Armenien und die Geschlechter
Armenien ist ein konservatives Land. Gibt es so was wie Gleichberechtigung? Wie sehr es mit Feminismus aus? Und welche Traditionen bezüglich Frauen haben die Armenien? Finde es heraus und ließ meinen Artikel
Meine Wohnung liegt sehr weit außerhalb des Stadtzentrums, weshalb ich sehr häufig den Bus hier nehmen muss, die sogenannten Martschruthkas. Bus wäre wahrscheinlich ein bisschen übertrieben, oder zu mindestens nicht das, was wir in Deutschland einen öffentlichen Bus bezeichnen. Es sind Busse aber eher Minibusse. Mein eigentlicher Punkt ist, dass es in den Bussen immer zwei Sitze direkt neben dem Fahrer gibt. Es sind sozusagen die besten Plätze im Bus. Und sie sind reserviert für ausschließlich Männer. Frauen, also auch mir, ist es inoffiziell nicht erlaubt dort zu sitzen. Das habe ich sogar unterschrieben. Und jedes mal, wenn ich den Bus benutze, nervt es mich so wahnsinnig. Nicht, weil ich unbedingt da sitzen möchte, ich saß schon immer lieber hinten, aber es geht mir um das Prinzip. Nur weil ich eine Frau bin, darf ich nicht auf bestimmten Plätzen sitzen? Wo ist denn der Unterschied? Sitze ich anders als ein Mann? Diese Fragen haben mich dazu bewogen mich einmal näher mit dem Thema der Geschlechterrollen in Armenien zu befassen, beziehungsweise der Gleichberechtigung.
Die armenische Kultur ist eine große Mischung aus vielen verschiedenen Kulturen. Sie geht sowohl mit in die westliche Entwicklungen, sie ist aber auch nah an der östlichen Kultur. Das gleiche gilt auch für die Gleichberechtigung. Trotz der patriacharlischen Gesellschaft ist Feminismus ein Diskussionsthema. Seit der Unabhängigkeit und dem Austritt aus der Sowjetunion im Jahr 1991 leidet Armenien unter einer Abwanderungswelle, die lange Zeit als die größte Migrationsbewegung der Welt galt. Viele Männer sind in anderen Ländern auf der Suche nach Arbeit, um ihre Frauen und Kinder in Armenien ernähren zu können. Das führte zum Stellungswechsel der Frauen in der Familie. War sie davor die einfache Hausfrau und Kindererzieherin, ist sie nun die Versorgerin der Familie. Nicht selten muss auch die Frau arbeiten, um ihre Familie zu sichern. Doch auch viele alleinstehende Männer zieht es ins Ausland, was zu einem massiven Frauenüberschuss in Armenien geführt hat. In einer Gesellschaft, in der man mit Anfang 20 und unverheiratet als alte Jungfer bezeichnet wird, ist das ein großes Problem. Unverheiratete Frauen leben meist bis zur Heirat bei ihren Eltern. Viele junge Mädchen ohne Mann fühlen sich deshalb als Bürde und würden ihre Eltern gerne von dieser Verpflichtung lösen. Glücklicherweise versucht die Politik dieses Problem mit Gleichberechtigung zu lösen, und nicht mit Zwangsehen oder der Propagierung von Mädchenabtreibungen. Seit 2004 läuft der nationale Aktionsplan um „den Status der Frauen zu verbessern und ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken“. Trotz hoher Bildung bei den Frauen - jede 5. Frau besitzt einen Hochschulabschluss – fehlen Frauen an Spitzenpositionen in der Politik und Wirtschaft. Viele sind der Meinung, dass Politik und Wirtschaft ein schmutziges Geschäft ist und Männer sollen sich darum kümmern, da Frauen mit solchen Geschäften nichts zu tun haben sollten. Eine Lösung dieser Denkweise ist noch nicht in Sicht, aber seit einigen Jahren sind die Begriffe „Gleichberechtigung“ und „Feminismus“ definitiv ein Thema, wobei viele Frauen diesen Themen immer noch sehr kritisch ansehen. Im Mai 2013 führe ein neues Gesetzt – „Gleiche Rechte und Möglichkeiten für Männer und Frauen“ – zu großer Aufregung. Viele bekannte Persönlichkeiten sahen sich gezwungen ein Statement zu diesem Gesetz abzugeben. Viele sahen die Definition von Gender, als anerzogen, sozial fixiertes Verhalten von Personen verschiedenen Geschlechts, als eine Gefahr für die traditionell armenischen Werte. Bis heute wird der Begriff Gender als schädlich oder auch „pervers“ angesehen. Leider wird auch häufig Feminismus als schädlich angesehen. Das Feminismus die armenische Kultur nicht zerstören wird, können viele Armenien nicht verstehen. Aber es sind auch oft die Frauen, die sich gegen Veränderung aussprechen. Ihrer Meinung nach lässt sich Feminismus und armenische Kultur nicht miteinander verbinden. Und solange Frauen nichts verändern wollen, wird sich auch nichts verändern.
So viel zur aktuellen politischen Situation. Aber wie sieht es denn zur Zeit in der Gesellschaft aus?
Bis heute ist der Gedanke, dass Mädchen bis zur Hochzeitsnacht jungfräulich bleiben sollten, nicht unüblich. Häufig wird noch die Tradition der „roten Äpfel“ durchgeführt. Dabei schaut die neue Schwiegermutter des Mädchens nach der Hochzeitsnacht nach Blutflecken auf dem Bettlaken, und sollte sie diese finden, schickt sie einen Korb mit roten Äpfeln an die Mutter des Mädchens, welche diese dann mit der Familie und Nachbarn teilt. Natürlich schaut die Schwiegermutter heutzutage nicht mehr nach Blutflecken, aber viele Familien bestehen auf den Korb mit roten Äpfeln als symbolischen Brauch.
Frauen die lange unverheiratet bleiben, müssen sich oft dumme Kommentare von anderen Familienmitgliedern anhören. Auch kommt es noch häufig vor, dass Männer, ohne die Frau zu kennen, einfach in das Haus der Frau kommen, um die Eltern um die Hand der Frau zu bitten. Also der Mann sieht eine Frau auf der Straße, oder bekommt sie von Verwandten empfohlen, danach folgt und observiert er sie für einige Tage, und wenn sie ihm gefällt und sich anständig verhält, entscheidet er sich um ihre Hand zu bitten. Heutzutage hat die Frau aber immer die Möglichkeit „Nein“ zu sagen. Stimmt sie zu, dann wird meistens innerhalb weniger Wochen geheiratet.
Diese Traditionen passieren aber meistens in Dörfern. In Yerevan ist so was eigentlich nicht mehr zu sehen. Auch in Gyumri, der zweitgrößten Stadt, wird so ein Verhalten immer seltener.
Eine Sache, die überall passierte, und mich wahnsinnig nervte, was der Internationale Frauentag. Dieser Tag leitet den „Frauenmonat“ ein, ein Monat, der nur für Frauen ist, in dem Frauen gefeiert werden und welcher mit dem „Tag der Mütter und Schönheit“ endete. „Ein Monat für Frauen ist doch schön?“, fragen sich jetzt sicher viele. Was mich daran störte war, dass in vielen anderen Ländern dieser Tag mit Demonstrationen für Frauenrechte und Gleichberechtigung gefeiert wurde. In Armenien wurden Frauen Blumen geschenkt, und in vielen Familien machte der Mann den ganzen Monat Kaffee und nicht die Frau. Während andere Frauen demonstrierten, ließen sich hier Frauen beschenken und feiern. Aber das ist es doch nicht, was wir wollen? Armenische Frauen sollten auch demonstrieren und für ihre Rechte einstehen und sich nicht mit Blumen und Kaffee zufrieden geben. Mein EFD Kollege hatte die perfekte Antwort, auf die Frage, ob er neidisch wäre, dass es keinen Männermonat gäbe. Denn er antwortete: „Ich brauche keinen Monat, ich habe doch das ganze restliche Jahr.“ Das war natürlich als Witz gemeint, aber fasst die Mentalität hier sehr gut zusammen.
Mein Eindruck ist, dass junge Mädchen auf jeden Fall etwas ändern wollen. Ich bin einigen Mädchen begegnet, die mir erzählten, dass sie niemals jemanden heiraten würden, nur um verheiratet zu sein. Auch haben viele Mädchen immer ambitioniertere Pläne für ihre Zukunft. Und zwar in allen Bereichen, von Politik bis Technik. Es ändert sich langsam etwas, und ich habe Hoffnung, dass in vielleicht 20 Jahren Mädchen die Politik in Armenien bestimmen.
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