Der große Brexit und die kleinen Leute
Der Brexit und die dazu zugehörigen Entscheidungen haben Einfluss auf das Leben von Millionen von Menschen. Die Nachrichten berichten immer wieder davon, wie Politiker über die großen Themen wie Handel, Zoll, Nordirland, Grenzen und Immigration verhandeln. Doch kaum einer spricht die „kleinen“ Dinge an. Wie beeinflusst der Brexit Gemeinden, die auf Freiwillige aus der EU angewiesen sind? Und wie kann eine komplette Einschränkung der vorhandenen Programme verhindert werden? Durch Gespräche mit den Mitarbeitern einer non-profit Organisation, die Freiwillige in Norfolk koordiniert, versuche ich Licht ins Dunkel zu bringen.
„A complete mess!“ „It is a joke.“ “Literally no one had an idea what they were doing!“
Das sind nur einige der Ausdrücke, die Tom und Helen, beide project manager im VolunteeringMatters Büro in Downham Market, für den Brexit übrig haben. Schnell wird klar, hier gibt es keine Brexit-Befürworter. Und genauso schnell wird klar, ohne die Hilfe von Freiwilligen könnte eine Organisation wie VolunteeringMatters ihre Arbeit nicht auf ihrem jetzigen Niveau weiterführen.
Ich mache seit über zwei Monaten ein EFD in Norfolk. Ungefähr 90% der Freiwilligen in Norfolk kommen aus EU-Staaten, hauptsächlich Deutschland, Österreich, Italien und Spanien. Der Rest stammt aus Lateinamerika. Die hohe Zahl der Freiwilligen aus dem EU-Ausland lasse sich vor allem auf die finanzielle Förderung der Europäischen Kommission und den freien Personenverkehr zwischen EU-Ländern zurückführen, so Tom. Der Brexit gefährdet beides.
Jeder Freiwillige hat einen eigenen Arbeitsplan. Wir betreuen und unterstützen die service user in ihrem Alltag, auf der Arbeit und bei Hobbies. Es geht darum ihnen ein so normales und selbstständiges Leben wie nur möglich zu bieten. Die Projekte von VolunteeringMatters sind unterschiedlich und vielfältig, ob Gartenarbeit mit einer Gruppe im „Escape“ in Swaffham, Unterstützung bei der Arbeit in einem der unzähligen Charity-Shops in Kings Lynn oder einfach nur Hilfe beim Einkaufen und Kochen in Downham Market. Jeden Tag werden in Norwich, North Norfolk und West Norfolk bis zu 75 service user unterstützt. Die Planung stützt sich drastisch auf die Arbeit der Freiwilligen. Wenn einer von uns im Urlaub ist oder krank ist, springen meistens die Mitarbeiter aus dem Büro ein. Soweit, so gut. Was aber wenn knapp 90% der Freiwilligen wegfallen würde?
„Wir müssten uns komplett neu aufstellen. Viele Projekte, wie Vocal, Escape und unser One-on-One-Service müssten enden oder so stark reduziert werden, dass wir unsere service user weniger als 5 Stunden in der Woche unterstützen können“, erklärt Helen. „Oder wir müssten unsere Gruppen erweitern, dass würde aber keinem helfen.“
Wie groß die Veränderungen und Anpassungen der Projekte sein wird, entscheidet sich erst, wenn klar ist wie und mit welchem Deal das Vereinigte Königreich aus der EU-Austritt. Das Problem dabei ist, dass keiner einen Plan hat. Tom glaubt, alles sei noch so unsicher, dass man nicht im Voraus planen könne. Bei einem „no deal brexit“ oder einem „hard brexit“ könnten die Auswirkungen massiv sein. Die Finanzierung durch die Europäische Kommission würde enden und auch die Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern innerhalb der EU würde vor der UK halt machen. „Eine gute Faustregel ist, je härter der Brexit, desto mehr Veränderungen müssen wir in Kauf nehmen“, stellt Helen klar. „Die Politiker wissen momentan selber nicht was sie tun sollen und wir sind die, die es ausbaden müssen.“
Man kann davon ausgehen, dass die Zahl der Freiwilligen nicht auf null sinken wird. So wie es Freiwillige auf Kolumbien, Venezuela, Ecuador und Brasilien gibt, wird es weiterhin Freiwillige aus Europa und EU-Staaten geben. Doch durch den Ausstieg aus der EU verliert das Vereinigte Königreich wesentliche Vorteile, die es Freiwilligen aus dem EU-Ausland vereinfacht nach England, Schottland, Wales oder Nordirland zugehen. VolunteeringMatters will versuchen die Lücken durch zusätzliches Personal oder eine Umsortierung der Projekte zu schließen, aber wenn das nicht möglich ist, werden viele Projekte eingeschränkt und die service user müssen versuchen ohne weitreichende Unterstützung klarzukommen.