertes zu berichten beziehungsweise würde es nichts zu berichten gäben, wenn es nun einmal nicht der 3. Oktober gewesen wäre.
So hatten Jonas und ich beim Frühstück zum Beispiel Witze darüber gemacht, die deutsche Flagge aus dem Keller zu holen. In Deutschland hätte ich da niemals drüber nachgedacht, denn angesichts der deutschen Geschichte bin ich, und ich denke da spreche ich für fast alle jungen Leute in Deutschland, mit der Mentalität aufgewachsen, dass eine Deutschlandflagge außer zu Sportevents und bei wichtigen politischen Gebäuden irgendwie nicht passend ist. Für mich war das immer total normal und selbstverständlich, auch ohne den geschichtlichen Hintergrund. Schon der Gedanke zum Tag der Deutschen Einheit eine Fahne zu hissen, kommt mir ziemlich absurd vor, aber für die Schweden ist das an ihrem Nationalfeiertag ganz normal. Dieser Unterschied ließ sich uns nun aber, eben zum Teil auf humorvolle Weise, mit dieser Thematik auseinandersetzen.
Vorher habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, was der Tag der Deutschen Einheit eigentlich für mich bedeutet. Klar, es geht um die Wiedervereinigung Deutschlands, aber was steht eigentlich dahinter? Während für Erica zum Nationalfeiertag in Italien Militärparaden Gang und Gebe sind, steht für Jonas und mich fest, dass ein solcher Patriotismus für uns am 3. Oktober definitiv keine Rolle spielt. Natürlich wird das geeinte Deutschland gefeiert, aber dabei stehen viel mehr die Werte der Wiedervereinigung im Vordergrund: Freiheit, Demokratie, Gemeinschaft. Wenn ich in den letzten Tagen an die Geschichten meiner Eltern aus der DDR gedacht habe, dann fühlte ich mich dadurch nur noch mehr als Teil Europas. In unseren Diskussionen habe ich noch einmal erkannt, wie sehr die genannten Werte ein Teil meiner Identität sind.
Ein Grund mehr dieses Thema in unserem Podcast am Freitag in den Mittelpunkt zu stellen. Pech an dieser Stelle nur, dass die Technik nicht so wollte wie wir und wir den Podcast ungeplant noch ein zweites Mal aufnehmen mussten. Aber wir drei Europäischen Freiwilligen werden wahrscheinlich nie müde, über Geschichte, Politik und unsere Meinung dazu zu sprechen.