Der Europäische Traum - The European Dream
Abertausende junge Menschen aus Südeuropa, Island und Irland ziehen nach Deutschland oder England, beflügelt von Eurokrise und Erasmus. Doch es sind keine Horden spanischer Party-Touristen, die nach einem Berliner Wochenendkiff zurück nach Almeria easyjetten. Viele bleiben – und es scheint, als würden die Bankenpleiten der Zukunft des jungen Europas ganz gut tun.
Abertausende junge Menschen aus Südeuropa, Island und Irland ziehen nach Deutschland oder England, beflügelt von Eurokrise und Erasmus. Doch es sind keine Horden spanischer Party-Touristen, die nach einem Berliner Wochenendkiff zurück nach Almeria easyjetten. Viele bleiben – und es scheint, als würden die Bankenpleiten der Zukunft des jungen Europas ganz gut tun.
Thousands of young people from Southern Europe, Iceland and Ireland are moving to Germany or the UK, motivated by the economic crisis and Erasmus. But they are not just herds of drunken tourists who want to party hard and then hurry back to Almeria: Many of them come to stay. Seems like bankrupt banks are at least doing some good for Europe's young generation.
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Es war der 5. August 2010, sagt David Garcia (30). Der Tag, an dem er aus Spanien nach Berlin zog. Es sollte nur ein Erasmus-Semester werden, Puppenspielkunst an der Hochschule "Ernst Busch" – doch David blieb und brach seine vorige Schule, die Königlich Spanische Akademie in Madrid, ab. Ohne die Krise wäre er vielleicht dorthin zurückgekehrt und würde jetzt nicht Deutsch lernen: Der deutsche Traum, besonders Berlin, das bedeutete ein preiswertes Leben und tolle Menschen, die nicht den normalen Weg gehen. David illustriert nun ein Kinderbuch mit Vögeln und will sich bald einer Theater-Kompanie anschließen. Für manchen Ökonomen mag das prekärer Kitsch sein. David aber klagt nicht, ihm gibt es Sinn, mit Zuschauern etwas zu schaffen. David meint: "Die deutschen Medien sagen, wenn die Spanier arbeiten würden, hätten sie auch Geld. Dabei haben sie doch umgekehrt keine Arbeit, weil das Geld futsch ist."
Jessica Fino (21) kam 2011 nach London, gerade als der Mindestlohn in Portugal ein weiteres Mal herabgestuft wurde. "Hier in London, einer der teuersten Städte der Welt, ist es für mich leichter zurecht zu kommen als in meiner Heimat Portugal. Mein Freund und ich haben beide zwei Jobs neben unserem Studium, aber wir kommen klar. In Portugal könnten wir vom Kellnern allein nicht überleben." Sobald Jessica mit ihrem Journalismus-Studium fertig ist, will sie um die Welt reisen, so viel sehen wie möglich. Mit ihrer Heimat bleibt sie trotzdem verbunden: "Portugal wird immer in meinem Herzen bleiben. Dort gibt es immer noch die nettesten Menschen und die schönsten Strände. Das einzige, was die Leute von dort wegtreibt ist die Regierung, die uns alle Hoffnung auf bessere Zeiten genommen hat."
Als JJ Cerezuela vor fast drei Jahren von der spanischen Küstenstadt Alicante nach London zog, hatte er große Pläne: Nach seinem Studium in Politik und Internationale Beziehungen wollte er zur NATO, er wollte die Dinge verändern, auch in seinem Heimatland. Zum Protestieren ging er das erste Mal 2010, am Puerto del Sol in Madrid. "Damals war alles noch sehr friedlich. Die Leute dort kamen zu großen demokratischen Versammlungen zusammen, wie im alten Griechenland. Alkohol war streng verboten. Ich erinnere mich, dass wir sogar eine improvisierte Bücherei hatten, wo alle ihre Bücher hinbrachten. Heute sind die Menschen viel wütender." Zurückgehen würde er trotzdem gern, irgendwann. "Spanien ist meine Heimat und meine Familie ist dort. Aber so, wie die Dinge stehen, kann ich dort unmöglich einen Job finden. Es ist sinnlos."
Für ihren Studiengang gibt es in Mariana Nabais Heimat Portugal nicht mal einen Namen. Trotzdem hat sie sich entschieden, Zoologische Archäologie in London zu studieren. "Portugal hat so viele faszinierende Bauwerke und Ruinen, aber der Staat lässt sie einfach zerfallen und überwuchern. Wir können es mit kaum einem europäischen Land in Sachen Industrie aufnehmen, alles, was wir haben, ist das tolle Wetter und unsere Geschichte, und die wird vernachlässigt. Es ist traurig." In ihre Heimatstadt Lissabon wird sie wohl erst zurückkehren, wenn sie sich zur Ruhe setzt: "In Portugal ist kein Platz für die Arbeit jüngerer Generationen. Doch wo kein Platz für junge Leute ist, ist auch kein Platz für Entwicklung und Fortschritt. Das Land bleibt einfach stehen."
Für Joao Vidigal (33) war die Entscheidung, sein Kunststudium am Chelsea College of Art and Design in London fortzusetzen, nicht nur die Entscheidung fürs Fortgehen. Sondern auch die Möglichkeit, irgendwann wiederzukommen: "In Portugal herrscht die allgemeine Einstellung, dass jemand, der im Ausland war und dann wiederkommt, irgendwie besser ist. Genauso haben Ausländer, die hierher kommen um zu arbeiten, einen höheren Stellenwert." Heute, vier Jahre später, ist er noch immer in London und arbeitet als Bildhauer. "Mit der Krise ist in Portugal das Geld für so ziemlich alles knapp, und Kunst wird als entbehrlich angesehen. Ich kenne keinen Künstler dort, der noch von seiner Kunst allein leben kann."
Rosa Alarcon Ther (23) kommt aus Almeria, hat aber deutsche Wurzeln: "Meine Mutter ist Deutsche, meine Oma lebt in München und ich war fast jeden Sommer in Bayern – ich bin hier verwurzelt". Sie besitzt aber eine spanische Mentalität: "Ich arbeite, um zu leben, nicht umgekehrt." Doch dafür braucht sie erst einmal einen Job, und den findet sie als Journalistin in Spanien nicht. So treibt es Rosa für ihre letzten beiden Semester nach Deutschland. Im Juni wird sie ihr Journalistik-Diplom in der Tasche haben und dann hoffentlich Arbeit beim Bayerischen Rundfunk bekommen. Trotzdem sehnt sich ihr Herz nach Spanien zurück. "Ich vermisse die Menschen und das Wetter. Spanien ist einfach besser." Sie schmunzelt. Vielleicht verliebt sie sich aber in einen Deutschen – einen "Sparer", wie sie sagt, der auch an die Zukunft denkt.
Der Ire John (25) lebte und arbeitete anderthalb Jahre in einer Aachener Firma – und möchte anonym bleiben, da das nur halblegal war. In Irland hat er nach dem Studium hunderte Bewerbungen geschrieben, doch für Uni-Abgänger ohne Arbeitserfahrung gab es zu der Zeit keine Jobs. Wer nicht arbeitslos werden wollte, versuchte möglichst lange zu studieren, das sah John in seinem gesamten Freundeskreis. In Deutschland war die Sprache das größte Problem. Neun bis zehn Stunden Arbeit schmälern die Lust auf einen Sprachkurs an der Abendschule erheblich – und länger als ein Jahr wollte John auch gar nicht im Land bleiben. Einfacher wurde es, als seine Freundin in der gleichen Firma Arbeit fand. Wahrscheinlich wäre John ohne sie nicht so lange geblieben.
Ari Hólm Ketilsson (23) aus Island wird ab September in Münster Jura studieren. Er kommt nicht wegen der Krise, einem guten Job oder der Liebe, sondern: "Schon als Kind war ich von Deutschland fasziniert. Ich habe immer gedacht: Diese Sprache möchte ich lernen." Erasmus gab ihm schließlich die Gelegenheit, und er ergriff sie. Ein Auslandssemester, eine neue Kultur und eine neue Sprache wird er später gut gebrauchen können. Ari möchte sich auf Internationales Recht spezialisieren und vielleicht für die EU arbeiten. Ob er dann für immer hier leben möchte? "Ich könnte es mir sehr gut vorstellen. Es ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten. Eins weiß ich sicher: Ich werde erst einmal nicht in Island leben."