Die Russen
Russen in Deutschland und in Russen in Russland- wie weit sind diese Realitäten voneinander entfernt? Inwieweit bestätigen sich Vorurteile?
Russen oder Russlanddeutsche stellen einen großen Teil der Bevölkerung Deutschlands dar. Sie werden oft als eine der bestintegriertesten Gruppen beschrieben, können meistens fließend Deutsch, und machen vergleichbar oft das Abitur wie Deutsche.
Obwohl ein großer Prozentteil der "Russen", die in Deutschland leben, eigentlich in vorherigen Generationen ausgewanderte Deutsche, die wieder zurückgekehrt sind, prägen sie das Bild, das Deutschland von Russland hat. Vielleicht auch nicht zu Unrecht, sind die jüngeren Generationen ja relativ russisch aufgewachsen.
Ich möchte mich diesem Thema sehr vorsichtig nähern und versuchen, Verallgemeinerungen und Klischees zu vermeiden.
Meine Familie hat selbst einen russlanddeutschen Hintergrund, meine Großeltern mütterlicherseits sind wie noch meine Mutter in Sibirien aufgewachsen. Trotzdem spricht meine Mutter fließend und akzentfrei Deutsch und hat einen deutschen Mann geheiratet. Wie ich schon von klein auf weiß, ist die vorbildhafte Integration meiner Familie eine Ausnahme.
Immer wieder habe ich verglichen mit anderen Russlanddeutschen, die in Deutschland nun ja oft als eher ungebildet, tussig oder schlampig gelten. Ich wollte gerne wissen, wie die Realität aussieht, wie viel Russland wirklich in meiner Familie steckt und wie viel Russland mit den Russen in Deutschland gemein hat.
Jetzt, wo ich hier bin, mich offen und optimistisch der Mentalität und Kultur genähert habe, kann ich versuchen, eine Antwort zu geben. Auch wenn meine Großeltern das nicht gerne hören, kann ich zwischen ihnen und den typischen russischen Großeltern viele Gemeinsamkeiten finden. Das beginnt beim Kleidungsstil und hört auf bei bestimmten Redewendungen und -arten (die meine Großeltern einfach ins Deutsche übersetzt haben) und beim Benehmen in verschieden Situationen, zum Beispiel wenn Gäste da sind oder in der Öffentlichkeit.
Bei den jungen Menschen ist das meiner Meinung nach aber etwas anders:
Rein äußerlich unterscheiden sich zumindest die Russinnen in St Petersburg aber schon von denen, die ich in Deutschland kannte. Der weibliche Querschnitt sieht überdurchschnittlich gut aus und hat Stil. Zu tiefe Hüfthosen, weiße Stiefel und kurze Felljacken sieht man hier selten.
Die Jugend hier unterscheidet sich wenig von der Jugend in Berlin oder Paris. Es gibt Menschen mit Dreads, Röhrenjeans und Piercings, Skater, Drogenabhängige, brave Studentinnen und Metaler.
Wenn ich erzählen soll, wie die Russen hier sind, dann geht mir oft der Satz über die Lippen, "ganz anders als die Russen bei uns in Deutschland". Ich sage das, um Vorurteile im Kopf des Gesprächpartners wegzubekommen.
Warum das so ist, kann ich vielleicht über einen Ansatz nachvollziehen, der über Türken in Deutschland und Türken in der Türkei aufgestellt wurde: Während Türken, die vor fünfzig Jahren ausgewandert sind, einer völlig neuen Kultur gegenüberstanden (in Deutschland bedeutet das wahrscheinlich Freizügigkeit, Offenheit und Moderne) und darauf mit Festhalten an den alten Werten reagierten und sich zum Schutz ein wenig isolierten, hat sich das Leben in der Türkei lebender Türken weiterentwickelt. Studenten in Istanbul unterscheiden sich nicht von Studenten in Moskau und nicht von Studenten in Berlin.
Ich möchte Russlanddeutsche in Deutschland nicht als rückständig, komisch oder Randgruppe bezeichnen. Trotzdem kann ich sagen, dass die Menschen, die ich hier in St Petersburg kennen gelernt habe, ganz anders sind.