Die politische Sprachentwicklung der Türkei
Eine große Sprachreform aus politischem Kalkül - Das Türkische hat bereits einige Wandel durchlebt, und welche Entwicklung wird es nehmen? Sprache als Spiegel der Gesellschaft
Bei manchen Wörtern kann man sich das Lachen kaum verkneifen, etwa, wenn sich in einem einzigen Wort die Umlaute nur so ansammeln und man gar nicht mehr den Versucht wagt, sie auszusprechen: Düşünmüyorsunuz? Görüşürüz? Müdürlükler?
Aber hinter all dem steckt System: Das Türkische wird zu einem großen Teil aus Suffixen gebildet- Direkt an den Verbstamm werden Konjugationen, Verneinungen, Zeitformen, Passivendungen und Konjunktive addiert, was die Länge der Wörter erklärt. Dabei wird auf die Vokalharmonie geachtet: Nach dem dominierenden Vokal wird der Suffix anglichen, so wird in einem Wort mit „ü“ auch eine Endung mit „ü“ angehängt. Das lässt die Sprache so harmonisch klingen, und ist mit ein bisschen Übung auch gar nicht mehr so schwer – Und die Worte sprudeln nur so hervor!
Wer Türkisch lernt, wird schnell auf bekannte Wörter stoßen: Taksi, Kuaför, Sürpriz sind dabei nur einige Beispiele für die zahlreichen Lehnwörter aus anderen Sprachen. Diese Entwicklung ist vor dem historischen Kontext zu betrachten, vor einer großen Sprachreform. Der Gründer der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, revolutionierte nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches die türkische Gesellschaft – Das neu vereinte türkische Volk sollte in die Moderne gezwungen werden, sollte wettbewerbsfähig werden in der neuen industrialisierten Welt, sollte eine neue politische Größe im globalen Geschehen darstellen. Und wie könnte man die alten, überholten Sitten und Bräuche besser abstreifen als mit einer völlig neuen Sprache? So diente sie als Teil eines Reformprogramms in den 1920er Jahren, als Quelle neuer Ideen und Inspirationen zum Aufbruch in die Moderne.
1928 wurden dann im Zuge dieser Sprachrevolution das lateinische Alphabet anstelle der arabischen Schriftzeichen eingeführt, eine neue Grammatik nach dem Istanbuler Dialekt durchgesetzt und viele osmanische Wörter durch neue, europäische Begriffe ersetzt. Doch dieser radikale Bruch mit der Vergangenheit verlief nicht schmerzlos: Kritiker sahen die türkische Sprache um ihren Reichtum beraubt und die Tradition erschüttert, und niemanden fiel der neue Sprachgebrauch leicht: Nicht einmal der große Reformer selbst, Atatürk, soll Neu-Türkisch gesprochen haben.
Trotzdem setzt sich das neue Türkisch durch: In den Schulen wird es seit der Reform konsequent unterrichtet und auch die Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Propagierung der Sprache – Mit dem Erfolg, dass die Türken heute Osmanisch nur noch mit Übersetzung verstehen. Und doch lässt sich eine neue Entwicklung beobachten: Mit der wachsenden Popularität historischer Fernsehserien, in denen tatsächlich osmanisches Türkisch um der Authentizität willen gesprochen wird, kommen auch wieder osmanische Wörter in den alltäglichen Sprachgebrauch.
Die Gegenentwicklung dazu ist eine zunehmende Anglifizierung des Türkischen, ein Kollateralschaden der Globalisierung, die auch die Türkei erfasst hat. So sagen die jungen, vernetzten Türken beispielsweise eher E-Mail anstelle des türkischen „Elmek“ – Die Sprache befindet sich im einem kontinuierlichen Prozess.
Und damit bildet die Sprache auch einen Spiegel einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne: Während einerseits unter der Regierung Erdoğan sich wieder auf Religion und Werte besonnen wird, kokketiert die neue türkische Elite mit dem westlichen Lifestyle. Sie ist nicht nur bloßes Kommunikationsmedium, sondern sie reflektiert auch die Geisteshaltung der Menschen und ist damit hochpolitisch: Wer eher nationalistisch-konversativ eingestellt ist, verwendet bevorzugt die alten Begrifflichkeiten, die Linken hingegen drücken sich mit den neuen Wörtern aus.
Ganz deutlich wird die politische Macht der Sprache an dem Beispiel der Kurden: Erst im Mai 2013 wurde die Sprache der Kurden, dem Persischem ähnlich, offiziell wieder erlaubt und auch in Schule unterrichtet, vorher galt es als widerrechtlich, Kurdisch offentlich zu gebrauchen. Dieser Delikt war leicht zu überführen, denn das Kurdische umfasst mehr Konsonanten (X, W und Q) als das Türkisch – Menschen, die diese Buchstaben im Namen tragen konnten deshalb schnell denunziert werden.
In Rebellion formatierte sich die kurdische Kulturszene im Ausland, wie beispielsweise mit dem nach Deutschland emigriten Sänger Sivan Perwer, der über die kurdische Geschichte und Kultur sang und dessen Kassetten in der Türkei verboten waren. Mit Ende der rechtlichen Repression beginnen die Menschen wieder ihre Sprache, und damit auch ihre Kultur, auszuleben.
Die Importanz der Sprache ist in der Türkei nicht zu unterschätzen: Tatsächlich herrscht eine rege Kommunikationskultur, und über Çay und Simit wird sich über alles und jeden ausgetauscht. Noch wichtiger sind allerdings die Dinge, die nicht ausgesprochen werden, über die es keinen öffentlichten Diskurs gibt. Auf diese stillen Worte sollte man lauschen, um die Türkei zu verstehen.
Eine unterhaltsame Kolumne zur türkischen Sprache: http://www.spiegel.de/panorama/tuerkische-sprache-sag-s-mit-einem-wort-a-925879.html
Kurdische Musik von Sivan Perwer: https://www.youtube.com/watch?v=r8GQMHjiB4o&nohtml5=False