Bukarest… wo die Rumonen schön wohnen
Das Leben einer kleinen Familie in Bukarest: Die Eindrücke aus ihrem Kurzurlaub in der rumänischen Hauptstadt inspirieren Lockenjule zu einer Kurzgeschichte wie aus dem Leben gegriffen.
Bukarest steht bei Osteuropa-Reisenden allgemein in dem Ruf, als Reiseziel eher unspektakulär und höchstens eine Durchreise Richtung Braşov wert zu sein.
Da ich aber nach meinem Abschied aus Moldawien nicht direkt zurück nach Deutschland, sondern gern schrittweise in die Wohlstandsgesellschaft zurückkehren wollte, entschied ich mich doch, diese Stadt zu besuchen. Immerhin lebten dort ja mal für einige Jahre meine Großeltern.
Während unseres Aufenthalts dort fanden wir auch Wohnhaus und Arbeitsplatz jener, was aber auch schon zu den wenigen Höhepunkten der Kurzreise zählt. Es war eher ein schöner, entspannter Abschlussurlaub, den Rosi und ich da (einquartiert bei einem holländischen Austauschstudenten) verbrachten. Wir schauten uns natürlich die Stadt an, genossen aber vor allem auch die schier unbegrenzten Schuhkaufmöglichkeiten und natürlich die Partyszene.
Um der Stadt also ein würdiges Bild beim Leser zu verleihen, sei im Folgenden der Alltag einer Einwohnerin der grauen Hauptstadt beschrieben… natürlich ein fiktives Schauspiel, das aber tatsächlich so in Bukarest stattfinden könnte. Denn, wie man gleich lesen wird, eines kann man in Bukarest wirklich gut… wohnen.
Freitag, 7.30 Uhr, 8. Stock eines grauen Plattenbaus über dem Piata Delfinului. Eine junge Mutter macht sich mit ihrer kleinen Tochter Alina und ihrem noch kleineren Sohn Mihai auf in Richtung Kindergarten. Hinaus aus der modern eingerichteten, hellen Wohnung und hinein in den uralten Fahrstuhl, dessen knarzende Schiebetür sich nur halbwegs schließen lässt.
Unten angekommen geht es hinaus auf die laute, stark befahrene Hauptstraße. Vorbei an hohen, grauen, etwas heruntergekommenen Plattenbauten, in deren unterstem Stockwerk sich kleine Schuhläden, Bäckereien, Minimärkte und vielerlei anderes Gewerbe aneinanderreihen.
Nach fünf Minuten haben die junge Frau und ihre beiden Kinder die Bushaltestelle erreicht. Zwischen Zeitungskiosk und Blumenstand warten die drei auf den richtigen Bus. Nach zwei Trolleybussen, einer Straßenbahn und unzähligen Autos kommt endlich die Richtige Linie.
Zusammen mit vielen anderen Müttern, Studenten, Angestellten, Schülern und Rentnern besteigen sie das überfüllte, aber immerhin moderne Verkehrsmittel. Im Schneckentempo geht es durch einige der vielen überfüllten Straßen Bukarests, bis zum ersehnten Ausstieg.
Schon bei den für Rumänien frühlingshaften 25°C (wie an diesem Tag im Mai) kann es im Bus äußerst stickig werden. Froh sind alle, als sie aus dem Bus gestiegen und in eine ruhige Steinstraße eingebogen sind. Ein kurzer Moment der Ruhe, in dem man die trotz allen Verkehrs frische Luft einatmen kann, die aus den unzähligen Blättern der Bäume strömt, die jede Straße und jedes Haus von Bukarest säumen.
Aber lang ist nicht Zeit, denn der Kleine muss in den Kindergarten und die Große in die Grundschule. Einige Minuten später sind beide dort abgeliefert, wo sie sich bis zum späten Mittag dem Spiel bzw. konservativen Frontalunterricht widmen werden.
Der Mutter geben wir, die wir das Leben der representativ erfundenen Figur vollends bestimmen können, an diesem Freitag frei. Sonst würde sie wie gewöhnlich in ein Wirtschaftsbüro gehen, in dem sie ein Jahr nach Beendigung des Studiums (welches sich übrigens wie bei allen rumänischen Abiturienten direkt an die Schule anschließt) endlich eine Stelle bekommen hat.
Heute aber widmet sie sich den Vorbereitungen für den morgen eintreffenden Besuch aus dem Ausland. Seit Rumäniens Beitritt in die EU ist bezüglich des Reisens und Arbeitens vieles einfacher geworden, weswegen Freunde und Familie im Ausland öfter besucht oder als Besuch empfangen werden können.
Allerdings bedeutete der Beitritt auch die Verteuerung vieler Waren, insbesondere der Lebensmittel. Daher überlegt die Alleinerziehende, die trotz dieses Umstandes vom Staat nur wenig Geld erwarten kann, zweimal, was genau sie im Supermarkt kauft.
Das Angebot ist groß und international, unterscheidet sich wenig von der Auswahl im Supermarkt ihrer Freunde in Deutschland. Bald ist der Einkauf erledigt, und es geht mit der U-Bahn zurück nach Hause. Wieder läuft sie von der U-Bahn-Station bis nach Hause an vielen kleinen Läden mit Kleidung und Schuhen vorbei; und sie hätte nur zu gern Zeit gehabt, sie nach hübschen und ausgefallenen Sachen zu durchstöbern.
Zuhause angekommen bereitet sie das Essen für den nächsten Tag vor. Nur Kuchen bäckt sie keinen, denn diesen wird sie von einer der vielen Patisserien kaufen, die frischen, duftenden, oft noch warmen Kuchen vieler Sorten anbieten.
Nach den Vorbereitungen muss sie auch schon wieder los, um die Kinder abzuholen. Auf dem Weg kauft sie noch schnell zwei Brezeln, mit Mohn für Alina und mit Sesam für Mihai. Diese Brezeln gibt es in jeder größeren Straße zu kaufen, und die ausschließlich jenes Gebäck herstellenden Bäckereien kann man schon von weitem erschnuppern. Mit den warmen Brezeln in der Hand besteigt sie den Bus Richtung Kindergarten und Grundschule.
Etwas später findet man die junge Mutter wieder im Bus, diesmal mit zwei schmatzenden Kindern an der Hand, auf dem Weg zu einem der großen Stadtparks, wo sie sich mit zwei anderen Müttern auf dem Abenteuerspielplatz verabredet hat.
Die Kinder der anderen beiden Mütter klettern bereits eifrig auf den bunten Gerüsten herum, Alina und Mihai folgen ihnen ohne zu zögern. Die junge Mutter lässt sich zu den anderen beiden auf eine Parkbank im Schatten der hohen Bäume nieder. Dort verbringen sie den Nachmittag; schwatzen, beobachten die lieben Kleinen beim Rutschen, Klettern und Buddeln und kaufen Eis.
Am frühen Abend macht sich die junge Mutter dann mit ihren kaputt gespielten Kindern auf den Heimweg. Noch immer sind die Straßen voll und der Verkehr staubt und lärmt. Aber im achten Stock ihres Wohnhauses hört man das zum Glück kaum. Sie bringt die Kinder zu Bett und setzt sich dann mit einem Glas Wein vor den Fernseher.
Wäre sie jetzt noch Studentin, würde sie nicht zu Hause bleiben, sondern sich in Bukarests immer weiter wachsende Studentenszene begeben und im Nachtleben des Zentrums tummeln. Ob in eine Bar, ein Wasserpfeifen-Kaffee oder in einen der vielen Clubs - vor dem Morgengrauen wäre sie wohl kaum zu Hause gewesen.
So aber geht sie in Gedanken nochmal den morgigen Tag durch, an dem die Gäste eintreffen werden. Zum Glück würden sie vom Flughafen allein zur Wohnung kommen, das hätte die junge Mutter sonst eine ganze Stange Geld gekostet. So kann sie in Ruhe das Mittagessen vorbereiten: mit Reis, Gemüse und Hack gefüllte Paprika.
Nach dem Essen wird sie mit ihnen und den Kindern zum Parlamentspalast gehen, sozusagen der Attraktion von Bukarest. Dieses zweitgrößte Gebäude der Welt sieht von innen aus wie ein Märchenpalast.
Einmal war sie schon dort gewesen, hatte als Studentin eine kostenlose Führung mitgemacht. Morgen würde sie für das Betrachten des schönen Scheins sechs Euro bezahlen müssen. Aber dafür würde sie auch die prunkvollen Säle, die marmornen Wände und Böden, die Kronleuchter aus tonnenschwerem Kristall und und die herrlich stuckverzierten Decken noch einmal bewundern dürfen.
Am Sonntag hatte sie dann das Kontrastprogramm zu all dem Pomp vor: Ein Besuch des sogenannten Dorfmuseums, das mitten im größten Park der Stadt gelegen war. Das würde auch den Kindern sicher viel besser gefallen als der Palast. Denn schon der Park selbst war mit seinen großen Wiesen, mehreren Teichen, Bächen und kleinen Seen ein Genuss für die Seele.
Und das Dorfmuseum, in dem sie schon mehrere Male gewesen war, stand dem Park in nichts nach. Dort standen auf einem weitläufigen Areal Bauernhäuser und -höfe, Fischerkaten, Mühlen und Holzkirchen, wie sie in verschiedenen Teilen Rumäniens in den Dörfen üblich waren und teilweise auch heute noch sind.
Man entdeckte jedes Mal etwas neues, wenn man die Nachbauten der alten Kirchen und Häuser betrat und sich in ihnen umschaute. Eigentlich war es kein Museum, eher eine kleine Welt, in die man da eintauchte und Gegenstände, Gebräuche und Gerüche aus einem anderen Leben kennen lernte. Es würde sicher allen gefallen.
Am Montag, bevor die Gäste am Abend wieder abreisen würden, wollte sie ihnen noch die Patriarchenkirche zeigen. Eigentlich war es nicht nur eine Kirche, sondern ein ganzes Areal mit einem Nonnen- und einem Mönchskloster - was bei der orthodoxen Kirche eigentlich nicht erlaubt ist.
Die Kirche und alle Gebäude ringsum sind sehr hübsch, mit Mosaiken und Bildern verziert und mit Säulen geschmückt. Auch in der Kirche gibt es viele Malereien zu bewundern, die nicht im üblichen byzantinischen Stil gemalt wurden (so wie die üblichen Ikonenbilder), sondern eher wie Renaissancemalereien wirken.
Wenn sie Glück hätten, würden sie vielleicht wieder auf den Priester treffen, der sie das letzte Mal angesprochen und ihr soviel erzählt hatte. Lächelnd erinnert sich die junge Frau daran, wie er von seiner Priesterzeit in New York erzählt hatte - in der Stadt, die niemals schläft, in der aber auch nie jemand Zeit zum Ruhen geschweige denn Helfen findet.
Wie er mit größter Selbstverständlichkeit sein Unwissen über die Bedeutung der Bilder in seiner Kirche zugab und seinen Unmut gegenüber der griechischen Sprache, die er beherrschen musste, um Doktor der Theologie zu werden. Ein lustiger Mann, der dem allgemein erhabenen, aber auch hochmütigen Anschein der Kirche und ihrer Priester etwas Hochwürde nahm und dafür etwas Menschlichkeit verlieh.
Ja, es wäre sicher auch für ihre Freunde von größtem Interesse, sich mit diesem Herren zu unterhalten. Aber bis dahin war ja noch ein wenig Zeit. Zeit, welche die junge Frau zu allererst dafür nutzen würde, schlafen zu gehen; in dem Wissen, dass sie die meisten ihrer vielen Tage in Bukarest wie bisher in beruhigender, ausfüllender Gleichförmigkeit verbringen würde.
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