Bordeaux casse ta selection: Studentischer Aufmarsch gegen die universitäre Bildungsreform
Unruhen, Blockaden, Ausnahmezustand. Seit mehr als zwei Wochen sind die Gebäude der Fakultät Victoire der Universität Bordeaux von Studierenden besetzt. Sie protestieren gegen die Loi Vidal, eine Reform der Regierung, die die Zulassung zum Studium neu regeln soll.
Vor den schweren Holztüren des Gebäudes der Universität Bordeaux Victoire liegen umgekippte Mülltonnen, Bauzäune und Straßenschilder. Die Tore an den Seiteneingängen sind verriegelt. Dazwischen hängen Plakate mit Kampfansagen: „Votre selction, notre avenir“ (dt: Eure Auswahl unsere Zukunft). Es ist der Auftakt eines Protests der Studierenden gegen die Loi Vidal, eine geplante Reform der Regierung Macron, die die Zulassung zum Studium neu regeln soll. Die Reform sieht vor, dass die Zahl der Studierenden pro Studienfach limitiert wird. Die Entscheidung, wer was studieren wird, läuft dann über die Internetplattform Parcoursup. Die Abiturient*innen müssen dort diverse Unterlagen hochladen, was oft schwierig und langwierig ist. Die Universitäten entscheiden dann, wen sie nehmen. Dabei sind die Erwartungen (fr. attendus) hochgesteckt. Die Gegner*innen der Reform kritisieren, dass Schüler*innen aus schwachen sozialen Schichten dabei auf der Strecke bleiben. Die Befürchtung: Mit der Loi Vidal kommt es zu einer sozialen Aussortierung der Schüler*innen und zu einem Ausverkauf der Bildung.
Studentische Moblisation
In Bordeaux wehrt sich eine von Studierenden der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultät gegründete AG, die auf Facebook unter dem Namen Bordeaux casse ta selction aktiv ist, gegen die bevorstehende Reform. Am 1. März besetzten sie zum ersten Mal die Universitätsgebäude Victoire. Ihre Forderung: Der Präsident der Universität Bordeaux soll sich öffentlich gegen die Loi Vidal aussprechen und damit ein Zeichen setzten. Die Präsidentin der Universität Bordeaux Montaigne, Hélène Velasco-Graciet hat eine Selection an ihrer Universität bereits abgelehnt.
Gewaltsame Räumung der Besetzung
Nach der ersten Blockade der Universität, die nur einige Stunden dauert, beschließt die AG am darauffolgenden Dienstag die Universität erneut zu besetzten. Betroffen ist nur das Gebäude der geisteswissenschaftlichen Fakultät, , der große Universitätskomplex außerhalb der Stadt in Talence und Pessac bleibt von den studentischen Bewegungen unberührt. Kurse werden gestrichen, ein Aufgebot an Polizei ist präsent und kontrolliert Studierendenkarten: Wer keinen hat, kommt nicht rein. Als die Studierenden am Abend beschließen, die Blockade weiterzuführen, eskaliert die Situation. Gegen 20:30 Uhr stürmt die Polizei auf Anweisung des Präsidenten der Universität Bordeaux, Manuel Tunon de Lara das von etwa vierzig Studierenden besetzte Amphitheater Gintrac. Die AG der Studierenden spricht von einer gewaltsamen Auflösung der Besetzung. Studierende seien mit physischer und psychischer Gewalt angegriffen worden, so heißt es auf den sozialen Netzwerken. Schlagstöcke seien zum Einsatz gekommen, die Polizei habe die Studierenden mit rassistischen und sexistischen Kommentaren beschimpft. Die Polizei spricht ihrerseits von gewalttätigen Angriffen seitens der Studierenden. Am Morgen darauf postet das Kollektiv der Studierenden Bilder wie Polizist*innen den Saal stürmen und das rotgeschwollene Gesicht eines verletzten Studenten. Ein Aufschrei geht durch die sozialen Netzwerke. Die Universität Victoire bleibt am Mittwoch geschlossen. Doktorand*innen und Lehrende der Fakultät sprechen sich öffentlich gegen die gewaltsame Räumung des besetzten Amphitheaters aus.
Dauerhafte Besetzung auf unbestimmte Zeit
Die Wut der Studierenden richtet sich vor allem gegen den Präsidenten Manuel Tunon de Lara, der sich am 9. März, drei Tage nach den Ereignissen per Email zu Wort meldet. Er habe die Räumung allein aus Sicherheitsgründen angeordnet. Das Gebäude der Fakultät Victoire steht unter Denkmalschutz. Vor zwei Jahren seien bei einer nächtlichen studentischen Besetzung die alten Säle in MItleidenschaft gezogen worden und ein Schaden von 170.000 Euro entstanden. Trotzdem wird die Besetzung fortgesetzt. Die Türen bleiben verbarrikadiert, die Kurse fallen aus. Seit den Ereignissen des 6. März besetzten die Studierenden nun auf unbestimmte Dauer das Amphitheater Gintrac, um von dort aus die Proteste zu organisieren. Vor den Türen haben sie ein kleines Buffet aufgebaut, drinnen beraten die Studierenden über das weitere Vorgehen. Jeden Tag gibt es Workshops, Thesen werden formuliert, Plakate für die nächste Demo bemalt. Auch in Toulouse, Montpellier und Paris protestieren die Studierenden gegen die Reform. Allen studentischen Protesten zum Trotz unterzeichnet der französische Präsident Emmanuel Macron das Gesetz am Donnerstag, den 8. März. Die Loi Vidal ist damit ab Freitag, 9. März offiziell in Kraft getreten.
Weiterführende Informationen
https://humanite.fr/education-des-milliers-de-manifestants-pour-vider-la-loi-vidal-649823
Video des Blocus
Facebookgruppe der AG, die die Blockade organisiert:
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