Das Türkische Militär - Hüter der Demokratie?
15.Juli 2016: In einem dramatischen Putsch versucht das türkische Militär die demokratisch legitimierte Regierung zu stürzen - Ein historischer Machtkampf...
Wie paradox es auch klingt, ihrem Selbstverständnis nach sind sie die wahren Demokraten: Die militärische Elite der Türkei. In diesem Glauben putschen sie sich seit Gründung der Nation immer wieder an die politische Spitze, schaffen rechtswidrige Regime, die mit Terror und Gewalt herrschen. Davon erzählt die Eltern-Generation, von dem Chaos, den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Achtzigern Jahren – Aber heute? Die Türkei, eine aufstrebende Wirtschaftsmacht, mit einer zunehmend westlich orientierten modernen Gesellschaft, integriert in internationale politische Organe wie z.B. die Nato, erlebte eine lange Phase der Konsolidierung.
Umso überraschender erreichte mich gestern die Nachricht eines Putsches: Am 15.Juli 2016, um 22 Uhr besetzt eine Teilgruppe des Militärs einen Fernsehsender und verkündete die Machtübernahme durch das Militär, sie verhängten eine Ausgangssperre und Kriegsrecht. Eine dramatische Nacht beginnt: Präsident Erdogan flieht zunächst, in Istanbul werden die wichtigen Verkehrsknotenpunkte wie die Bosporus-Brücken und der Atatürk-Flughafen mit Panzern okkupiert und in Ankara kreisen Militärhubschrauber, man hört Schüsse.
Hier, aus dem fernen Europa, scheint das alles surreal, doch im Kontext der türkischen Geschichte fügt sich das heutige Geschehen in die Tragik eines Machtkampfes, der ein Land spaltet:
Tatsächlich nimmt das Militär seit jeher eine gesonderte Rolle in der türkischen Gesellschaft ein. 1913, noch während des osmanischen Reiches, vollzog sich der erste Militärcoup, bei dem eine Partei diktatorische Macht erlangte und die Türkei in die Wirren des ersten Weltkrieges zog. Erst in den Befreiungskriegen gegen die Besatzermächte entstand dann die moderne Türkei, unter dem Kommandant Atatürks. Im Hintergrund dieser blutigen Gründungsgeschichte musste sich die Nation dann definieren, was Atatürk mit diversen Reformen und Leitprinzipien versuchte. Heute wird der Staatsmann kultmäßig verehrt, und seine Ideologie von vielen absolut gesetzt.
Das Militär interagierte in diesem Prozess stark mit der Politik und konnte sich so eine Machtposition sichern, die nicht mehr demokratisch legitimiert ist: Da die Kommandanten der Führungsriege immun und damit strafrechtlich nicht verfolgbar sind, schafften sie es, einen „Staat im Staate“ aufzubauen, das heißt eine halbformelle, kriminelle Herrschaftsstruktur.
Mit dieser intervenieren sie immer wieder das politische Geschehen in der Türkei: Sei es durch gezielte Terroranschläge (die oftmals als Taten der PKK vertuscht werden) bis hin zu bewaffneten Konflikten. Die selbsternannten Hauptvertreter der türkischen Interessen sehen die kemalistische Gesellschaftsordnung durch die Politik der regierenden Partei AKP bedroht: Deren konservativ-islamischer Kurs, der Freiheitsrechte einschränkt und dem Regierungsoberhaupt Erdogan immer mehr Macht einräumt, schätzen sie als eine Gefahr für die Demokratie ein.
In diesem Zusammenhang lässt sich auch der Putsch-Versuch vom 15.Juli verstehen, der sich mittlerweile fast aufgelöst hat: Nach dem Aufruf des Präsidenten sind Tausende auf die Straße gegangen, um für ihr Land und ihre Regierung zu demonstrieren, haben Panzer gestürmt und ihre Solidarität gezeigt. Das lässt auch Zweifel aufkommen, vom wem dieser Coup letztlich motiviert ist, denn er spielt Präsidenten Erdogan perfekt in die Karten – Das ganze Volk ist mobilisiert und bekennt sich zu seiner Regierung….
Heute Morgen sind die Straßen wieder leer, angeblich werden noch Putschisten verhaftet und die Menschen haben Angst. Die Zukunft der Türkei ist ungewiss, und auch dieser Eklat war nur ein sichtbarer Vulkanausbruch des innerpolitischen Machtkampfes in der türkischen Politik.
Aber in diesem ganzen Interessenkonflikt stehen die Menschen, die in ihrer unterhöhlten Demokratie letztlich nur wie Puppen in einem Theaterstück wirken.