Dear Britannia, things aren’t right we have to face it…
It's not a secret that the Brexit referendum is breaking up the EU as we currently know it. But could it also rip the UK itself apart?
There's an English version below :)
Als ich im Januar für meinen Freiwilligendienst in Edinburgh ankam war der bevorstehende Brexit Hauptthema in Großbritannien. Ähnlich wie jetzt gerade wurde gemunkelt und diskutiert, ob es einen Deal oder No-Deal-Brexit geben würde, was die Auswirkungen für die Wirtschaft sein würden und ob der Bürgerkrieg in Nordirland wieder aufflammen könnte.
Außerhalb des vereinigten Königreiches werden England und Schottland meist in einen Topf geworfen und England als stellvertretend für alle genannt. Das ist einer der größten Fauxpas, die man in Schottland bringen kann und wird einem dort dementsprechend schnell ausgetrieben. Wahrscheinlich ähnlich wie man sich bei Franken unbeliebt macht, wenn man sie als Bayern bezeichnet und Kölner nicht hören wollen, sie kämen aus dem Ruhrpott.
Allerdings trennen Schottland und England nicht nur kulturelle Unterschiede, sondern vor allem politische Meinungsverschiedenheiten und eine von Feindseligkeit geprägte Geschichte.
Der Brexit ist ein gutes Beispiel. Im Gespräch mit Schotten kann man sich die Frage danach, wie sie zum Brexit stehen, eigentlich sparen. Eine große Mehrheit wollte den Austritt aus der EU nie. 2016 haben 62% für einen Verbleib gestimmt. Eine meiner Kolleginnen dort trug am 31. Januar sogar komplett schwarz als Zeichen der Trauer um den Austritt aus der EU. Abgesehen davon, gab es viele Demonstrationen gegen den Brexit und die konservative Regierung in London.
Viel schwieriger ist für viele die Frage der Unabhängigkeit. Bereits 2014 gab es ein Referendum, in dem sich 55% der Schotten für die Einheit mit Großbritannien aussprachen. Trotz gegenseitiger Antipathie sind Schottland und England in vielerlei Hinsicht natürlich eng verbunden. Viele Schotten leben in England oder haben Familie dort, und besonders in der Grenzregion gibt es Pendler und wirtschaftliche Verknüpfungen. Aber einige ließen sich 2014 (lang bevor der Brexit überhaupt Thema war) auch von dem Argument überzeugen, dass sie im Falle der Unabhängigkeit nicht mehr Teil der EU wären. Dementsprechend fühlen sich jetzt viele von der Regierung in Westminster bevormundet und übergangen.
Allgemein gab es Diskussionen um eine Unabhängigkeit schon lang vor dem Brexit. Schottland ist in vielen Belangen progressiv und gleichzeitig sehr patriotisch. Es mag zwar ein flächenmäßig großes Land sein, aber es hat nur etwas mehr als 5 Millionen Einwohner. Dadurch können sie von insgesamt 650 nur 59 Sitze im britischen Parlament (ca. 9%) besetzen und haben dort wenig politischen Einfluss. Selbst wenn ganz Schottland in der britischen Parlamentswahl 2019 geschlossen für eine sozialdemokratische Partei gestimmt hätte, hätten die konservativen Tories immer noch eine absolute Mehrheit im Unterhaus errungen.
Befeuert wird der Unmut über die britische Politik auch durch die führenden Wegbereiter des Brexit. Figuren wie David Cameron und Boris Johnson (auch mehr oder weniger liebevoll BoJo genannt) gelten ohnehin als elitäre Politiker aus einflusseichen Familien. Sie verkörpern für viele eine egoistische Politik die sich eher an der Wirtschaft als an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Außerdem wird Johnsons Umgang mit der Coronapandemie (die anfängliche Idee einer Herdenimmunität und der dadurch recht späte Lockdown) von vielen sehr kritisch gesehen. Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon ist in dieser Frage oft mit der britischen Regierung aneinandergeraten und hat in Schottland seitdem striktere Regeln umgesetzt.
Als „Antwort“ auf den Brexit strebt Sturgeon außerdem schon seit einiger Zeit ein erneutes Referendum über eine schottische Unabhängigkeit an. Allerdings ist sie dabei von der Zustimmung der UK-Regierung abhängig, die sehr deutlich gemacht hat, dass sie dieses Vorhaben nicht unterstützen wird. Ein Grund dafür ist wahrscheinlich, dass durch den Brexit sehr viele Schotten die 2014 gegen die Unabhängigkeit gestimmt haben oder sich unsicher waren, jetzt dafür stimmen würden.
Vor meiner Zeit in Schottland hatte ich relativ wenig Verständnis für die Unabhängigkeitsbestreben von Ländern wie Schottland oder auch Katalonien. Ich hatte immer den Eindruck, dass diese Vorhaben hauptsächlich durch Nationalstolz und den Willen sich abzugrenzen motiviert waren. Aus deutscher Sicht ist das ja oft mit der Ausgrenzung Anderer und konservativen Werten verbunden. Aber mit ihrem Patriotismus grenzen sich die Schotten hauptsächlich von „den Engländern“ und ihrer größtenteils konservativ geprägten Politik ab. Allgemein habe ich die Menschen dort als sehr weltoffen erlebt und wurde oft von ihrer Begeisterung über die eigene Kultur und Geschichte angesteckt und nicht ausgegrenzt.
Ehrlicherweise sollte man aber auch bedenken, dass ich mich dort durch meinen Freiwilligendienst auch manchmal in einer kleinen Bubble bewegt habe.
Je mehr ich also mit den Schotten selbst über eine mögliche Unabhängigkeit geredet habe und auch die politischen Differenzen verstanden habe, desto mehr kann ich den Wunsch danach nachvollziehen. Aber würde ich genau so denken, wenn es andersherum wäre: Ein kleines konservatives, nationalistisches Gebiet, dass sich von einem großen mehrheitlich progressiven und fortschrittlichen Land abspalten will? Die Antwort ist wahrscheinlich nein.
Außerdem muss man zugeben, dass niemand die Auswirkungen einer Unabhängigkeit Schottlands wirklich abschätzen könnte. Wenn die britische Regierung mit Schottland ähnlich unnachgiebig verhandeln würde wie mit der EU, könnte das auf jeden Fall ein sehr langwieriger Prozess werden.
Ob ich selbst eine schottische Unabhängigkeit befürworten würde weiß ich also ehrlich gesagt nicht. Meine Meinung ist ja zum Glück auch nicht relevant. Allerdings würde ich ihnen zumindest ein neues Referendum wünschen, denn der Brexit hat einiges verändert und wird das wohl auch weiterhin tun.
Hier noch ein paar Empfehlungen, falls ihr euch weiter zu dem Thema informieren wollt:
Last Week Tonight on Scottish independence: https://www.youtube.com/watch?v=-YkLPxQp_y0
(sehr unterhaltsam und auch gute Argumente gegen Unabhängigkeit)
Musik: "Son I voted yes" & "Marriage counselling", beide von Stanley Odd
Der Titel dieses Textes “Dear Britannia, things aren’t right we have to face it...” ist der Beginn des Songs „Marriage Counselling“ in dem Stanley Odd sich eine Konversation zwischen den beiden Ländern über eine Trennung vorstellt und die Gründe für den Wunsch nach Unabhängigkeit super gut darstellt.
Historischer Überblick über schottische Unabhängigkeitbestrebungen:
https://www.smithsonianmag.com/history/brief-history-scottish-independence-180973928/
English:
When I arrived in Edinburgh for my volunteering project in January Brexit was imminent and one of the biggest topics in the news. People wondered and discussed whether there would be a “Deal-” or “No-Deal”-Brexit, what the consequences for the economy would be, as well as the impact it would have on Northern Ireland.
Outside of the UK England and Scotland are often lumped together and the UK is simply labelled as English. In Scotland this is one of the biggest faux pas and some people get really pissed off because of it. The reason for that is that there are not just cultural differences that separate the two countries. They also have some big political disagreements and share a history that’s shaped by hostility.
Brexit is a good example for that. When you speak with Scots you don’t really need to ask them how they feel about Brexit. A big majority never wanted to leave the EU. In Scotland 62% voted to stay in the EU in the 2016. On the 31st of January, the official day the UK left the EU, one of my Scottish colleagues only wore black clothing as a sign of grief. Apart from that, there were a lot of demonstrations criticising Brexit and the conservative government in London.
For many, the question that’s a lot more tricky is whether or not Scotland should become independent. In 2014 they already had a referendum where 55% voted to stay part of the UK. Despite the antipathy, Scotland and England are obviously still closely connected. A lot of Scots live in other parts of the UK or have family members there. People also commute between England and Scotland and there are strong economic relations, particularly near the border. But in 2014 (long before Brexit was even a relevant topic) many were also persuaded by the argument that an independent Scotland would lose its EU membership. That’s why a lot of people now feel betrayed and not taken seriously by the UK government that keeps pushing for a hard Brexit.
But the discussions about independence aren’t new. They’ve existed long before Brexit. In a lot of ways Scotland is a progressive but also very patriotic country. It might look big on the map, but it only has a little more than 5 million inhabitants. As a consequence, they can only appoint 59 members of the UK parliament (out of 650 in total). That’s about 9% of all seats and therefore gives them little influence on UK politics. Even if all Scots had voted for a social democratic party in the last UK election, the conservative Tories would still have won the absolute majority.
A lot of Scots are also frustrated with UK politics because of its leading politicians. Figures like David Cameron or Boris Johnson (also often called BoJo) are seen as elitist politicians from influential families. For many, they stand for egoistic decisions that rather benefit the economy than the people. Johnsons handling of the Coronavirus pandemic is also criticised because at first he supported the idea of creating a herd immunity and therefore started the first lockdown quite late. The fact that the National Health Service was not adequately funded for years and conservatives talked about privatising it only adds to this frustration. The Scottish First Minister Nicola Sturgeon had big disagreements with the British government about these issues and is generally implementing stricter rules in Scotland.
As an “answer” to Brexit Sturgeon has also been advocating for a new referendum on Scottish independence. However, she needs the approval of the UK government, which has already made it clear that it won’t support that. One reason for that is probably that because of Brexit a lot of Scots that voted against independence or were unsure in 2014 would now vote for it, to join the EU again.
I didn’t really understand the wish for independence in countries like Scotland or Catalonia before I went abroad. I always had the impression that such plans are mainly motivated by patriotism and the need to “be different”. For me as a German that’s often connected to excluding others and standing in for old-fashioned values. But Scotland mainly uses this national pride to differentiate itself from England and its generally conservative politics. I experienced Scotland as a very open-minded country and their love for their own culture was infectious not segregating.
To be fair though, I have to admit that I sometimes lived in a very EU-friendly bubble there because of my voluntary service.
The more I talked about independence with Scottish people and also understood the political reasons, the more I can comprehend why a lot of them want it. But would I think the same, if it was the other way around? If it was a small conservative, nationalist region that wants to be independent from a bigger country that’s more progressive? Probably not.
Also, no one really knows the consequences Scottish independence would have. If the UK government is as stubborn with Scotland as it behaves towards the EU, negotiations would be hard.
So, do I support Scottish independence? I’m not sure. Thankfully my opinion isn’t relevant. However, I would at least wish them a new referendum, because Brexit has changed a lot of things and will probably continue to do so.
A few recommendations, in case you want to know more about the topic:
Last Week Tonight on Scottish independence: https://www.youtube.com/watch?v=-YkLPxQp_y0
(very entertaining show, and a good summary, also with arguments against independence)
Music: "Son I voted yes" and "Marriage Counselling", both by Stanley Odd
The title of this text “Dear Britannia, things aren’t right we have to face it...” is the beginning of the song “Marriage Counselling”, in which Stanley Odd imagines a conversation between the two countries about breaking up. It shows the reasons for independence and the emotions behind it really well.
historical overview of the Scottish wish for independence:
https://www.smithsonianmag.com/history/brief-history-scottish-independence-180973928/