Birkenwald und neue Freunde
Neben mir im Bus sitzen Studenten, die über das Wochenende nach Hause kommen und sich bekochen lassen. Es geht nach Võru zu meinem ersten Besuch bei Antonia, eine Kinderfreundin, die ich an der Bushaltestelle das erste Mal nach vielen Jahren wiedergesehen habe.
Von 8h morgens bis 7h abends ist kaum eine Gesprächspause entstanden. Wir beide waren sehr begierig darauf, uns über die letzten zwei Wochen auszutauschen und wurden nicht müde, uns über unsere Projekte auszufragen. Antonia arbeitet in einem Kindergarten und konnte mir viel von ihrem Alltag erzählen. Die Kindergärten in Estland bieten ein Betreuen von früh morgens bis zum späten Nachmittag an. Daher ist es zu Beispiel selbstverständlich, dass sich alle Kinder am Nachmittag ausziehen und in 24 ausklappbaren Betten für zwei Stunden schlafen. Außerdem werden Kinder schon ab 1 ½ Jahren betreut, was den Mütter ermöglicht, problemlos einen Beruf auszuüben.
Beim Austausch unserer sehr bescheidenen Estnisch Kenntnisse ist uns aufgefallen, dass wir je nach Projekt ganz unterschiedliche Wörter auffallen. Während Antonia von den Kindern „Hilfe“, „Kapuze“, „Spielen“ oder „komm her“ lernt, drucke ich abstrakte Begriffe wie „Idee“ oder „Gedanken“ auf Notizbücher und weiß was Öffnungszeiten bedeutet. Durch die Kinder hört Antonia täglich Estnisch und konnte mich schwer beeindrucken als sie ein Paar estnische Sätze mit einer Mutter im Supermarkt ausgetauscht hat.
Neben den ganz unterschiedlichen Projekten finden wir aber auch jeweils den Wohnort des anderen beneidenswert. Mein Besuch in Võru begann mit einem Spaziergang um einen großen See, der im Winter vollkommen zufriert. Nach zwei Wochen in Tartu tat es sehr gut, in die Natur zu kommen und in dem Birkenwald am See spazieren zu gehen. Gleichzeitig kann ich jedoch auch gut verstehen, dass es Antonia in Võru Kultur, Cafés und andere junge Menschen vermisst, die allesamt in Tartu studieren.
Wir haben uns entschieden am See zu picknicken und freuen uns an der Sonne die jedoch alle Viertelstunde in Wind und Regen umschlägt. Als wir in einer überdachten Nische mit Ausblick auf den See sitzen stößt Carla zu uns. Ähnlich wie ich und Romara, sind Antonia und Carla die einzigen Freiwilligen in Võru und verbringen viel Zeit gemeinsam. Das Gespräch hat sich bei unserem köstlichen Picknick schnell vom EVS abgewandt und wir haben über alles gesprochen, was uns so auf der Seele liegt. Der Wind wurde kalt und wir sind weiter um den See gegangen um uns aufzuwärmen. Auf dem malerischen Brücken angeln alte Leute und vor den Gartenzäunen laden Körbe mit Äpfeln dazu ein, sich einen mitzunehmen. Wir sind mitten in einer wunderschönen Idylle, die im Sonnenschein noch schöner aussieht. Auf dem Rückweg habe ich die beiden noch auf einen Kaffee eingeladen und wir haben uns mit dem Versprechen verabschiedet, uns sehr bald in Tartu wiederzutreffen. Meine erste Reise in Tartu hat mir bereits eine neue Seite von Estland gezeigt und ich konnte es sehr genießen, dort von anderen Freiwilligen empfangen und herumgeführt zu werden.
Der Tag war jedoch noch lange nicht zu Ende! Meine Mentorin, Silke hat alle Freiwilligen Tartus und ein paar Freunde zu sich nach Hause eingeladen und wir haben dort sehr schöne Stunden verbracht. Gemeinsam sind wir in einen alternativen Club weitergezogen, wo jeden Monat die Regenbogenparty stattfindet. Die Altersgruppen und Musikrichtungen waren sehr bunt durchmischt und wir hatten einen sehr guten Start in das Nachtleben Tartus.