"Anstrengend"
Von dem Versuch mit Hayley Kiyoko im Schneidersitz meine letzten Wochen zurück in Deutschland zu reflektieren. Zeit, ein Antwort auf die Frage "Wie ist es, wieder zurück zu sein?" zu finden.
Ich sitze im Schneidersitz auf meinem Bett. Vor mir mein geliebter Laptop, mit dem ich meine Gedanken festhalte. „Klick“ macht die Tastatur, während ich neue Wörter eingebe. An den Tagen, an denen ich nicht viel überlegen muss, mein Gehirn angeregt ist und ich schnell die richtigen Worte finde, klingt das Klicken irgendwann nach einem Jingle. Ein recht simpler Jingle, nicht besonders guter, vielleicht für einen Wasserflaschen- oder Fensterputzmittel-Werbespot.
Hier sitze ich nun, höre die üblichen Popsongs von Hayley Kiyoko, Janelle Monae, Jessie Reyez...während die einen Gedanken dem englischen Lyrics folgen, arbeitet mein Kopf daran, Sätze zu bilden, die nicht zu verschachtelt sind und euch eine gute Vorstellung von meinen Eindrücken vermitteln sollen.
Mein Blick fällt ins Grün. Hinter dem Fenster strahlt der hellblaue Himmel. Der Sonnenschein lässt das Grün der Bäume glänzen. Im Hintergrund meiner Lieblingsmusik steht fortlaufend der Geräuschpegel der fahrenden Autos.
Vor 2,5 Wochen konnte ich im Hintergrund riesige Wolkenkratzer, eine wirklich hübsche Skyline sehen, die einen Teppich aus Baumkronen durchbrach. Heute schaue ich auf ein vertrocknetes Feld, das von einem Zaun umrandet wird, auf ein paar Hecken, die den direkten Blick auf ein paar Famlienhäuser bedecken. Im Hintergrund kann ich keine Hochhaussiedlungen entdecken. Statt dessen sehe ich nun den blauen Himmel. Seit wann ist Köln eine Kleinstadt?
Neue Wohnverhältnisse schaffen neue Perspektiven. Plötzlich fehlt auf den Fensterbänken die Staubschicht, die durch die Luftverschmutzung regelmäßig erneuert und verdichtet wird. Das Wasser fließt in der Dusche ab, ohne dass ich es mit meinen nackten Füßen zum Abfluss schieben muss. Auf einmal kann ich wieder ausschlafen, weil mich Rolladen von dem morgendlichen Sonnenstrahlen schützen. Die Türen im Haus quietschen nicht. Ich trenne wieder Müll. Ich höre wieder Deutsch, anspruchsvolles, niveauvolles Deutsch – je nach Umfeld.
Die letzten 2,5 Wochen waren von Eindrücken getrieft, die viel Schlaf einforderten, um verarbeitet zu werden. Am 06.07.2018 stieg ich aus dem Flugzeug in Frankfurt, fiel meinem Bruder in die Arme. Zwei Stunden später stand ich auf dem Abschlussball einer guten Freunden, und sie viel mir in ihrem hübschen Kleid um den Hals. Ein Jahr zuvor hatte ich hier gestanden. Nur ein Jahr, ich konnte mich so gut an unseren Abiball erinnern und dennoch war er so weit weg...
Am gleichen Wochenende hatte ich den Genuss, die CSD-Parade in Köln zu bewundern - die fortschreitende Toleranz und Offenheit der deutschen und Kölner Kultur machte mich stolz. Am gleichen Nachmittag saß ich zwischen meinen Familienmitgliedern und guten Freunden. Ich saß dort und hörte zu. Das viele Deutsch war anstrengend, auf eine mir unbekannte Art. Die vielen Gesprächsfäden zerrten an meiner Konzentrationsfähigkeit. Ich saß dort und fühlte mich, ja, wie ein Alien. Eines der einfachsten und routiniertesten Szenarien, ein Grillabend mit Familie und Freunden, war mental so anstrengend für mich, dass ich nur verhalten an den Gesprächen teilnehmen konnte und immer erschöpfter wurde. Es machte mich traurig. Eigentlich hatte ich mich doch so sehr auf diese 'einfachen' Dinge gefreut. Und nun konnte ich sie nicht genießen.
Das war am dritten Tag zurück in Deutschland. Anschließend ging es aufwärts. Tag für Tag bekam ich mehr Energie, mehr Kraft mich auf kontroverse Diskussionen, die verschiedensten Emotionen und Auseinandersetzungen einzulassen. Es heißt: Durchhalten. Ich weiß, dass ich mich emotional wieder einfinden werde, dass das 'Alien-Gefühl' vergeht, dass das Verarbeiten und Einfinden in die neue Lebenssituation Geduld benötigt. Das wusste ich bevor ich kam, und daran erinnere ich jeden Tag, an dem ich in meinem alten/neuen/vertrautem/fremden Zimmer aufwache. Ich beschwichtige das Fremdheitsgefühl, das ich während Fahrradfahrten durch meine Heimat spüre. Ich schließe die Tür, wenn ich mich wieder etwas Kraft tanken muss, bevor ich mich mit den nächsten selbsternannten Experten zu Politik und Gesellschaft beschäftigen kann. Ich leere die nächste Wasserflasche, damit wir bei abendlichen Spaziergängen am Rhein nicht schwarz vor Augen wird.
Ich freue mich über den Blick auf den Rhein, über vertraute und fröhliche Gesichter. Personen, die mir viel von sich erzählen und mich wieder in ihr Leben integrieren möchten. Ich freue mich über Fortschritte, darüber die Erfolge, den Stolz, die Freuden und auch traurigen Momente meiner Mitmenschen wieder näher mitfühlen zu können.
Wenn ich gefragt werde, „Und, wie ist es so, wieder zurück zu sein?“, laute die ehrlichste Antwort: „Anstrengend.“ So ist es halt. Es ist mit unfassbar vielen Errungenschaften, Freuden, Enttäuschungen, Überraschungen und auch mit Verlusten verbunden. Bedeutet auch: „Es ist lehrreich!“
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