Demokratie in Bulgarien: Kommunalwahlen und ein Referendum im Herbst 2015
Am 25. Oktober können die Bulgaren entscheiden: Wer soll auf kommunaler Ebene das Land regieren? Außerdem soll auch ein Volksreferendum stattfinden: Es soll darüber abgestimmt werden ob bei Wahlen und Abstimmungen zukünftig auch elektronische Fernstimmabgabe am Computer möglich sein soll.
Wer steht zur Wahl?
GERB. Die GERB hat wohl die größten Chancen auf einen Wahlsieg. Die Partei der „Bürger für eine bulgarische Entwicklung Bulgariens“ wurde 2006 gegründet. Parteichef ist der amtierende Premierminister Bulgariens Boyko Borisov. Bereits bei ihrer ersten Parlamentswahl 2009 konnte die Partei mit knapp 40 % die Wahl für sich entscheiden und die sozialistische Regierungskoalition ablösen. Die Partei ist konservativ ausgerichtet und wird u.a. von der CSU unterstützt. Sie setzt sich für eine enge Zusammenarbeit mit der EU und eine freie Wirtschaft ein.
BSP. Die BSP ist eine sozialistische Partei. Vor der Gründung der GERB war sie die stärkste Partei in Bulgarien. Nicht nur die Gründung der GERB als Wahlalternative, sondern auch die zahlreichen Korruptionsvorwürfe haben die BSP zahlreiche Wähler gekostet. Der Parteiführung wurde vorgeworfen den Kontakt zu Parteibasis verloren zu haben und dadurch total abgehoben ist. Statt der Interessen der Wähler vertrete sie vielmehr die Interessen der Mafia-Oligarchen.
DPS. Die DPS ist eine liberale Partei, auf Deutsch bedeutet der Name „Bewegung für Rechte und Freiheit“. Die Partei vertritt die Interessen der türkischen Minderheit sowie die der oftmals diskriminierten Roma in Bulgarien. Etwa 9% der bulgarischen Bevölkerung sind türkischer Abstammung, das Verhältnis zu den Bulgaren ist angespannt. Geschichtlicher Hintergrund sind 500 Jahre Fremdherrschaft und Besetzung durch das Osmanische Reich – erst vor 300 Jahren konnte Bulgarien sich befreien und Unabhängig werden. Im Sozialismus hat man versucht die türkischen Bürger zu assimilieren, z.B. indem man ihnen bulgarische Namen gegeben hat. Der Vorschlag der DPS Türkisch als Fremdsprache in Bulgarien einzuführen sorgte für Empörung. Als die Partei ihre Wahlkampfkampagne mit dem „Lied der Prinzessin Raina“, ein Lied, das von der Befreiung Bulgariens von der türkischen Herrschaft handelt startet lösen sie einen handfesten Skandal aus. Weil sie das Lied auf Türkisch singen. http://www.dnevnik.bg/bulgaria/2015/09/28/2617481_pesen_za_raina_kniaginia_pri_starta_na_kampaniiata_na/
Ataka. Ataka ist eine nationalistische Partei. Die konservative Partei möchte die christlichen Werte und die bulgarische Kultur stärken und äußert sich dabei stark rassistisch gegen Muslime, Immigranten, Türken und Roma. Eine Mitgliedschaft in der EU lehnen sie ab. Grund dafür ist u.a. der große Importüberschuss von etwa 6 Milliarden US Dollar jährlich, den die zahlreichen Produkte aus der EU bescheren. Sicher tut es der bulgarischen Wirtschaft nicht gut wenn die Menschen in dm, Lidl oder Kaufland gehen um dort „Deutsche Markenbutter“ zu kaufen. Andererseits bringt eine EU-Mitgliedschaft auch Fördergelder, wie z.B. für die Kulturhauptstadt Plovdiv 2019. Stiftungen die in Bulgarien tätig sind um kulturelle oder soziale Aspekte zu fördern kommen i.d.R. aus dem Ausland. Außerdem macht eine EU Mitgliedschaft das Land als Wirtschaftsstandort attraktiver. Viele deutsche Unternehmen – v.a. im IT Bereich – suchen hier nach günstigen Arbeitskräften. „In Deutschland könnte ich das Vierfache verdienen, obwohl alles nur zweimal so teuer ist“, erklärt mir mein Freund Vesselin. „Trotzdem bleibe ich hier“. Eine weitere rechte Partei ist die „Nationale Front für die Rettung Bulgariens“, welche aus Ataka hervorging. Sie unterstützt momentan auch außerparlamentarisch die GERB Regierung.
Splitterparteien. Es gibt weitere kleine Parteien, die auch im bulgarischen Parlament sitzen. Trotz 4% Hürde sind in diesem Parlament 8 verschiedene Parteien. „Viele kleine Parteien im Parlament sind ein Indikator für die Zerstrittenheit des Landes“ meint mein Freund Plamen. Mit ihm treffe ich mich an einem Abend in einem Café um mir das politische System und die anstehenden Wahlen erklären zu lassen. „Bulgarien ist eine der am schnellsten schrumpfenden Bevölkerungen. 1998 waren wir noch 9 Millionen, jetzt leben hier 7,3 Millionen und in 2050 werden es wohl nur noch 5 Millionen Menschen sein“. Die Geburtenrate ist hier ähnlich niedrig wie in Deutschland, aber vor allem viele junge Menschen verlassen das Land in Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Chancen. Das hat große Auswirkungen auf den demographischen Wandel: „Aktuell sind 31% der Bevölkerung über 60 Jahre alt, 2050 werden es 44 % sein.“
„Die Leute wissen hier, wen sie wählen, die meisten Parteien haben seit Jahren die gleichen Kandidaten“ meint Plamen. „Was die Wahlergebnisse wirklich beeinflusst sind die demographischen Veränderungen.“
Nicht nur zum Arbeiten, auch zum Studieren gehen viele ins Ausland. „Ein Studium in Varna ist vielleicht genauso gut wie eins in München, aber es hört sich einfach besser an im Lebenslauf“ erklärt mir Plamen. Manche bleiben im Ausland, manche kommen zurück. „Barcelona is my home now“ erklärt mir Alex, den ich abends in einer Bar kennen lerne. Er besucht seine Familie, genau wie seine Freundin Maryia, die mittlerweile in London lebt. Für die vielen Bulgaren im Exil werden während der Wahl Hunderte Wahlbüros im Ausland eröffnet, einige auch in Deutschland.
Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit. Mit um die 50% ist die Wahlbeteiligung sehr niedrig. Anfang der 90er waren es noch 90 %, doch die erste Euphorie stellte sich schnell ein. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der nicht unzufrieden ist und sich nicht über korrupte Politiker beschwert. Das anstehende Volksreferendum ist eine Initiative des Staatspräsidenten Rossen Plevneliev, der dadurch das Vertrauen und die Beteiligung der Bürger in der Politik stärken möchte. "Das Einbeziehen der Bürger im Entscheidungsprozess durch die Verfahren der direkten Demokratie, ist ein Beweis dafür, dass die Politiker dem Volk dienen. Ich bin sicher, dass bei einer exakten Reglementierung und guter Organisation dieses mächtigsten Instruments der direkten Demokratie das politische Ambiente fester und stabiler macht, sodass man durch stärkere Bürgerbeteiligung Politik- und Parteienverdrossenheit entgegenwirkt", so Plevneliev.
Auf der Suche nach Stabilität. Die letzten Jahre in Bulgarien waren geprägt von zahlreichen Regierungswechseln. 2001 kandidierte Simeon Sakskoburggotski, der ehemalige König von Bulgarien bei der Parlamentswahl. Ein wenig kurios, denn 1946 musste der Monarch infolge eines Referendums in dem sich die Bulgaren für eine Republik entschieden abdanken. Bis 1996 lebte er im Exil. Dabei war der Zar nicht unbedingt unbeliebt in der Bevölkerung, vor allem zur Zeit des Kommunismus wünschten sich manche Bulgaren den bürgernahen König zurück. Für die Wahl 2001 gründete er die Partei „Nationale Bewegung für Stabilität und Fortschritt“ und versprach im Wahlkampf schnelle und erhebliche soziale Verbesserungen und mehr Wohlstand. Damit konnte er über 40% hoffnungsvolle Wähler erwerben, die in den nächsten Jahren allerdings enttäuscht wurden, da keine schnelle Verbesserung eintraf.
2005 bis 2009 regierte die sozialistische BSP Regierung Stanischew. Korruptionsvorwürfe und angebliches Mitwirken bei organisierter Kriminalität resultierten in der Abwahl 2009. Die neugegründete GERB erreichte in ihrer ersten Parlamentswahl etwa 40% der Stimmen. Sie hatte sich nicht nur eine stärkere Bindung an die EU sondern auch den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen geschrieben. Ein großer Fehler ihrer Politik war die Aufgabe aller staatlichen Anteile in der bereits privatisierten Strom- und Energieverteilungsbranche. Daraufhin verdoppelten sich die Stromrechnungen weil verschiedene private Unternehmen regionale Monopole errichteten. Stromkosten machen in Bulgarien einen Großteil der Ausgaben der privaten Haushalte aus. Als die Stromrechnungen im Januar 2013 doppelt so hoch waren, wie im Monat zuvor gingen die Menschen auf die Straße zum Protestieren, sie verbrannten ihre Stromrechnungen symbolisch in der Öffentlichkeit. Man muss sich dabei bewusst sein, dass es im Winter in Bulgarien bis zu -20° Celsius kalt wird und man auf Strom zum Heizen angewiesen ist. Der Protest richtete sich zuerst gegen die privaten Energieunternehmen, mündete jedoch bald in einer Anti-Regierungsbewegung. In 35 verschiedenen Städten demonstrierten insgesamt 100.000 Bürger gegen die GERB Regierung. Manche Demonstrationen eskalieren, immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Polizisten. Am 20. Februar 2013 tritt die Regierung zurück.
Die vorgezogenen Parlamentswahlen im Mai 2013 resultierten in einer Minderheitsregierung der sozialistischen BSP, der DSP (die die Rechte der türkischen Minderheit vertritt) und der nationalistischen Ataka. Auf jeden Fall eine gewöhnungsbedürftige Koalition. Bereits 2 Wochen nach Regierungsbildung kam es zu Protesten wegen gebrochenen Wahlversprechen und Besetzungen von Ämtern durch Politiker, die bereits in der korrupten Regierung Stanischew vertreten waren und denen enge Beziehungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden. Ebenfalls für Aufruhr sorgte die Wahl des Medienmoguls und Oligarchen Deljan Peewski zum Chef der Staatlichen Agentur für nationale Sicherheit (DANS). Einen Tag vor der Wahl kam es zu einer Gesetzesänderung im Eilverfahren: DANS bekam das Recht für 24 Stunden Festnahmen, Durchsuchungsrechte und Strafverfolgunsvollmachten. Außerdem wurde durch die Gesetzesänderung beschlossen, dass der DANS-Vorsitz ab sofort nur eine juristische Ausbildung benötigt und nicht wie zuvor lange praktische Erfahrungen – Peewski konnte diese Erfahrungen nicht vorweisen, das Gesetz wurde also auf ihn zugeschnitten.
Dadurch verlor die Regierung endgültig den Rückhalt im Volk und auch des Vertrauen des Präsidenten Plevneliev. Einen Monat lang finden vor allem in Sofia Demonstrationen gegen die Regierung statt. Die Medien, die Peewski gehören berichten nicht darüber. Der Großteil der Berichterstattung findet durch Blogger im Internet statt. Dabei wird #DANSwithme verwendet, in Anspielung an die Staatliche Agentur für nationale Sicherheit DANS und das englische „dance“, dieses Hashtag betont einen friedlichen gewaltfreien Protest. Erst im Oktober 2014 tritt die Regierung zurück.
Prosteste in Sofia: https://www.youtube.com/watch?v=Qs6HCBhpH6U&app=desktop
Demokratie? Ich bin ein wenig schockiert als ich erfahre, dass es an bulgarischen Schulen keinen Politikunterricht gibt. „Wie wollt ihr denn dann wissen wie ihr in der Politik mitbestimmen könnt?“ frage ich. „Wir machen es einfach nicht?“ meint Gergana. „Aber es wäre sehr nützlich sowas in der Schule zu lernen!“. "Eigentlich lernen wir schon etwas über Politik", widerspricht Plamen. "Im Geographieunterricht und auch in der sechsten Klasse einen Monat, in höheren Klassen dann im Geschichtsunterricht. Aber ein eigenes Fach für Politik gibt es nicht."
Außerdem ist das Land bekannt für Fälle von Wahlbetrug und Stimmkäufe. Politikwissenschaftler schätzen die Anzahl der gekauften Stimmen bei Wahlen auf ca. 15%. Eine Stimme kostet dabei in der Regel 20 Leva (=10 Euro). Vor allem in bitterarmen Roma-Communities gehen Politiker gerne stimmen shoppen. Oft gibt es Parteien, die in diesen armen Wohngegenden Ergebnisse an die 90% erzielen. Eigentlich äußerst verdächtig. Gerade wegen dem Stimmkauf wäre eine hohe Wahlbeteiligung sehr wichtig, um den Effekt der gakauften Stimmen zu minimieren. Auch zu Wahlbetrug kommt es immer wieder. 2013 wurden bei der Parlamentswahl 350.000 gefälschte Stimmzettel einen Tag vor der Wahl von der Polizei in einer Druckerei sichergestellt. Später kam heraus, dass der Besitzer der Druckerei ein Vertrauter des amtierenden Premierministers Boyko Borisov ist.
Satire. Unzufriedenheit und Ablehnung, aber Spaß muss sein! Dimitar Dichev (No.69, rosa Wahlplaket in der Bildergallerie) sorgt mit seinem 3- Punkte Wahlprogramm für Lacher:
Die Kosten für „Onkel Wanja“ reduzieren (Anmerkung: es handelt sich um ein Unternehmen, dass Sonnenblumensamen verkauft)
Kostenlose Versicherungen für alle
Eine größere Vielfalt an Dönersorten
Na dann mal viel Erfolg!
Ich hoffe, dass die Wahlbeteiligung am Sonntag sehr hoch ist, denn wie man so schön sagt:
„Wählen ist wie Zähne putzen, wenn man es nicht tut, wird’s braun!“
PS: In der Bildergalerie finden sich Fotos der kuriosesten Wahlplakate :-)
Gregor Gysi meinte einmal, es sei ein weitverbreitetes Irrtum in Deutschland, dass man nur seriös sein kann, wenn man langweilig ist.
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