Die Mädchen der Revolutionsstraße
Frauenrechte im Iran scheinen sich nicht zu verbessern - Dies ist häufig der Anschein von Außen, dabei häufen sich die Proteste von Frauenrechtler*innen in dem schiitischen Land.
Das Bedecken der Haare ist in der Islamischen Republik Pflicht - Das öffentliche Zeigen der Haare gilt als Vergehen, dass im besten Fall mit dem Besuch von „Aufklärungsklassen“ und im schlimmsten Fall mit Peitschenhieben oder Gefängnis bestraft werden kann. Doch selbst unter diesen Umständen und der drohenden Gefahr protestieren Frauen im Iran - Und zeigen sich öffentlich ohne Kopfbedeckung. Sie nutzen das religiöse Symbol nun als Zeichen des Widerstandes gegen das Regime.
Seit Januar 2018 formieren sich die sogenannten „Kopftuchproteste“: Mitten auf der Teheraner Revolutionsstraße protestieren Frauen und kritisieren damit die strengen Sittengesetze der Islamischen Republik, die seit der Revolution 1979 immer strengere Kleiderordnungen implementieren. Als Zeichen der Reinheit sollen Frauen ihre Körper und Haare bedecken, auch Männer sollten ihre Körper verschleiern und so beispielsweise keine enge Kleidung tragen. Für Mädchen und Frauen gelten diese Regeln allerdings meistens sehr viel strenger als für Männer, und müssen sich so der staatlichen Moralvorstellung in ihrem Privatleben und in der Gesellschaft unterwerfen.
Die jüngere Generation, selbstbewusste junge Frauen, lassen sich aber nicht länger so vieles vorschreiben: Sie lassen das Kopftuch eher nach hinten rutschen und schminken sich. Das Signal ist deutlich: Mein Körper gehört mir. Auch die stetig steigende Anzahl an Schönheits-Operationen lässt sich als Signal deuten: Frauen möchten über ihren Körper selber bestimmen, sie definieren ihre Schönheitsideale und setzen sie auch um - Schleier hin oder her. Natürlich muss man das auch kritisch betrachten, vielleicht ist ein relativ extremer Schönheitskult auch die Reaktion auf eine lange Unterdrückung.
Warum fürchtet die Regierung diese Frauen so sehr? Weil der simple Akt einer Abnahme des Kopftuchs schon ein politischer Protest von Innen ist, er zweifelt die Machtstellung an und stellt die Legitimierung des Regimes in Frage. Dagegen wirken Feinde von Außen, wie beispielsweise die USA oder Israel, fast schon weniger bedrohlich: Auch wenn die USA Sanktionen verhängen oder Israel sich militärisch formiert, eine bröckelnde Unterstützung der Bevölkerung kann einen Staat tiefer erschüttern. Schließlich stößt das konservative Regime hier auf eine breite Solidaritätsfront unter Frauen, und internationaler Solidarität: Es geht um das fundamentale Recht auf Selbstbestimmung, unabhängig von Religion oder Staatsdoktrin.
Nicht nur Frauen erkämpfen sich kleine Freiheiten im Iran, auch Aktivisten*innen für Meinungsfreiheit oder der Abschaffung der Zensur sind effektiv vernetzt und bewirken viel: Gerade weil die Bewegungen von Unten kommen und sich durch alle gesellschaftliche Gruppen hindurch vernetzt, besitzen sie großes Potential wirklich etwas zu verändern; Das zeigen auch die Proteste der Grünen Bewegung 2009 oder andere Protestwellen 2017/2018. Die Antwort des Regimes: Härte, Repression und Verhaftungen.
Der Protest der Frauen verläuft aber auch im Alltäglichen, im Stillen: Frauen sind überdurchschnittlich gut gebildet im Iran, sie bilden eine signifikante Mehrheit an den Unis sodass vielerorts bereits eine Männer-Quote herrscht. 80% der Frauen können schreiben und lesen, viele sind gesellschaftlich etabliert und üben Berufe aus: Ein Drittel der Arbeitskräfte sind weiblich. Im Parlament sitzen 21 Frauen, und selbst ehemalige Tabuzonen wie den Sport erobern Frauen mit einer regelrechten Frauensportbewegung.
Der Schleier ist im Iran bereits seit Jahrzehnten ein Politikum - Und nicht nur Symbol der Repression: Nachdem 1936 die Zwangsentschleierung verordnet wurde, und in den 1960er Jahren Frauen sogar das Wahlrecht erhielten, verschlechtere sich die Situation vieler Frauen und Mädchen eher konservativen Familien. Angesichts dieser radikalen Änderungen und Liberalisierungen von Oben wollten viele Familien ihre Töchter nicht länger zu Schulen und Universitäten schicken, auf denen sie ohne Bedeckung und geschlechtsgemischt unterrichtet werden würden.
So sollte die Islamische Revolution vielen Mädchen die gesellschaftliche Teilhabe wieder ermöglichen. Viele Frauen erlebten die Verschleierungspflicht daher erstmal als Akt der Befreiung.
Dabei schwankte die Situation von einem Extrem ins Andere, und so verschlechterte sich die rechtliche Situation von Frauen im Iran. Aber dessen werden sich Frauen immer mehr bewusst, und sie beginnen sich zu organisieren. Und sie sind mittlerweile eine politische Kraft, die man nicht länger ignorieren kann: Sie stehen ein für ein Recht auf Selbstbestimmung und für die freie Wahl.
Filmtipps zur iranischen Gesellschaft
Raving Iran: http://www.ravingiran.com
Taxi Teheran: https://de.wikipedia.org/wiki/Taxi_Teheran