Arbeitseinstellungen und Projekte
Bei mariann ist immer was los, Theater, Filme, Marionettenspiele und am Wochenende eine Animateurausbildung. Mittlerweile hat sie sich auch an die Arbeitsmoral in ihrem Projekt gewöhnt.
Hallo an Alle!
Inzwischen werde ich schon wesentlich besser ins Miroirleben eingebunden, bekomme Aufgaben und muss nicht mehr darum betteln. Aber Freizeitmäßig ist hier immer was los, da fast jeden Tag ein "spectacle" von jemandem stattfindet. So auch letzten Sonntag im Asylbewerberheim eines Dorfes. Da musste feststellen, dass Belgien viel Mehr Geld in Soziales und Freizeitgestaltung investiert als Deutschland, denn es sah überhaupt nicht wie ein Asylbewerberheim aus. Mir wurde später erklärt, dass die Anlage vorher eine Art Freizeitkomplex für Kinder und Jugendliche war. So kommt es, dass ich hier keine hässlichen alten Platten vorfand, sondern einstöckige Bungalos, eine große Sporthalle, ein Gemeinschaftshaus und einen Spielplatz. Maries spectacle fand in der Turnhalle statt, wo ein Minizirkuszelt und zwei verschiedene Vorführungsorte aufgebaut wurden. Im Zirkuszelt wurde ein Stummfilm von Lotte Reiniger gezeigt. Irgendwie hat da aber Sylvie übersehen, dass es auch bei Stummfilmen Sprache in Form von Text gibt und so wurde es schnell langweilig, denn der war logischerweise auf Deutsch. So darf ich das irgendwann für das nächste Mal übersetzen. Aber der Film ist wirklich nur zu empfehlen!
Davor trat ein Künstler der Gruppe "Theatre royal des Marionnettes de Liège" (oder so ähnlich) auf, der eine Geschichte von Tchantchès präsentierte. Das ist eine berühmte Figur aus Liège, die die Arbeiter (rotes Tuch) repräsentiert. Mehr Informationen darüber erhaltet Ihr hier. Im Theaterstück ging es um die Familie von Tschantchès, aber sein Charakter kam gut rüber und Spitzen gegen die derzeitige "Weltpolitik" waren auch dabei. Ein wenig ist er wie "unser" Kasperle, aber eben aus der Arbeiterbewegung entstanden. Dieser Künstler spielte am Ende noch eine Geschichte. Dazwischen war ein Duo aus Flandern dran. Schon etwas älter, aber mit vielen Marionnetten und zwei typischen Instrumenten haben sie sie zum Tanzen gebracht. Da habe ich natürlich alles verstanden.
Danach haben wir noch dort Abendbrot gegessen und ich bin mit Daniel nach Hause gefahren. Irgendwie sind wir ganz schnell auf die (nett ausgedrückt) Differenzen zwischen den Flandern (Norden) und die Wallonen (Süden) gekommen. Ich weiß nicht, ob Ihr etwas darüber wisst, aber mal ganz grob: Am Anfang war Niederländisch die Sprache der wohlhabenden Bevölkerung, aber dann kamen die Religionskriege und diese flüchteten nach England oder Holland. Da die Wallonie auch noch ihre wirtschaftliche Blüte erreichte, wurde Französisch die Sprache der wohlhabenden Gesellschaft und Flämisch (Niederländisch) die der Dienstleute und Bauern. Durch einige Schriftsteller entstand aber in Flandern wieder ein Gefühl für ihre Sprache, zumal diese einen wirtschaftlichen Aufschwung bekamen. So kommt es, dass es in Belgien drei offizielle Sprachen gibt: Französisch, Flämisch und Deutsch, außerdem ist Brüssel zweigeteilt (Französisch und Flämisch). Das klingt irgendwie seltsam, ist aber sehr ernst und problematisch, denn zu allem Überfluss hat die belgische Regierung den drei Sprachregion sehr viel Macht gegeben zum Beispiel über Bildung und Kultur. Daniel hat mir einige sehr schlimme Beispiele erzählt. Zum Beispiel, dass es an der "Sprachgrenze" mal einen Zugunfall gegeben hat, da sich die zwei entgegenkommenden Züge zwar gegenseitig sagten, dass sie jetzt die Strecke benutzten, aber eben der eine auf Flämisch und der andere auf Französisch.
Eigentlich hatte ich noch nichts von diesem Hass mitbekommen, was wahrscheinlich größtenteils daran liegt, dass ich es mit kulturell aufgeschlossenen Menschen zu tun habe, aber was mir Daniel so erzählt hat, war echt schlimm. Im Endeffekt ist dieses Land zweigeteilt und man könnte eine Mauer durchs Land ziehen, so wie es mal in Deutschland war. Daher wird auch Brüssel das moderne Israel genannt, denn auch wenn in vielen Köpfen diese Abneigung besteht, leben hier die Leute friedlich nebeneinander. Ich habe aber gelesen, dass noch dazu kommt, dass es in Brüssel wie in jeder europäischen Hauptstadt viele Ausländer gibt und die da noch kräftig mitmischen.
Ein anderes Thema, ähnlich wichtig, aber mit Jocelyne diskutiert, ist die Arbeitsmoral des Miroir. Ich hatte ja am Anfang gedacht und erzählt, dass es daran liegt, dass die Wallonie noch etwas vom südländischen Einfluss abbekommen hat. Das stellte sich inzwischen als falsch heraus und da beharrte mein Gastvater sehr darauf. Es sei nur der Miroir, der so sei und das würde auch viele wundern. Diese sozialistische Atmosphäre rührt von den Gründern her, die diese Zeit aktiv mitbekommen und mitgestaltet haben. Das wird natürlich im Miroir übernommen, bringt aber Probleme mit sich. So ist die derzeitige Belegschaft erst seit maximal zwei Jahren beim Miroir. Jocelyne erzählte, dass vorher immer viel wegkam (das kleinste waren Briefmarken, aber der Miroir hat immer die neuste Technik) und es keine Ordnung gab. Das hat sich zwar jetzt geändert und es gibt "Verwalter", aber so richtig funktioniert das auch nicht und Christine hat bei der letzten Versammlung viel gemeckert.
Komischerweise funktioniert es aber. Denn zu diesem Umgang mit dem Material kommt noch die sonstige Einstellung hinzu. So ist zwar eigentlich immer etwas - wenn auch weniger sinnvolles - zu tun, aber da wird lieber wieder nach einer Stunde Arbeit eine Zigaretten- oder Kaffeepause gemacht, E-Mails oder Zeitung gelesen oder gequatscht. Irgendwie funktioniert das, aber Viele (Außenstehende) sagen, dass sie so nicht arbeiten könnten. Auch ein Mitarbeiter vom Compagnons Batisseurs, bei denen ich dieses Wochenende eine Animateurausbildung gemacht habe (wenn ich die Bilder habe, kommt der Text dazu), kann so überhaupt nicht arbeiten. Für mich war es am Anfang sehr komisch, aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt und frage nach.
So bin ich auch schon am Ende meiner letzten Woche. Ach ja, ich habe meine Platte gedruckt und auch wenn der Kurs und die Professorin begeistert waren, fand ich es nicht so toll und möchte das nächste Mal noch zwei Versuche starten. Der Seitenwechsel stört mich komischerweise dabei nicht.
Als Letztes wäre noch zu sagen, dass letzten Donnerstag Arzu angekommen ist. Eine türkische Freiwillige, die seit einem Monat auf ihr Visum wartete, endlich da ist. Viel habe ich aber noch nicht von ihr mitbekommen, da ich an dem Tag (Freitagnachmittag schaute sie mal kurz vorbei) auf dem Campingplatz Rahet mit Marie-Aline war und ich dann schnell weg nach Hause musste, weil Nina (eine deutsche Freiwillige aus Namur, die auch die Ausbildung machte) an dem Abend kommen wollte.
Ich hatte ja von dem Videoprojekt von Erik samstags über die Skater in Hotton erzählt. Da war ich zwar erst einmal dabei, aber das war sehr lustig, da diese Leute wie Kleinkinder in einer relativ kleinen Halle ihre selbstgebauten Rampen hin- und herschieben, die sie von dem Dorf (Hotton) gesponsert bekommen hatten. Dieser Trupp hat sogar eine Homepage mit einem Bild vom Skatepark, was ich Euch nicht vorenthalten will.
So, bis die Bilder vom Wochenende kommen! Mari