Armenische Kultur und Traditionen
Als meine beiden Freundinnen und ich Armenien besuchten, hatten wir das Glück bei einer armenischen Familie unterzukommen und so viele Informationen aus erster Hand zu bekommen und viel Kultur am eigenen Leib zu spüren.
Das wichtigste und typischste einer jeden Kultur ist wohl ihre Kulinarik. Und die armenische Küche ist besonders einfalls- und abwechslungsreich. Zum Frühstück reicht man mal Fladenbrot mit Salzkäse, mal Nudeln in Soße, mal Kasza mit Tomaten und Ei oder armer Ritter, in Ei gewendeter und anschließend frittiertes Brot. Auch die zum Mittag, Abendbrot oder als Snack gereichten Warmspeisen sind erwähenswert: Am bekanntesten ist wohl Lawasch, ein sehr dünnes Weizenbrot, dass auf heißen Stein gebacken wird. Ähnlich ist Lahmacun, ein dünnes, rundes Fladenbrot, das mit einer dünnen Hackfleisch-Tomaten-Zwiebel-Mischung bestrichen ist und als schneller, leckerer Snack dient. Wie in jedem Land gibt es auch in Armenien gefüllte Teigtaschen, sogenannte Karkandak oder armenische Piroggen, wahlweise mit Kartoffeln, Pilzen oder Fleisch. Sowohl für Lahmacun als auch für Karkandak zahlt man etwa 200 Dram, was 40 Cent entspricht. Für einen Euro kann man also gut satt werden.
Besonders berühmt ist Armenien für seine Joghurtsuppe Jajik. Auch gibt es eine Art Rouladen, Dolma genannt. Die kleinen, mit Hackfleisch und Reis gefüllten Weinblätter werden üblicherweise mit einem Knoblauch-Joghurt-Dip serviert. Der Kebab stammt ebenfalls eigentlich aus Armenien und nicht wie so oft angenommen aus der Türkei. Auf dem Spieß gegrilltes Hackfleisch wird dafür mit Zwiebeln und Soße in mehrere Lagen Lawasch eingewickelt. Beliebte Süßspeisen sind Gata, ein Blätterteiggebäck mit harter Zucker-Butter-Füllung, und Platten aus getrocknetem Fruchtsaft sowie Torten. Auch findet man in der traditionellen Hausmannskost jegliche Art sauer eingelegten Gemüses und Kompott aus allen möglichen vorhandenen Obstsorte.
Zu reisen ist in Armenien sehr billig. Mit Marschrutkas, Kleinbussen, die losfahren, wenn sie voll sind, und jeden mitnehmen, der nicht zaudert sich beim Stehen unter der niedrigen Decke den Hals zu verrenken, verkehren nicht nur in der Innenstadt Jerewans, sondern auch zwischen den Dörfern und Sehenswürdigkeiten. Ihr Preis reicht von 100 Dram bis 500 Dram, je nach Entfernung. Man kann aber auch leicht hitchhiken und manchmal muss man nicht einmal den Daumen raushalten, um mitgenommen zu werden. Gerade als Frau hat man es oft leichter (wenn man als alleinreisende Frau auch gerne komisch angeschaut wird), denn die Kultur ist einfach noch so ausgerichtet ist, dass Frauen sehr zuvorkommend begegnet wird, schon weil es ja einen Bruder geben könnte, der sich für schlechtes Verhalten rächen würde.
Überhaupt nimmt die Familie für Armenier einen hohen Stellenwert ein. Kinder begegnen ihren Eltern mit viel Respekt und ordnen sich ihnen auch oft im Erwachsenenalter noch unter. Das Oberhaupt der Familie ist der Vater, der auch Hauptverdiener ist. Viele Frauen arbeiten nicht oder hören spätestens dann damit auf, wenn sie das erste Kind bekommen. Kindererziehung ist auch reine Frauensache, oft helfen in modernen Familien aber die Großeltern mit, um beiden Eltern ein Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Generell wohnen die Kinder sehr lange bei ihren Eltern, oft zieht die Frau zum Mann, wenn das junge Ehepaar sich keine eigene Wohnung sucht. Besonders überraschend war für mich, dass Eltern ihre Kinder bis ins Alter von 6-7 Jahren füttern. Da saß dann ein junge Mutti in der Metro und stopfte ihrem Sprössling kleine Brothappen in den Mund und bei „Grand Candy“ führte man einem schon etwas älteren Mädchen jeden Bissen zum Kauorgan, anstatt das Kind sein Essen selbst halten zu lassen.
Wir hatten auch das Vergnügen einen Abend lang alte Volkstänze kennenzulernen. War es in früherer Zeit so, dass nur spezielle Folkloregruppen die Tänze beherrschten und zu gegebenen Anlässen vorführten, besteht heute ein starker Trend in der Bevölkerung in traditioneller Weise das Tanzbein zu schwingen und das in allen Altersgruppen und sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Der erste Tanz, den wir mittanzten, war Papuri, ein Kreistanz, der zweite Kochari. Kochari ist der Tanz der Böcke und zählt zu den Nationaltänzen Armeniens mit langer Tradition. Es gibt 20-30 Variationen des Tanzes, der in erster Linie darauf abzielt, die Bewegungen zweier Böcke beim Kampf zu kopieren, weshalb man sich beim Tanz in zwei Reihen gegenüber steht. Zuletzt wurden wir Zeuge eines unglaublichen Spektakels, dem Yarkhushta-Tanz, den nur Männer tanzen. Herausstechendes Merkmal des Tanzen ist das kämpferische Abklatschen der Tänzer.
Der Abschied aus diesem wundervollen Land mit seiner atemberaubenden Natur und seinen warmen, offenherzigen Menschen fiel uns schwer. Umso besser, dass uns die Mutter unserer Gastgeberin eine Tasse Wasser aus dem Fenster hinterhergoss. Diese armenische Tradition soll Glück bringen und den Reisenden vor Gefahren schützen.
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