"Aufrecht Gehen"
„Wer an Europa zweifelt soll Soldatenfriedhöfe besuchen.“
"Aufrecht Gehen" ist eine neue Audiotour für den deutschen Soldatenfriedhof in Ysselsteyn. Darin zu hören sind verschiedene Schicksale von Menschen die den 2. WK erlebten. Die Geschichten hinter den Kreuzen.
"Aufrecht Gehen" Interview mit Lubert Priems
Eine Generation stirbt aus und eine neue Generation tritt an ihre Stelle. Eine Generation mit Verantwortung. Die Verantwortung das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Verantwortung Erzählungen von Zeitzeugen weiterzugeben. Die Verantwortung aus dem Vergangen zu lernen. Auch wir sind so eine Generation. Wir haben noch die Chance bekommen Zeitzeugen der größten geschichtlichen Ereignisse des letzten Jahrhunderts zu hören. Auch Zeitzeugen die den 2. WK miterlebten. Wir haben ihre Schicksale gehört und nun ist es an uns, diese an die folgende Generation weiterzugeben.
„Die sich des Vergangen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben“
Darum ist eine Erinnerungskultur von enormer Bedeutung. Es ist wichtig über das Vergangene zu sprechen, auch wenn es so scheint als hätten wir diese Zeit längst hinter uns gelassen, und daraus für die Zukunft zu lernen.
"Aufrecht Gehen" heißt die neue Audiotour die Besucher mit Geschichten der Vergangenheit im Ohr über den einzigen deutschen Soldatenfriedhof in der Niederlande führt und genau dies tut. Geschichten der Vergangenheit weitergeben und die Menschen dazu zu bringen über die Vergangenheit zu sprechen.
Die Tour erzählt Schicksale aus der Zeit des zweiten Weltkrieges, Schicksale von Menschen deren Gräber nun hier in Ysselsteyn zwischen den anderen beinah 32.000 Kreuzen stehen. Geschichten von Kindern, die ihre Eltern verlieren, von Soldaten, die in den Krieg ziehen und von denen, die vor dem Krieg fliehen.
"Aufrecht Gehen" gibt einem die Möglichkeit einmal die Geschichten hinter den Gräbern zu erleben. Die Stimmen der Vergangenheit zu hören während wir in die Zukunft laufen. Eine Tour um Grenzen zu erkennen und sie vielleicht auch zu überschreiten. Welche Grenze bestimmte ob man Held, Opfer oder Täter war?
Aufrecht gehen zeigt Grenzen auf, Grenzen von früher, von heute und lässt einen über die Grenzen der Zukunft nachdenken.
Der Journalist Lubert Priems ist einer der Hauptorganisatoren und Macher der Audiovorstellung und hat mir ein paar Fragen zu seinem Projekt beantwortet.
(Die Ursprünglichen Fragen und Antworten waren auf Niederländisch und wurden von mir wieder ins Deutsche übersetzt.)
Worum geht es in der Audiotour in eigenen Worten?
Es ist ein Mix aus Hörspiel, Theater, Geschichte, Journalistik und Livemusik. „Aufrecht gehen“ ist ein einzigartiger Spaziergang über den Deutschen Soldaten Friedhof zwischen den tausenden Kreuzen und Gräbern. Unter anderem arbeiten die Theater und TV Schauspielerin Katelijne Verbeke und der deutsche Schauspieler Christian Cadenbach mit und Musiker Emil Szarkowicz und Rik Cornelissen. Die Texte worden von Annet Bremen geschrieben die sich in die Kriegsarchive vertiefte. Es geht um Vorurteile, Vorstellungsbildung und Grenzen. Welche Grenze überschreitest du selbst? Hast du den Mut dich den Schicksalen anderer zu stellen?
Wie ist das Projekt zu Stande gekommen, woher kam die Idee?
Eine Geschichte die mir im Gedächtnis geblieben ist, ist von einem Mann, dessen Vater in einem Konzentrationslager gewesen ist. Mit ihm bin ich über dem Friedhof gelaufen, ein Gänsehautmoment.
Die Deutschen haben das Leben seines Vaters zerstört, aber auch das seine.
Sein Vater war immer von einer schweigenden Stille umgeben. Aber als er ein Kreuz sah von einem deutschen Soldaten von gerade mal 16 Jahren wurde er sehr emotional: „ Dieser Dummkopf, er hat sich das (dieses Schicksal) auch nicht ausgesucht.“ Da begriff ich auch welch bedeutender Platz ein deutscher Soldatenfriedhof ist. Es ist nicht länger der Platz des Feindes, sondern ein Ort wo dir bewusst wird, wie zerbrechlich deine Freiheit ist.Dieses Gespräch hat nicht auf einem britischen, kanadischen oder amerikanischen Friedhof stattgefunden. Vor allem darüber bin ich dankbar. Und zurecht. Ich fand es sehr eindrucksvoll, dass dieser Mann mit so einer Familiengeschichte zu der Erkenntnis gekommen ist, dass nur eine Linie auf der Landkarte bestimmte ob du Täter, Held oder Kriegsopfer bist. Das kann uns allen passieren. Auch jetzt.
Warum heißt das Projekt „Aufrecht Gehen“? Was bedeutet das?
Es bedeutet weitermachen, aufrecht stehen bleiben und das Beste daraus machen. Im Gegensatz zur niederländischen Sprache kann ich das Gefühl im deutschen mit zwei Worten übersetzen: „Aufrecht Gehen“. Der Untertitel lautet: Fallen, aufstehen und weitermachen.
70 Jahre nach der Befreiung verdeutlichen diese Worte auch die Unterschiede zwischen unseren Nachbarländern. Das merkt unser Team nun da wir nach der niederländischen auch eine belgische und einen deutsche Version machen. Wir Niederländer sind lange damit beschäftigt gewesen weiterzumachen, während Deutsche nun eigentlich erst aufstehen.
Welches Ziel strebt ihr mit dieser Vorstellung an?
Dass jeder, der die Vorstellung besucht etwas mitnimmt von den Geschichten. Oft ergeben sich aus diesen Geschichten wieder andere Geschichten. Geschichten, die dann wieder geteilt werden mit anderen. Nach einer Vorstellung entstehen oft Gespräche an den Tischen. Das finde ich toll mitzuerleben.
Warum verwendet ihr das Kästchenhüpfspiel? Welchen Bezug hat es zum Projekt?
Wir haben uns für dieses Spiel entschieden, symbolisch für das Kastendenken, das kleinkarierte Denken. Aber wenn Menschen da etwas anderes damit verbinden ist das auch prima. Wir lenken das Publikum / die Hörer während der Vorstellung nicht in eine bestimme Richtung. Wie erzählen Lebensgeschichten aus verschiedenen Perspektiven und lassen sie Bilder sehen ohne darüber zu urteilen.
Was bedeutet das Projekt für dich? Hast du einen persönlichen Bezug zu dem Thema?
Meine Eltern hatten einen kleinen Nachbarschaftsladen in einem niederländischen Arbeiterviertel. Ein gastfreundliches Haus, aber auch ein Ort, wo viele gegensätzliche Meinungen zusammen kamen. In der letzten Zeit bemerkte ich, dass die Debatte sich verhärtete. Das man entweder gegen etwas oder dafür ist und für einen Mittelweg immer weniger Platz blieb. Mit meiner Audiovorstellung probiere ich mehr Farben mehr Nuancen aufzuweisen. Die Wahrheit ist nicht immer ja oder nein, schwarz oder weiß. Ich finde es toll wenn Menschen bereit sind, sich die Lebensgeschichte einer anderen Person anzuhören.
Findest du das Thema auch wichtig für Kinder und Jugendliche oder ist es eher für Erwachsene und ältere Menschen gemacht?
Nein. Natürlich nicht. Darum haben wir auch Schulvorstellungen. Natürlich kann nicht alles immer gleich verstanden werden. Aber es bleibt immer etwas zurück. Vielleicht verstehen sie es erst Jahre später. Oder sie besuchen vielleicht irgendwann mit ihren Kindern diesen Ort. So werden Schicksale weitererzählt.
Ihr habt auch eine spezielle Vorstellung für Kinder. Was ist da anders?
Nicht viel. Es ist nicht so lang weil es dann für Kinder leichter ist etwas in Zusammenhang zu bringen und wir lassen sie mehr Kinderinterviews hören. Nach der Vorstellung finde ich es wichtig das die Kinder sich „Entlanden“ können, indem sie einen Brief schreiben, etwas zeichnen oder mit ihnen über das erlebte spricht.
Auch ich bin natürlich die Audiotour (die bisher leider nur in Niederländisch verfügbar ist) einmal mitgelaufen. Etwas das mir besonders im Kopf geblieben ist war ein Satz der ganz am Anfang der Tour schon zu hören war. Ein Mann sagte, dass alle immer nur das schlechte in Hitler und dem 2. Weltkrieg sehen würden, aber dieser Krieg ja eigentlich auch zu unserem heutigen Europa geführt hat. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht und ich denke es ist genau der Punkt, weswegen es auch heute noch so wichtig ist sich immer wieder an das Geschehene und Vergangene zu erinnern. Wenn der 2. Weltkrieg uns eines verdeutlicht hat, dann ist es doch wie wichtig der Schutz der Freiheit ist und auch wie wichtig Zusammenarbeit ist und Akzeptanz. Wer weiß ob es ein Europa geben würde ohne diesen Krieg. Deswegen heißt es immer wieder, wir müssen unsere Vergangenheit kennen um die Zukunft gestalten zu können. Es wurden in der Vergangenheit immer wieder Fehler gemacht, doch diese sollten wir nicht vergessen, sondern daraus lernen und sie als Mahnung sehen für die Zukunft.
„Wer an Europa zweifelt soll Soldatenfriedhöfe besuchen.“
Nach der Vorstellung ist es jedem Teilnehmer freigestellt, noch einen Zukunftsbrief zu schreiben. Ein Brief an die folgenden Generationen mit Wünschen, Eindrücken, Erinnerungen. Die Briefe werden für 70 Jahre bewahrt und dann wieder geöffnet.
Wer weiß wie wir in 70 Jahren über dieses Thema denken. Werden wir es schaffen den Frieden in Europa zu wahren? Gibt es in 70 Jahren vielleicht sogar einen Weltfrieden? An was werden wir uns 70 Jahren noch erinnern? Welche Einzelschicksale werden weiterleben, werden weitererzählt werden. Werden sich die folgenden Generationen noch an unsere Geschichten erinnern? "Aufrecht gehen" leistet jetzt und heute einen tollen Beitrag zur Weitergabe von Lebensgeschichten an Jung und Alt. Eine Tour, die im Gedächtnis bleibt. Geschichte zum Erleben.