Der kostbarste Besitz
Eine kleine Geschichte der Industrialisierung und ihrer Auswirkungen an einem im wahrsten Sinne des Wortes naheliegendem Beispiel: Der Dattelpalme.
Schon seit der Antike waren die Dattelpalmen der Oasen im Norden Afrikas, wo das Klima kein großartiges Pflanzenwachstum zulässt, eine Quelle des Reichtums, getrocknet versorgten die Früchte Mensch und Tier während der langen Handelskarawanen. Die Bewohner dieser Region und Besitzer der Palmen wurden lange mal von den Römern, dann von den Arabern fremdbeherrscht. Ein Feldherr mit berberischen Vorfahren, entschloss sich aber im 4. Jahrhundert nach Christus, unter dem Deckmantel der Legitimation aus dem fernen Medina, zu expandieren und gelangte schließlich nach Spanien. Im Süden des Landes fanden er und seine Gefolgsleute ähnliche Bedingungen vor wie in ihrer Heimat. An Flüssen und in feuchteren Regionen pflanzten sie die Palme in charakteristischen, quadratischen Anlagen (Huertos) an. Sie gediehen prächtig.
Über die Jahrhunderte blieben sie ein fester Bestandteil im Leben der Bevölkerung Südspaniens und im noch nicht industrialisierten Spanien des 20. Jahrhunderts lebten bis in die 70er-Jahre hinein viele Familien vom Anbau der Dattelpalmen und dem Verkauf und Export ihrer Früchte. Störrisch wie die Palmen sind, hieß das konkret, die bis zu 15 Meter langen Stämme mithilfe eines Seiles, das um den Stamm und dann um die Hüften gelegt und immer ein Stückchen hochgeschoben wird, hochzuklettern. Dann werden die grell orangenen Äste vom Stamm gekappt, um daraufhin die Datteln in der Sonne trocknen zu lassen, bis sie reif und braun sind. Die Industrialisierung allerdings sorgte dafür, dass der Landwirtschaftssektor stark schrumpfte, und man gab das mühsame Geklettere, aber auch die Pflege der Palmen auf.
In den 70er- und 80er-Jahren brach dann etwas gänzlich Neues über Spanien herein: Der Massentourismus. Man versuchte, das enorme Potenzial allseits guten Wetters und der Sommerstimmung voll auszuschöpfen. Viel Geld wurde investiert, um die Region attraktiver zu machen. Plötzlich kletterten wieder junge Männer auf Palmen, diesmal allerdings für die Touristen. Die Datteln landen seither ungenutzt auf dem Boden.
All das ist nur allzu typisch für Spanien: Die Flora und Fauna, einst kostbarster Besitz der Spanier vor der Industrialisierung, wurden vernachlässigt, zerstört für die Industrialisierung. Im Zeitalter des Massentourismus gedachte man ihrer wieder. Um den Heerscharen von Besuchern Herr zu werden, wurde allerdings meistens, wenn überhaupt nur kurzfristig nachgedacht. Und jetzt dämmert es einigen: Was wurde alles für den Fremdenverkehr aufgegeben? Und auf welchen Konsequenzen bleibt man nun sitzen?
In Elche gibt es darauf eine relativ klare Antwort: Man bleibt sitzen auf reifen, zermatschten Datteln. Und die Flecken gehen nicht so einfach raus.