Den Teufelskreis durchbrechen
Die Lebenssituation der Roma in der Slowakei ist sehr weit entfernt von unseren Erfahrungen aus Deutschland. Doch gibt es auch Möglichkeiten, ihre Zukunftschancen zu verbessern?
Als Deutsche/r wird man in ein Leben voller Möglichkeiten und Privilegien geboren, von denen man manchmal nicht einmal weiß, dass man sie hat. Aber durch mein Freiwilligenjahr in einem der ärmsten Teile der Slowakei wird mit bewusst, welche Vorteile mein Heimatland mir bietet und wie schwer es ist, ohne sie zu leben.
Ich mache meinen Europäischen Freiwilligendienst in Jelšava, einer Kleinstadt mit etwa 3.000 Einwohnern, von denen ca. 40% sich als Roma definieren. Die Slowakei ist eines der ärmsten Länder der EU und kämpft mit starken regionalen Differenzen in Einkommen, Arbeitslosigkeitsrate und Bildungsstand. Generell kann man sagen, dass der Westen wesentlich reicher ist als der Osten. Gerade die Kleinstädte und Dörfer sind von der Chancenungleichheit am schlimmsten betroffen.
Diese Umstände sind jedoch für die nationale Minderheit der Roma noch viel fataler als für die Mehrheitsbevölkerung. Denn die Bevölkerungsgruppe der Roma ist an sich schon von Vorurteilen, Armut und Perspektivlosigkeit betroffen, zumindest die ca. 50%, die abgeschnitten vom Rest der Slowaken leben. Die Slowakei hat nach Rumänienden zweitgrößten Anteil von Roma in der EU. Sie haben einen Anteil von etwa 10% an der Gesamtbevölkerung der Slowakei und sind stark von Benachteiligungen betroffen.
Zahlreiche Statistiken zeigen, dass die Lebenserwartung der Roma geringer ist als der nationale Durchschnitt, dass die Arbeitslosenquote bei über 80% liegt, in Ghettos teilweise sogar bei 100%, und 92% der Roma in Haushalten mit hohem Armutsrisiko oder bereits unter der staatlichen Armutsgrenze leben.
Diskriminierung ist dabei ein sehr entscheidender Faktor, denn etwa die Hälfte der befragten Roma in einer Studie der European Union Agency for Fundamental Rights gaben an, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft bei der Arbeitsplatzsuche schon diskriminiert worden zu sein. Zudem haben 80% der Mehrheitsbevölkerung angegeben, Roma nicht als Nachbarn haben zu wollen. Daher leben viele Roma in Siedlungen oder Stadtteilen, die schlechter entwickelt sind als ihre Umgebung. Statistiken zeigen, dass 55% der Haushalte nicht Strom, Bad, Toilette oder Küche innerhalb ihres Wohnraumes haben. Wenn sie umziehen wollen, wird das häufig von lokalen Autoritäten verhindert, indem ihnen verboten wird, Land zu kaufen oder darauf zu bauen, wie Zahlen des Country Reports 2011 zeigen.
Besonders in Bildungsfragen sind Roma nach wie vor benachteiligt. Laut den Zahlen einer Studie der Vereinten Nationen haben nur 19% der erwachsenen Roma einen höheren Schulabschluss, viele der Kinder gehen auf Sonderschulen, teilweise unbegründet und erhalten dort eine Bildung, die nicht auf einen höheren Bildungsweg vorbereitet. Schätzungsweise mehr als 30% der slowakischen Roma sind Analphabeten. Niedrige oder nicht existente Schulbildung bedeutet schlechte Zukunftschancen und so wird jungen Roma der Weg in höhere Berufe schon frühzeitig verstellt.
In Deutschland zu leben bedeutet, die Augen davor verschließen zu können. Doch wer im Süden der Slowakei lebt, hat die Realität der Armut und Perspektivlosigkeit direkt vor seinen Augen. Wie gehen die Menschen hier damit um?
Ich arbeite in YMCA Revúca, einem Zentrum, das die Kinder und Jugendlichen von Jelšava, besonders diejenigen aus der Romagemeinschaft unterstützt. Wir bieten ihnen einen sicheren Platz, um ihre Nachmittage zu verbringen, wo sie akzeptiert werden und lernen können. Eine der bedeutendsten Dinge, die das Zentrum leistet, ist jedoch, dass den Kindern eine Chance gegeben wird. Eine Chance, die ihnen sonst verweigert wird. Hier werden die Kinder in der Schule und im Alltag unterstützt und können an Projekten teilnehmen, die darauf abzielen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Nach mehreren Jahren von im Zentrum verbrachten Nachmittagen hat einer der Freiwilligen mit dem Studieren begonnen. Andere machen einen Freiwilligendienst im Ausland.
Besonders die Roma, die ins Ausland gehen oder Kontakt mit ausländischen Jugendlichen haben, schaffen es häufig, dem Teufelskreis der Armut und Diskriminierung zu entkommen. Was wieder einmal beweist, wie viel das Programm Europäischer Freiwilligendienst wert ist.
Denn wenn vorurteilsfrei aufeinander zugegangen wird, wenn verschiedene Lebensweisen aufeinander treffen und als gleichwertig akzeptiert werden, können Wunder geschehen und neue Möglichkeiten tun sich auf.
Die Freiwilligendienste einzelner Roma oder anderer Europäer, die nach Jelšava kommen, werden sicher nicht die Probleme der ganzen Romagemeinschaft der Slowakei lösen. Aber in Jelšava haben sie auf jeden Fall einen Unterschied gemacht. Also bleibt offen und gebt den Leuten eine Chance, die sonst keine haben!
Quellen:
Hauptquelle: -Immagration and Refugee Board of Canada: http://www.refworld.org/docid/503601022.html
-http://diepresse.com/home/ausland/welt/634046/Am-Rand-der-Gesellschaft_Roma-in-der-Slowakei
-http://www.economist.com/blogs/easternapproaches/2013/09/roma-slovakia
Bildquelle: alle Bilder von mir, außer Infografik:
http://cpkprojekt.ukrajina.sk/system/cpk_en/uvod/makroekonomicky_ramec_krajiny_a_regionu.html abgerufen am 9.4.2017