Der Protest der Gelben Westen
Anarchie hat lange nicht mehr geherrscht in den Straßen von Paris, doch jetzt scheinen sich die großen Revolutionen zu wiederholen: Der Protest der Gillets Jaunes, der Gelben Westen, hält Frankreich seit Wochen in Atem und scheint kaum ein Ende zu nehmen…
Samstage in der Vorweihnachtszeit gehören normalerweise zu den Zeiten im Jahr, in denen sich Menschenmassen durch Kaufhäuser drücken und fröhlich dem Konsum gefrönt wird. Doch heute Morgen, am 8. Dezember 2018, hielt ganz Paris den Atem an: Alle Geschäfte wurden am Tag zuvor vernagelt, die Schaufenster leergeräumt, U-Bahn-Stationen geschlossen und Museen wurden mit Spanplatten geschützt. Wenig Leute sind auf den Straßen, die meisten, um mitzuerleben was kommt: Werden die Ausschreitungen schlimmer als die der vorherigen Wochen? Und wie wird die französische Politik darauf reagieren?
Ich verbringe meine Wochenenden in der Regel im Zentrum Paris bei einer Freundin, die absichtlich in eine der sichersten Gegenden Paris gezogen ist. Was wir allerdings lange als sicher wähnten, die Champs-Élysées und das Diplomaten- und Geschäftsviertel im Umkreis, hat sich nun in den Schauplatz der Proteste der Gelbwesten verwandelt. Was als relativ lose, friedliche Protestbewegung gegen eine Erhöhung der Benzin-und Dieselpreise begann, hat sich nun in regelmäßige, brutale und kontrollierbare Proteste in ganz Frankreich verwandelt.
Zunächst richteten sich die Proteste hauptsächlich gegen angekündigte höhere Treibstoffabgaben ab dem 1. Januar 2019: Die Preise, welche bereits letztes Jahr um fast 20% erhöht worden waren, sollten nun also nochmals um 4 (Benzin) bis 7 Cent pro Liter (Diesel) erhöht werden. Aus diesen zusätzlichen Einnahmen sollte nachhaltigere Energie-Initiativen finanziert werden. Mit dem raschen Erfolg einer Online-Petition formatierte sich dann im November 2018 eine lose Protestbewegung, welche in ganz Frankreich auf die Straße ging und Straßen sperrte. Ihr Wahrzeichen: Die gelbe Warnweste, die wahrscheinliche jeder Autofahrer in seinem Auto hat und die an jeder Tankstelle erhältlich ist.
Gerade diese spontane Organisation der Bewegung ist einzigartig - Ohne Anführer und Organisatoren wurden tausende von Menschen mobilisiert, allein durch ihre aufgestaute Wut und durch die Hilflosigkeit, mit dem Gefühl, das System sei gegen einen. Denn mittlerweile ist auch klar, dass es sich nicht vordergründig um Proteste gegen Steuern handelt: Nachdem zunächst die Treibstoffsteuer erst einmal ausgesetzt werden sollte, wurde sie vor kurzem dann ganz abgesagt. Trotz dessen erfolgte keine Deeskalation im Protest, dem sich mittlerweile auch ganz andere Interessengruppen angeschlossen haben. Nach gewaltsamen Schülerprotesten und einem Aufruf der Bauern Frankreichs scheint die Revolutionsstimmung nun fast alle Bevölkerungsgruppen zu durchziehen. Daher erweitern sich die Forderungen auch stetig, nur eine Forderung, ein Appell wird immer wiederholt: Macron dank ab!
Die Situation für die französische Regierung scheint aussichtslos: Das aggressive Durchgreifen der Polizei gegenüber friedlich Protestierenden und sogar Schülern ist kaum zu rechtfertigen, und trotzdem immer höheren Aufgebot an Sicherheitskräften eskaliert die Lage immer weiter. Ordnung durch Gewalt scheint nur mehr Gegengewalt zu provozieren, daher müsste nun endlich ein ernsthafter Dialog zwischen der Protestbewegung und den Regierenden zustande kommen. Ob dieser allerdings wirklich die Massen bändigt, ist unklar, da die Sprecher der Bewegung nicht unbedingt Autorität und Entscheidungsgewalt über die sehr lose Bewegung hat.
Problematisch ist die starke Personalisierung der französischen Politik: Die starke Zentrierung in der Figur Macrons macht ihn auch für alles verantwortlich, aber auch das System wird immer weiter in Frage gestellt. Tatsächlich lässt sich die Schwere der Proteste am besten angesichts der gravierenden Umstrukturierung, die Frankreich in den letzten Jahren erlebte, erklären. Um die Wirtschaft anzukurbeln, wurden viele Sozialleistungen gekürzt und Steuern für Unternehmen erleichtert. Gerade die Hauptstadt Paris ist ein Sinnbild der Ungleichheit: Eine Stadt, die fast zu teuer zum Leben ist und sich in jeder Hinsicht dekadent zeigt, beherbergt gleichzeitig auch Unmengen an Obdachlosen, die in der Stadt noch besser überleben als anderswo. Die schrumpfende Mittelschicht wird aus dem Stadtzentrum verdrängt, wo es sich nur Touristen und die urbane Elite leisten können zu leben.
Angesichts dieser Lage ist es mir völlig verständlich, warum die Menschen auf die Barrikaden gehen. Fraglich ist nur, ob sich strukturell daran etwas ändern kann. Die Proteste allgemein sind schwer einzuschätzen, es lässt sich nicht einmal sagen, ob sie eher links oder eher rechts gerichtet sind: Es befinden sich beide Lager darunter. Seite an Seite kämpfen Rechtsradikale neben überzeugten Anarchisten. Neben vielen Arbeitern protestieren Ökos, Menschen jeder Generation und in jeder Lebenssituation. Mich beeindruckt dabei vor allem, wie viel Macht diese Menschenvereinigung hat, die eine ganze Stadt in ihrer betriebsarmsten Zeit lahmlegt. Auch wenn die Gewalt zu verurteilen ist, ist der Kampfgeist dieser Menschen doch bewundernswert.
Diese Protestbewegung stellt auch die Beziehung Frankreichs zu Europa in Frage, heute tauchte sogar ein Schild mit Frexit auf. Tatsächlich wäre es aber falsch, die gesamte Protestbewegung mit eher nationalistischen Motiven zu verbinden: Die Jugendlichen, die protestieren, protestieren hauptsächlich um den Erhalt eines freien und gleichen Europas, welches allen Chancen bietet. Eine der Forderungen der Schülerinnen und Schüler war auch die Senkung von Studiengebühren für Nicht-Europäer. Viele Menschen gehen auf die Straße um ihre Zukunft oder die ihrer Kinder zu wahren und um die Demokratie daran zu erinnern, dass nicht das Geld regiert, sondern die Menschen.
Quellen
https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/gelbwesten-frankreich-emmanuel-macron-rede-zugestaendnisse-proteste
http://www.fr.de/politik/protest-in-frankreich-etappen-der-umstrittenen-gelbwesten-a-1635297
https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-46788751
https://www.bbc.com/news/world-europe-46424267
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