DAS WÄRE MIR IN DEUTSCHLAND NIE PASSIERT!!!!
Verzweifelt und putterrot vor Wut in Nancy
Nancy, 20 Uhr, leichter Regen, die Frisur sitzt mehr oder weniger und ich warte auf meinen Bus. Der letzte für diesen Abend. Deshalb bin ich extra schon 10 Minuten früher hier. Schließlich sind die Buszeiten hier nur Mittelwerte, sodass es öfter passieren kann, dass der Bus etwas früher oder (was noch öfter passiert) etwas später kommt als angezeigt. Ach was liebte ich es doch in meinem zeitbesessenen Deutschland wo schon 5 Minuten Verspätung die Passagiere verzweifeln und puterrot vor Wut werden lässt… Aber egal, ich bin drauf eingestellt, bin im französischen Bus-Business schließlich schon ein alter Hase.
Also warte ich. Um mich herum wird ein Rummel aufgebaut. Kurz beschlich mich die fürchterliche Angst, dass die Bushaltestelle aufgrund dessen versetzt worden sein könnte und suchte daher mit pochendem Herzen den Busfahrplan auf: Alles beim Alten, keine Bemerkungen, nur die freundlichen Mittelwert-Buszeiten, die mir entgegen blinzelten und mir sagten: „Claudi, du bist superpünktlich, also setz‘ dich hin und entspann‘ dich.“ Gut sagte ich mir, so wird’s gemacht und mit jedem Auto, das an mir vorbeifuhr, wurde ich sicherer, dass auch mein Bus es ihnen gleich tun wird.
Also warte ich… schon 3 Minuten Verspätung, nicht schlimm, wer weiß, vielleicht waren auf der Strecke zu viele Ampeln rot…ALSO warte ich…5 Minuten Verspätung, okay für eine Mittelwertzeit noch akzeptabel …Also W-A-R-T-E ich…10 Minuten Verspätung. Mmh…Nun wird’s seltsam, ich fing sogar schon an mir Sorgen um den „armen Busfahrer“ zu machen. Wenn ihm nun was zugestoßen ist? Bis ich dann aus dem Augenwinkel den Busfahrplan für die andere Buslinie sah. Hier war nichts mit entspann‘ dich Claudi zu lesen! Nein, diese nette Busgesellschaft hat ihre Kunden informiert, dass ihre Busse, aufgrund des Rummels, bis zum 7. Mai von einer anderen Stelle abfahren!!! WAS??? Ich suchte also verzweifelt und puterrot vor Wut noch einmal MEINEN vertrauten Busfahrplan auf: Nichts, und mittlerweile exakte 13 MINUTEN Verspätung…Und da ist sie wieder: Die Angst, dass auch MEINE Haltestelle versetzt worden ist. Nur, dass mich diesmal kein blödes Schild, oder sogar mein Bus diese Angst hätte vergessen lassen. Im Gegenteil: Ein letzter Blick auf die Uhr sagt mir: 20 Minuten Verspätung. Jepp, jetzt ist es wohl sicher, dass hier vor dem 7.Mai KEIN Bus vorbeifahren wird…
„DAS WÄRE MIR IN DEUTSCHLAND NIE PASSIERT!!!!“ schreie ich den Fahrplan an. Denn bei uns ist es das Mindeste, dass in solchen Fällen ein Zettel hingehangen wird! EINE KLEINE NOTIZ!!! Verdammt, ich erwarte ja von Euch hier nicht, dass ihr wie eure Streberkollegen von der anderen Busgesellschaft ein schickes Design entwerft. Eine handgeschriebene Notiz auf einem Kaugummipapier hätte es auch getan, aber wieso klappt das nicht. Plötzlich fällt mir alles wieder ein was mich am französischen Straßenverkehr aufregt:
An alle Franzosen: Hier ein paar Tipps:
-An Zebrastreifen hält man mit dem Auto AN,
-grün wird es nicht schneller, wenn man alle 5 Sekunden versucht anzufahren um dann wieder scharf zu bremsen, aber man könnte das Ampellicht natürlich besser beobachten, wenn man sie nicht ständig ÜBERFAHREN würde!!!
-und auch an Fußgängerampeln wartet man bei ROT,
-blinken fügt Ihnen und Ihren Mitmenschen KEINEN erheblichen Schaden zu
-UND wenn eine Haltestelle versetzt wird macht man einen vernünftigen Aushang!!!!
AAAARRRRR! Toll! Letzter Bus weg für heute…und nun? Zum Glück durfte ich bei Anne übernachten. Also machte ich mich auf den Weg zu ihr und ließ die Foo Fighters meinen Frust von der Seele singen. Wobei ich schadenfroh denke: Ha! Solche Lieder funktionieren nicht in Französisch, einer Sprache, von der man denkt, dass sie nur über Liebe und gutes Essen spricht!!! Und ja, für alle die gerade an ihr Ausreiseseminar denkenIch weiß, dass ich in Stereotypen denke!!!
…Wobei das mit dem guten Essen gar nicht so falsch ist. Letztens auf der Arbeit hat mich beispielsweise ein 7 jähriges Mädchen entsetzt angeschaut, weil ich meine Gurke NACH der Hauptspeise gegessen habe. „Das ist doch eine Vorspeise“ hat sie mich verzweifelt aufgeklärt. Und auch als wir über ausgewogene Ernährung mit den Kindern gesprochen haben, war ich erstaunt, dass die Kinder Rockford, Camembert, Brie und andere Käsesorten voneinander unterscheiden konnten. „Das wäre mir in Deutschland nie passiert“, dachte ich bei mir. Wenn man ein deutsches Kind etwas über Käse fragt, kann man froh sein, wenn es nicht mit „Der stinkt!“ antwortet. Das bewundere ich ja schon an den Franzosen. Ebenso finde ich es toll, wenn ich jemanden anremple!
Also nein, auch wenn ich wütend über die französische „N’importe quoi“-Einstellung im Straßenverkehr bin, neige ich noch nicht zu Pöbeleien. Ich rede davon, dass sich stets beide Beteiligten in solcher Situation entschuldigen und mir niemand verzweifelt oder puterrot vor Wut ein „Pass doch auf!“ hinterher brüllt… Naaaaa gut, es ist nicht alles schlecht hier. Und das ist wahrscheinlich auch Teil vom großen „Kulturaustausch“ den man während seines EFD’s vollzieht.
Also ja, ich kann wirklich zugeben „Das wäre mir in Deutschland leider nie passiert.“
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