Aus dem Alltag einer Europäerin, die immer fremd ist in Europa
Unabhängig davon, wo genau ich mich in Europa aufhalte, werde ich stets damit konfrontiert, anders zu sein. Ein Gefühl, das mich schon mein Leben lang begleitet. Doch ich sträube mich gegen den Gedanken, dass dein Name, dein Glauben oder dein Äußeres bestimmen können, wohin du gehörst.
''Really? German? No, no, no'', lacht mich mein Gegenüber an. Dann sagt er etwas auf italienisch, das ich nicht verstehe. Naja, eigentlich verstehe ich es schon. Ich habe bloß keine Lust, auf die Frage zu antworten. ''Where are you originally from?'' , übesetzt schließlich sein Freund. Wir sitzen in einem Youth-Hostel in Kopenhagen. Neben mir meine beste Freundin, blond, blauäugig. Es gibt wenig, was uns tatsächlich unterscheidet: Beide sind wir auf die ein oder andere Weise öko. Beide lieben wir es zu reisen, freuen uns seit Wochen darauf, das wunderschöne Kopenhagen zu sehen. Beide wohnen wir schon unser Leben lang in einem Dörfchen weit oben in Norddeutschland. Das wohl Einzige, was tatsächlich eine Grenze zwischen unserer beider Identitäten zieht, sind unsere äußeren Erscheinungsbilder. Ich habe schwarze Haare, dunkle Augen, einen beigen Hautton. Dieser, eigentlich vollkommen unbedeutende, Unterschied führt jedoch dazu, dass meine Gespräche stets in eine andere Richtung führen als ihre.
''My parents are Afghans'', antworte ich mit einem aufgesetzen Lächeln. Es ist nicht so, dass ich mich schämen würde, ich liebe meine Eltern, liebe ihre alten Geschichten von diesem kriegsgeschmähten und doch so wunderbaren Land, das ich nie besucht habe, das mir so nah und gleichzeitig so fern vorkommt. So wie eine Straße, deren Namen man schon gehört hat, die man ungefähr auf einem Stadtplan einordnen könnte, viel mehr aber auch nicht. ''Ahhhh, Afghanistan! Sì, sì, sì '', der Italiener mit dem wir nun seit einer knappen Viertelstunde plaudern, nickt und grinst mich dann an. Ich beiße mir auf die Lippe. Einerseit ist es ein tolles Gefühl, mitten in Kopenhagen auf so viele verschiedene junge Menschen aus ganz Europa zu treffen und sich mit ihnen austauschen zu können. Es wird ein lustiger Abend. Trotzdem habe ich das Gefühl, auch hier nicht als die akzeptiert zu werden, die ich bin. Dass permanent in meiner Privatssphäre herumgewühlt wird.
Anderes Land, anderes Datum, selbige Situation. ''Alors, tu parles allemand, anglais, espagnol, français...et une autre langues aussi?'' Meine Gastmutter schaut mich erwartungsvoll, auch ein wenig vorsichtig an. Sie hat mich gerade gefragt, ob es eine weitere Sprache gibt, die ich spreche, eine, die ich in ihrer Gegenwart noch nicht erwähnt habe. ''Ja, tatsächlich'' , antworte ich auf französisch, ''ich beherrsche noch eine zweite Muttersprache namens 'dari'.'' Meine Gasteltern nicken anerkennend. Wir gehen nicht weiter auf das Thema ein, sie sind viel zu höflich, um mich weiter zu löchern. Ich füge lediglich hinzu, dass meine Eltern vor mehren Jahrzehnten kriegsbedingt das Land verlassen mussten, ich und meine Geschwister aber in Deutschland geboren wurden. Dann widme ich mich weiter der süßen Honigmelone auf meinem Teller. Ich fühle mich wohl hier. Meine Gastfamilie ist herzlich, wir sitzen jeden Abend nach dem Essen stundenlang am Tisch und unterhalten uns. Trotzdem war mir klar, dass diese Frage früher oder später aufkommen würde. Allein der Klang meines Namens führt häufig dazu, dass Menschen mit den Augenbrauen zucken.
Manche lassen sich wochenlang Zeit, bis sie fragen, dann kommt auch meistens eher etwas, das der Bemerkung meiner Gastmutter gleicht. Aber viel zu häufig werde ich von Neugierigen plump angemacht. Sie beziehen sich auf mein ''nicht-deutsches'' Aussehen (was auch immer das sein soll), geben mir das Gefühl, einer Lügnerin zu sein, weil ich mich als Deutsche, als Europäerin vorstelle. Dieses Mal, hier in Frankreich, bin ich froh, dass diese Frage aufgeworfen wurde. Ich möchte, dass meiner Austauschschülerin klar ist, dass es bei uns mittags häufiger Reis, anstelle von Schnitzeln gibt. Dass wir gerne mal auf einer anderen Sprache schimpfen oder scherzen, eine, die ihren Ursprung nicht in Europa hat. Und dass wir trotzdem ein Teil dieses Kontinents, teil dieser Kulturgemeinschaft sind.
Unabhängig davon, wo genau ich mich in Europa aufhalte, werde ich stets damit konfrontiert, anders zu sein. Ein Gefühl, das mich schon mein Leben lang begleitet. Und wenn dann mein Lehrer in der Schule etwas vom ''Ur-Europäer'' faselt, der angeblich aufgrund all der EinwandererInnen ''austerbe'', frage ich mich natürlich, wohin ich eigentlich gehöre. Was soll diesen ''Ur-Europäer'' denn bitte von einer Person wie mich unterscheiden? Etwa seine Hautfarbe? Seine Religion? Das kann ich nicht glauben. Auch ich bin Europäerin, auch ich bin Europa. Ich sträube mich gegen den Gedanken, fremd zu sein. Sträube mich gegen den Gedanken, dass dein Name, dein Glauben oder dein Äußeres bestimmen können, wohin du gehörst. Ich glaube daran, dass dieses Europa eines Tages soweit ist, sich selbst als einen bunten Flickenteppich verschiedener Kulturen zu verstehen. Ich glaube daran, dass Europa irgendwann soweit ist, mich selbst entscheiden zu lassen, als wer oder was ich mich vorstelle. Ich glaube daran, dass Europa uns alle einmal als Teil seiner selbst betrachtet.
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