Das Allerheiligen-Wochenende
Johannson verbringt das Wochenende damit, sich die Umgebung von Lodz anzusehen. Darunter einen pittoresken Park und Warschau, wo er doch noch das traditionelle Allerheiligen erlebt.
In Polen gibt es ja erfrischenderweise (noch) kein Halloween. Der Termin ist nämlich schon fest von Allerheiligen besetzt. Das Wochenende wollte ich Tagesausflüge machen und nebenbei sehen, was sich auf den Friedhöfen abspielt.
Freitag - Arkadia
Freitag bin ich trotz anhaltender Erkältung noch mal nach Lowicz zurückgekehrt, um nach dem Schloss in Nieborow den Park in Arkadia abzuhaken. Der wurde von der Schlossherrin angelegt, dann verlassen und ist heute eine schöne Ecke Grün mit künstlichen und echten Ruinen mehr oder weniger auf dem Feld.
Auch einige der Erasmusler wollten sich beide Sachen ansehen, morgens stand dann aber nur Stasa bereit. Die ist slowenische Polonistin, und wir unterhalten uns nur auf Polnisch. Wenigstens ihr wollte ich stolz meine Landeskenntnis zeigen, habe sie aber erstmal in der Kälte auf den verspäteten Bus warten lassen.
Nieborow war diesmal ganz leer, obwohl zum letzten Mal offen vor der Winterpause. Der Tag stand im Zeichen des Wartens auf Busse, aber wir schafften es noch vor der immer früheren Dunkelheit nach Arkadia. Das ist kleiner als gedacht, aber die Ruinen und der Dianatempel am See nichtsdestotrotz sehr hübsch und romantisch, vor allem da wir trotz der Kälte wieder Sonne und blauen Himmel hatten.
So waren wir schnell genug fertig, Stasa auch noch die Basilika in Lowicz selbst zu zeigen. Das war 600 Jahre Hauptsitz der polnischen Bischöfe, ist der hübscheste Ort in der Nähe wenn man mal aus der Stadt raus will und bietet neben einem sehr süßen Heimatmuseum die schickste Corpus Christi Prozession im Land. Dann kam auch noch die große Monika von einem Vorstellungsgespräch in Lodz nach Lowicz zurück, sodass ich später als Stasa heimfuhr. Alles sehr nett.
Samstag - Finger weg von Wloclawek
Was ich da wollte... ich glaube einfach mal wieder an die Weichsel. Die Stadt ist nicht allzu weit von Torun, eine lange Brücke über den Fluss, ich dachte wohl es wäre ähnlich... Stattdessen habe ich da meine Ladung 'echtes Polen' abgekriegt.
Erstmal den Zug hin verpasst, zwei Stunden warten weil kein Plan B. Dann die Stadt. Alles hätte so schön werden können: es war kalt aber klar, die Silhouette vom Bahnsteig aus vielversprechend. Der Marktplatz ganz ok, ein paar Kirchen, vor allem ein Franziskanerkloster, Schilder zu einem unauffindbaren Bischofspalast. Ansonsten alles leer... Feiertage können in Kleinstädten so traurig sein. Polen wie im Stereotyp.
Kaputte Häuser, ausgebrannte Häuser, schmutzige Hinterhöfe, Kinder spielen neben Besoffenen. Die einzigen auf der Straße wanken und fluchen, Jugendliche ohne Haare, dicke Kinder in tarnfarbenen Kapuzenpullis. Selbst die Weichsel ist viel leerer als vor zwei Monaten nicht weit flussabwärts, die Promenade schmutzig und leer.
Das Schlimmste: dafür habe ich jetzt Allerheiligen geopfert. Denn ein Friedhof ist nicht zu sehen. Dann verlasse ich mich auf den Zug statt den Bus für die Rückfahrt und bin zu spät in Lodz um noch sehr viel auf den dortigen Friedhöfen zu sehen. Dabei ist einer gleich beim Wohnheim. Wäre ich nur nicht nach Wloclawek gefahren, oder die 40 Minuten weiter nach Torun.
Trotzdem, der Nordfriedhof ist ein besonderer Anblick. Schon von Weitem blinken rote und gelbe Lichter in der Dunkelheit, um ein Kreuz eine wahre Insel von Kerzen. Kerzenduft, riesige Blumengebinde au den Gräbern. Auch um zehn abends sind noch Leute unterwegs. Vor vielen Gräbern eine kleine Bank um Angehörigen zu gedenken. Auf einer ein Mann, dem die Atmosphäre nicht viel zu helfen scheint. In den Straßen um den Friedhof Gerippe von Ständen, Haufen leerer Kartons, überquellende Müllcontainer, die Stadtreinigung ist schon unterwegs. Einige haben auch um zehn noch auf, die Verkäufer sind jung und kahlgeschoren und benutzen Flüche der heftigeren Art. Hier muss was los gewesen sein, und ich war nicht da.
Sonntag – Zweite Chance in Warschau
Sonntag bin ich zum Abschluss nach Warschau gefahren. Nur ein gemütlicher Tag ohne direkte Ziele, bloß um zu gucken was sich seit meinem ersten Besuch vor zwei Jahren verändert hat. Außerdem hatte ich von der großen Monika erfahren, dass auch Sonntag noch Allerheiligen ist, und es so noch eine Chance gab, etwas zu sehen. Warschau ist so schön nah, nur anderthalb Stunden. Mit den brandneuen Regionalzügen: mit Digitalanzeigen und Stationsansage und allem. Die EU-Förderplaketten noch an den Lokomotiven. Eine ältere Frau mit lila Haar schlägt bei der Abfahrt trotzdem ein Kreuz. In Warschau patroullieren im Hauptbahnhof sehr junge Männer der Militärpolizei.
Zuerst war ich im berühmten Kulturpalast gleich nebenan, zum ersten Mal. Ein echtes Labyrinth, und absolut verlassen. Ich fuhr auf die Panoramaplattorm im 30. Stock, aber der Dunst über der Stadt blendete in der Sonne. Danach bin ich einfach mit dem Rad durch die Gegend gefahren. Im sächsischen Garten streikten die Busfahrer, am Ehrenmal der Armee war grad Wachablösung, dann den Königsweg zum Schloss und zur Altstadt. Verschiedene Kirchen, der Marktplatz, ein Panorama der Weichsel, der neustädtische Markt.
Dann bin ich zum Powazkowski Friedhof, den mir die große Monika empfohlen hatte. Und tatsächlich, Menschenmassen in der Kälte. Wieder ein Stand nach dem anderen, aber diesmal in Betrieb: so sieht das also aus. An einigen entdeckte ich diese speziellen Süßigkeiten, die traditionell zu Allerheiligen auf den Friedhöfen verkauft werden. Einmal kleine Brotkringel am Band, und vor allem selbstgemachte Bonbons. Ich kannte das aus einer Dokumentation, hatte es aber nie selbst gesehen. Im Namen des kulturellen Lernens kaufte ich einige Kostproben, während zwischen den Leuten auf dem Friedhof einige Bettler herumliefen.
Das war nun also Allerheiligen in Aktion, und ich war schwer beeindruckt. Der Powazkowski Friedhof ist älter und noch größer als der in Lodz, viele wichtige Leute liegen dort, was leicht an den Kerzenmassen vor einzelnen Gräbern zu erkennen war. Es gibt viele Bäume, zwischen denen in der Dämmerung der Abendnebel stand. Später bei Dunkelheit, im Nebel, zwischen den Bäumen ein Meer von bunt flackernden Lichtern soweit man blicken kann. Irgendwo eine Geige. Die Musik ist barock, und so ist der Friedhof mit seiner fast mystischen Atmosphäre, der Feiertag mit seinem Totenkult, und manchmal das ganze Land. Ich schaue kurz in die Kapelle, wo gebetet wird. Besonders viele Kerzen vor dem Grabmal für "die im Osten verlorenen": Katyn.
Ich laufe noch lange ziellos durch die Grabreihen, manchmal allein, manchmal mit vielen Leuten. Wie immer entscheide ich mich in letzter Minute zum Gehen, und selbst dann stolpere ich noch über die VIP Gräber. Dann jage ich auf dem Rad durch Warschau zurück zum Bahnhof, grad noch rechtzeitig um vielleicht in Lodz noch meinen Kühlschrank aufzufüllen. Ticket gekauft, zufrieden mit dem Tag. Aber dann: Ankunft und Abfahrt verwechselt und seelenruhig gewartet, während der Zug nach Hause auf dem Gleis nebenan abfuhr. Vier Jahre Reisen und zu dumm den Fahrplan zu lesen.