Der alte Mann, die Fremde und das Meer
Ein kleiner Einblick in meine Erfahrungen als Freiwillige in Kroatien
Es ist ein sonniger Tag. Ich sitze auf einer Bank inmitten eines Blumenmarktes in Zagreb. Ein paar Meter weiter spielt eine Gruppe junger Lateinamerikaner Straßenmusik und ich beobachte das Treiben der Menschen.
Auf einmal setzt sich ein älterer Herr neben mich. „Früher habe ich auch Straßenmusik gespielt“, sagt er, „das waren Zeiten.“ Offenbar sehe ich Touri-mäßiger aus, als mir lieb ist, denn er spricht mich auf Englisch an. Er erzählt mir, dass er früher viel gereist ist. Um sein Englisch nicht zu verlernen, geht er gern durch die Straßen und unterhält sich mit Touristen, wie mir, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten zu hetzen.
Ich habe keine Eile, also lasse ich mich auf das Gespräch ein. Wir sprechen über das Reisen, den Krieg, den Frieden und ich vergesse die Zeit. Plötzlich klingelt mein Handy und meine Freundin fragt, wo ich bleibe. Es sind zwei Stunden vergangen und langsam geht bereits die Sonne unter. Wir verabschieden uns und er wünscht mir alles Gute.
Wie ich in diese Situation geraten bin? Das ist eine lange Geschichte.
Nachdem ich mein Abitur in der Tasche hatte, packte ich meinen Koffer und flog nach Kroatien, in die Hauptstadt Zagreb. Ich hatte mich dort bei einer kleinen NGO für mein ESK-Projekt beworben und wurde zum Glück angenommen. Insgesamt zwei Monate wollte ich dort bleiben, gemeinsam mit neun weiteren Freiwilligen aus ganz Europa.
Noch nie zuvor war ich allein verreist und war dementsprechend aufgeregt. Welche Menschen werde ich kennenlernen? Wie wird meine Arbeit sein?
Natürlich hatte ich im Vorfeld schon viel recherchiert. Ich hatte mit meiner Organisation geskypt, „Hallo“ auf Kroatisch gelernt und auf Google Street View den Weg zum nächstgelegenen Supermarkt und Bankautomaten gesucht. Meine Vorfreude war riesig.
Am Flughafen wurde ich von meiner zukünftigen Chefin abgeholt und zum Hostel gefahren.
Ja, in dem Hostel sollte ich nun acht Wochen leben und mir ein Zimmer mit fünf weiteren Freiwilligen teilen – für mich, als Einzelkind, eine sehr ungewohnte Situation, die sich jedoch als die beste Erfahrung überhaupt herausstellen sollte.
Als ich das Zimmer betrat, war bereits ein Mädchen aus Zypern da. Ich bezog mein Bett und begann mich mit ihr zu unterhalten. Sofort stellten wir viele Gemeinsamkeiten fest und gingen am Abend zu Dritt, mit einer Schwedin, welche eine Stunde später kam, essen. Wir verstanden uns direkt bestens und mit beiden bin ich immer noch, nach fast einem Jahr in täglichem Kontakt.
Auch mit den weiteren Freiwilligen, welche innerhalb der nächsten Tage ankamen, verstand ich mich auf Anhieb. Noch nie zuvor hatte ich mich mit einer Gruppe von Fremden, so schnell so vertraut gefühlt. Bereits nach einer Woche waren wir ein richtiges Team und verbrachten, neben der gemeinsamen Arbeit auch sonst fast jede freie Minute miteinander (schließlich wohnten wir auch gemeinsam). Uns verband die Freude am Reisen und daran, Neues zu erleben.
In der Stadt gab es für uns jede Menge zu entdecken, vor allem im Sommer, sodass wir die meisten Abende in Parks, Open-Air Kinos oder einfach in der Bar des Hostels verbrachten.
Das Leben im Hostel war wirklich etwas Besonderes. Fast jeden Tag lernte ich andere Reisende aus der ganzen Welt kennen, deren Leben manchmal kaum unterschiedlicher zu meinem hätte sein können. Manche bereisten schon seit Jahren als Straßenmusiker die ganze Welt, für andere war es die erste und einzige Reise ihres Lebens. Mit meiner schwedischen Freundin habe ich vor unserer Abreise eine Liste erstellt mit allen Menschen, die wir innerhalb der 8 Wochen kennengelernt hatten und wir kamen auf insgesamt 32 verschiedene Nationen.
Nicht nur im Hostel, auch während meiner Arbeit kam ich immer wieder mit spannenden Menschen in Kontakt. Wie ich bereits erwähnte, arbeitete ich für eine kleine NGO, der vor allem informelle Bildung von Kindern und Jugendlichen, sowie interkultureller Austausch am Herzen lag. So besuchten wir ein Integrationszentrum für junge Geflüchtete, organisierten verschiedene öffentliche Veranstaltungen, oder halfen ab und an in einem Hundetierheim. Vor letzterem hatte ich jedoch zu große Angst, auch wenn sich diese mit der Zeit ein wenig legte. In Kroatien gibt es viele Hunde und auch in unserem Büro waren stets zwei, die meine Chefin einst von der Straße aufgenommen hatte. So war ich mehr oder weniger gezwungen, meine Angst nach und nach zu überwinden.
Neben alldem bestand unsere Hauptaufgabe jedoch darin, Workshops für Kinder zu veranstalten, in denen wir ihnen unsere Heimatländer vorstellten. Glücklicherweise lernen die Kinder in Kroatien schon früh Englisch, was die Kommunikation natürlich erleichterte. Dennoch hatten wir zusätzlich Seniorinnen an unserer Seite, welche sich ehrenamtlich für die Organisation engagierten und uns bei der Verständigung in den Workshops halfen.
Die Arbeit mit den Kindern bereitete mir viel Spaß und ihnen zum Glück auch. Gemeinsam spielten wir das Märchen Rotkäppchen, Memory, oder machten eine Schnitzeljagd durch den Park.
Auch mit den Seniorinnen hatten wir eine Menge lustige Momente. Manche ließen gar nicht von uns und wollten uns am liebsten jeden Tag zu sich einladen.
Generell habe ich die Kroaten als sehr warmherzige, offene und gastfreundliche Menschen erlebt. So fühlte ich mich immer willkommen und lernte viel über Land und Leute.
Neben den Seniorinnen hatten wir ebenfalls junge Mentorinnen an unserer Seite, die sich mit uns anstatt eines Kaffees, des Öfteren auf ein Bier trafen. Sie zeigten uns die etwas versteckten Ecken der Stadt und standen uns stets mit Rat und Tat zur Seite.
Das Zusammentreffen aller Generationen war eine besonders schöne Erfahrung. Als Gruppe unternahmen wir einige Ausflüge, wie zu den Plitvicer Seen, ans Meer oder in das Ferienhaus einer Seniorin an einem wunderschönen Flussufer an der Grenze zu Bosnien und Herzegowina.
Ich könnte wahrscheinlich noch ewig so weiterschreiben, aber das würde zu weit führen. Stattdessen kann ich nur jedem empfehlen, sich selbst auf die Reise zu begeben und eigene Erfahrungen zu sammeln.
Natürlich kommt man danach nicht als anderer Mensch zurück, zumindest nicht ich. Ich habe immer noch tausend Fragezeichen im Kopf, vielleicht sogar mehr als zuvor. Dennoch habe ich eine Menge gelernt. Ich habe gelernt, wie schnell ich mich auf ein neues Umfeld einlassen kann und wie aus Fremden innerhalb kürzester Zeit Freunde werden können. Ich weiß jetzt, wie man eine Anzeige wegen Handydiebstahls bei der Polizei erstattet und dass ich es nie wieder in einem Supermarktregal liegen lassen werde. Und trotzdem habe ich mehr Vertrauen gewonnen – in andere und in mich selbst.
Natürlich steht und fällt alles mit den Menschen, denen man begegnet. Insofern kann ich mich sehr glücklich schätzen, dass ich die beste Freiwilligengruppe, Mitarbeiter und Mentoren hatte, die ich mir nur hätte wünschen können.
Und auch den älteren Herrn vom Blumenmarkt werde ich so schnell nicht vergessen.
Marie L.