Bourgoisie und V.I.P.
Bianca ist schwer gefragt: Vom piekfeinen Nobelessen über Stadtrundfahrten bis zu bis zu Vorträgen aus dem Leben einer Europäischen Freiwilligen.
Salut mes amis!
Eines steht fest: die vergangene Woche war zwar stressig ohne Ende, aber ich wurde noch nie so verwöhnt! Ich gebe mal ein paar Stichwörter: Champagner, Foie gras (=Gänseleberpastete), Kalbsbraten, Hotelübernachtung, Lamm, private Stadtrundfahrt… Ich habe in die High-Society Frankreichs reinschnuppern dürfen - die Bourgoisie!
Aber von Anfang an
Dienstag habe ich endlich alles geregelt für Weihnachten und Co., habe in Paris reserviert und eine Entscheidung verworfen. Wider meine ursprüngliche Absicht komme ich nämlich über Weihnachten heim, womit sich ein weiteres Mal eine Prognose von Julia, meiner weisen Freundin, erfüllt. Ich bleibe allerdings nicht lange und ich bezweifle, dass ich die Zeit finden werde, jeden von Euch zu sehen, aber dafür ist ja auch eher meine Rückkehr im nächsten Jahr gedacht! Jedenfalls bin ich vom 23.12.-31.12. zu Hause zu erreichen! Wie es dazu kam? Nicht, dass ich hier einsam gewesen wäre, im Gegenteil! Ich hatte mehrere Einladungen von Freunden, mit ihren Familien zu feiern, weil sie absolut geschockt waren, von dem Gedanken, dass ich nicht mit meiner Familie feiere. Dann war da noch ein ernstes Gespräch mit Basti über meine Zweifel, die Schwierigkeit eines zweiten Abschieds et cetera und eine anschließend durchwachte Nacht, die mich dazu gebracht hat, meine Tickets zu bestellen! Es ist zwar fast mein ganzes Geld dafür drauf gegangen, aber im Gegenzug wurde ich diese Woche sehr oft zum Essen eingeladen was den Verlust relativiert. Ich werde also nicht verhungern.
Mittwochmittag
Pascales Eltern laden zum Mittagessen. Sie gehören zu jenen, die man hier als Bourgoisie bezeichnet, zu den «besser Betuchten». So gibt es als Entrée auch erst mal Champagner (den ich zum ersten Mal getrunken habe), begleitet von kleinen Häppchen mit Foie gras. Diese werden natürlich im Salon eingenommen, bevor wir uns dem Esszimmer nähern und einen Kalbsbraten zu uns nehmen, der natürlich mal wieder von passendem Wein begleitet wird. Zum Nachtisch gibt es Bratäpfel mit Zimt und zu guter Letzt einen Kaffee oder Tee. Es war absolut der Hammer. Automatisch saß ich gerade am Tisch, und die Tatsache, das zwei Messer aufgedeckt waren, verunsicherte mich leicht, auch wenn man mir beigebracht hat, von außen nach innen vorzugehen; mir fehlt einfach die Gewohnheit. Die Wohnung an sich war schon bezeichnend bourgois, die Einrichtung sah teuer und geschmackvoll aus, hatte beinahe etwas traditionell Reiches. Auf jeden Fall eine interessante Erfahrung!
Mittwochnachmittag
Wie ich in der letzten Mail erwähnt habe, ist Europäische Jugendwoche, und ich als EVSlerin bin Vorzeigekandidatin für allerlei Aktionen, soll von meinen Erfahrungen erzählen und motivieren. Ähem. Okay. Dazu musste ich leider meine Gesangsstunde absagen. *schnüff* Den Beginn macht Limoges, eine zauberhafte (Groß-)Stadt im Haute-Vienne, einem anderen Departement dieser Region. Dort befindet sich die einzige Entsendeorganisation für ganz Limousin, vor Ort finden sich alle an einem europäischen Freiwilligendienst Interessierten ein. Die Vorstellung beginnt, Vorhang auf. Etwas gehemmt, vor so vielen Leuten zu sprechen stelle ich mich, ebenso wie die anderen anwesenden Volontäre, vor. Aber anschließend entwickelt sich die Veranstaltung zu einem überaus angenehmen Abend mit erfüllenden Gesprächen, neuen Kontakten und Vielem mehr Denn der Vorstellung folgt eine Diskussion in Kleingruppen und ich finde mich ziemlich schnell von Franzosen umgeben, die ihren Freiwilligendienst in Deutschland machen wollen und mir nun Löcher in den Bauch fragen.
Der Knoten platzt und ich spreche wieder frei, ein klares Französisch. Bis zehn Uhr dauert die Veranstaltung, in deren Anschluss ich mein Zwei-Sterne-Hotel in der Innenstadt beziehe. Alles bezahlt natürlich. Genau wie das Abendessen mit den anderen, ehemaligen Freiwilligen, in dessen Anschluss Sandrine, die Mitarbeiterin, die mich am Bahnhof abgeholt hat, mir die wunderschöne Weihnachtsdekoration, die Beleuchtung der Stadt zeigt… Ein Traum! Wir konnten nicht überall anhalten, um Fotos zu machen, aber es war echt sagenhaft. So habe ich den kleinen Prinzen wiedergetroffen, einen Pfau bestaunt, einen Baum gefunden, der keiner ist, den Eiffelturm besucht und vieles mehr! Völlig zu unrecht gibt es meiner Meinung nach den Ausdruck limoger qn = jmd. ins Exil schicken, ins Niemandsland, wo er außer Stande ist, einzugreifen. Limoge ist das krasse Gegenteil von einem Niemandsland, es ist eine lebendige Stadt mit viel Charme!
Donnerstagmorgen
7.30 Uhr. Viel zu früh für meine Begriffe musste ich aufstehen und das Hotel verlassen, um mich an einem Treffpunkt einzufinden. Heute sollte es nämlich nach Egletons gehen, einer Stadt, die mit Marburg vergleichbar ist – sie besteht zum Großteil aus Studenten. Es ging um eine weitere Informationsveranstaltung, diesmal allerdings für die Funktionäre, sprich potentielle Aufnahmeorganisationen, derer es in der Region nicht so viele gibt. Um genau zu sein ist die Jugendherberge zurzeit die Einzige. Ich finde jedenfalls ohne Probleme den richtigen Weg und warte am Treffpunkt auf meine Mitfahrgelegenheit. Selbst zu dieser frühen Stunde sehe ich unzählige Personen, Schüler, arbeitende Bevölkerung. Alain, der «Directeur Régionale Jeunesse et Sports» sammelt mich ein und ich nutze die anderthalbstündige Fahrt, um ein bisschen Schlaf nachzuholen. In Egletons treffe ich wieder mit Pascale zusammen, meiner Chefin, die auch eingeladen ist.
Nach einem Vortrag über das Programm JUGEND erzählen wir kurz über unsere wechselseitigen Erfahrungen und beantworten ein paar Fragen. Ich halte mich so weit es geht im Hintergrund. Bin einfach zu müde. Nach der Veranstaltung sind wir mal wieder zum Essen eingeladen und es geht in ein «Döner-Restaurant» in Egletons, bevor mich die letzte Veranstaltung für diese Woche erwartet: das Studentenforum in Brive. Dort beziehe ich einen Stand, der über «Wege ins Ausland» informiert, aber man merkt, dass sich die Veranstaltung bereits dem Ende entgegen neigt. Es ist nicht mehr viel los. Das Studentenforum entspricht unseren Berufsinformationstagen, allerlei Schulen, Unis, Militär etc. informieren über Möglichkeiten der Ausbildung. Ein, zwei Gespräche, danach wird abgebaut. Ich kann mich eben auch nicht zerteilen. Zu Anfang der Aktion war ich nämlich noch in Egletons. Ich bin zu sehr gefragt, diese Berühmtheit macht mich noch fertig!
Der Abend…
…fordert mich nochmal: Es ist nicht nur der Geburtstag von Nadine, sondern auch Jahresabschlussessen mit der gesamten Belegschaft. Zwei Anlässe zu trinken und zu essen! Ein weiteres Mal wird eine Flasche Champagner geköpft um auf Nadines Geburtstag anzustoßen, bevor uns Pascale in «La Boucherie», ein Restaurant, einlädt. Dort bestelle ich mal Lamm, der Abwechslung halber, und werde nicht enttäuscht: Es war sehr lecker! Und falls es irgendjemanden interessiert, zu Lamm empfiehlt sich ein leichter Rosé ^^.
Zum Ausklang kehren wir in die JH zurück, denn Nadine hat Kuchen mitgebracht. Einer davon ist ein klassischer «Weihnachtskuchen», was bedeutet, das Zwerge darauf waren. Keine Ahnung, warum. Aber hier sind Zwerge auf dem Weihnachtskuchen. Man muss nicht alles verstehen! Der Abend wird lang und die Diskussion lebhaft, ich unterhalte mich gut mit Julie und es wird unglaublich viel gelacht und Unsinn gemacht. So schmückt Pascale im Eifer des Gefechts einfach mal Abdoul als Weihnachtsbaum.
Am Wochenende…
…war ich außer Stande, meine E-Mail zu schreiben, denn Ausflüge verschiedener Art standen an. Angefangen mit Freitag, wo ich gemeinsam mit Sonia versucht habe, „Listen to your heart“ zu spielen, sie auf Piano, ich mit meiner Gitarre. Ähem. No comment! Wir werden daran arbeiten! Danach habe ich uns ein Schnitzel in die Pfanne gehauen um anschließend mit Julie ins Kino zu gehen – „L’exorcisme d’Emilie Rose“, ein Horrorfilm. Ich hatte Angst! Ich glaube, ich hab Julie die Hand gebrochen. Ich hab schon wieder vergessen, mein Popcorn zu essen, so gefesselt war ich. Alles bleibt in der Schwebe und somit vorstellbar.
Samstag, ein Ausflug ins Zentrum, um mich mit all den anderen zu treffen, die unter der Woche keine Zeit haben, eine heiße Schokolade im Triskell und Erzählungen von den kleinen Geschichten des Alltags. Auch das tut mal gut!
Et finalement Sonntag, mein ganz spezieller Lieblingstag dieser Woche! Paul hat mich auf eine Exkursion eingeladen, eine Entdeckungstour durch die Region. Wir sind mit dem Auto durch die tiefste Campagne gefahren, die rurale Gegend um uns herum, haben Tulle und Corrèze passiert, um auf den Suc-au-May zu steigen, ein Berg von 908 Metern Höhe, von welchem man die Vulkane der Auvergne am Horizont erkennen kann. Man hat einen wahnsinnig tollen Ausblick, besonders an diesem Tag! Wir haben die Wolken, die über unserem Tal lagen unter uns zurück gelassen, so dass uns dort oben die Sonne die Ehre gab und ein paar freundliche Strahlen hinabschickte. Unter uns sah man die Wolkendecke, die hie und da von Baumwipfeln unterbrochen wurde, ein wirklich wunderschönes Bild, das mir unmöglich war mit der Kamera einzufangen, aber das sich mir in die Seele gebrannt hat. Dort oben habe ich tatsächlich etwas Schnee gefunden und ich konnte der Versuchung einer Schneeballschlacht nicht widerstehen ^^. Es war wirklich ein wunderbarer Ausflug. Noch schöner war der Anblick auf der Rückfahrt. Der Sonnenuntergang zauberte eine sanftes Rot an den Horizont, und dort, wo dieses Rot die Wolkenschicht über den Bäumen berührte, entstand ein unglaublicher Farbverlauf, ein leuchtendes Blaugrün und der Mond leuchtete bereits über uns. C’est ça, la France. Mitten auf der Straße habe ich «Arrête!» (= Stop!) geschrieen, Paul ist rechts rangefahren und ich bin ausgestiegen um diese Bild in mich aufzusaugen. Fünf Minuten habe ich schweigend dieses Schauspiel genossen, bevor wir den Heimweg fortsetzten. Insgesamt hätte ich mir keinen schöneren Wochenabschluss vorstellen können. A bientôt mes amis, je vous embrasse!
Bianca J .