Anders und doch gleich - Traditionen in den Niederlanden und Deutschland
Es ist wieder soweit: Die Tage werden kürzer, die Hände kälter und die Atmosphäre gemütlicher. Die Städte sind geschmückt mit Lichterketten und Sternen, Geschenke werden gekauft und Wohnungen dekoriert. Hier ebenso wie in Deutschland. Doch es gibt auch Unterschiede in den Traditionen: Hier beginnt die Bescherung quasi schon Mitte November. Wie das möglich ist? Das werde ich euch hier erklären.
Es ist wieder soweit: Die Tage werden kürzer, die Hände kälter und die Atmosphäre gemütlicher. Die Städte sind geschmückt mit Lichterketten und Sternen, Geschenke werden gekauft und Wohnungen dekoriert. Hier ebenso wie in Deutschland. Doch es gibt auch Unterschiede in den Traditionen: Hier beginnt die Bescherung quasi schon Mitte November. Wie das möglich ist? Das werde ich euch hier erklären.
Bevor ich zu den speziellen Traditionen komme, ganz allgemein: Was ist eine Tradition eigentlich? Laut Duden ist das „etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o. Ä. in der Geschichte, von Generation zu Generation [...] entwickelt und weitergegeben wurde“. Sind die Traditionen nur was für Kinder und alte Leute? Nein, sie sind etwas für jeden von uns. Sie zeigen uns unsere Werte. Sie sind etwas, auf das man sich verlassen kann, das von Dauer ist in dieser schnellen Welt. Es ist immer interessant, neue Traditionen kennenzulernen und zu erleben. Dadurch kann man besonders viel über die Geschichte und die Werte des Landes lernen. Das ist ein fester Bestandteil unseres „Europäischen Solidaritätskorps“ - Freiwilligenprogrammes. Aber es ist nicht nur etwas, was uns von oben „auferlegt“ wird zu tun, es besteht wirklich Interesse. Mein „On Arrival Training“, bei dem ich viele Freiwillige aus verschiedensten Ländern getroffen habe, zeigte dies. Wir bekamen die Aufgabe, aufzuschreiben, welche Themen uns interessieren bzw worüber wir gerne mehr wüssten. Und da kam ganz oft die Antwort, über niederländische Kultur bzw Traditionen. Natürlich gab es auch Freiwillige, die daran nicht interessiert waren. Wir haben in Apeldoorn die offizielle Sinterklaas-Ankunft besucht und waren ebenso gespannt wie die Kinder, die dort in Scharen warteten. In der Mittagspause unseres Seminars habe ich gemeinsam mit meinen Zimmergenossinen ferngesehen. Aber nicht irgendeine amerikanische Serie, sondern alle bis dahin ausgestrahlten Folgen des Sinterklaas-Journaals. Aber nicht nur sie holländische Tradition ist vielen wichtig, sondern auch die aus dem Herkunftsland. Die meisten gehen an Weihnachten heim, um dieses Fest zu feiern.
Sinterklaas und St. Nikolaus. Zwei unterschiedliche Namen. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man Ähnlichkeiten: Sint heißt nichts anderes als Sankt und Klaas geht auf Nikolaus zurück. Also ist das das Gleiche? Ja und Nein.
Zuerst zum geschichtlichen Hintergrund: Beide Figuren gehen auf Nikolaus von Myra (ca 270-345) zurück. Dieser soll aus einer reichen Familie entstammt sein und nach dem Tod seiner Eltern das Erbe an arme Leute verteilt haben. Um seine Person ranken sich mehrere Legenden. Die bekannteste, auf die auch der heutige St. Nikolaus Brauch zurückgeht, ist folgende: Er soll einem armen Mann, der die Mitgift für die Hochzeit seiner Töchter nachts heimlich Gold vor die Tür gestellt haben, um die Mädchen vor der Prostitution zu bewahren.
Viele Kirchen und Kinder wurden nach ihm benannt und in diesem Zuge wurde auch sein Namenstag bzw Todestag, der 6.12. gefeiert. Die Feier dieser Tage fand häufig schon am Vorabend statt. Dadurch entstand der 5.12. als „Sinterklaasavond“ Zweifelsfrei bestätigt ist seine Existenz nicht.
Im 16 Jhd dann wurde das Nikolausfest in weiten Teilen Europas gewissermaßen gleich mit Geschenken gefeiert. Doch die Spaltung der Kirche durch die Reformation brachte viele Änderungen mit sich: Die katholischen Heiligen verloren in der protestantischen Kirche an Bedeutung. So schaffte Martin Luther in Deutschland 1535 die Bescherung durch Nikolaus für die Protestanten ab und führte einen neuen Brauch ein: Der heilige Christus sollte von nun an Geschenke an Weihnachten bringen. Der Name wurde verniedlicht zu „Christkind“. Seit 1900 etablierte sich dieser Brauch auch in der katholischen Bevölkerung. Und so hat sich die deutsche Tradition des Weihnachtsfestes entwickelt. Geschenke, Zeit mit der Familie, gutes Essen, All das gibt es bei uns an Weihnachten. Und wie schaut das in den Niederlanden aus?
Hier ist die Bescherung noch immer durch Sinterklaas. Mitte November kommt er mit dem Schiff aus Spanien an. Da gibt es eine große Parade und Feierlichkeit, um ihn und die Pieten (seine Helfer) zu begrüßen. Die Kinder stellen dann jeden Tag bis zum 5.12. ihre Schuhe vor den Kamin. Nachts kommt dann Sinterklaas mit dem Pferd über das Dach geritten und bringt ein kleines Geschenk. Am 5.12., dem „Pakjesavond“ ist es dann so weit: Es gibt die große Bescherung. Den Kindern bringt natürlich Sinterklaas die Geschenke. Wenn die Kinder größer werden und nicht mehr an Sinterklaas glauben, werden Zettel mit den Namen der Familienmitglieder verteilt und dann wird gewichtelt. Das Besondere bei diesen Geschenken ist eigentlich die Verpackung, die „surprise“. Dabei wird individuell auf den Empfänger abgestimmt, kunstvoll gebastelt: Für einen Autofan wird ein Auto gebastelt, in dem das Geschenk drin ist, für einen Einhornliebhaber ein Einhorn. Dazu gibt es noch ein Gedicht. Darin wird oftmals aus der Perspektive von Sinterklaas über den Empfänger und sein vergangenes Jahr berichtet, seine guten Eigenschaften gelobt, aber auch sarkastisch über Marotten geschrieben. Der Stellenwert dieses Festes ist sehr hoch. Es gibt beispielsweise auch eine eigene Nachrichtensendung, das „Sinterklaasjournaal“, die ab Anfang November täglich über Neuigkeiten zu Sinterklaas berichtet. So weiß man dadurch zum Beispiel, dass Sinterklaas dieses Jahr nicht mit dem Schiff, sondern mit der Dampflok gekommen ist, weil sein neues Pferd Angst vor Wasser hat. Und diese Sendung ist nicht etwa eine belanglose Kindersendung, nein, sie wird im niederländischen Hauptfernsehprogramm ausgestrahlt und nicht nur von Kindern geschaut. Das kann aber die Eltern manchmal in die Bredouille bringen, wenn zum Beispiel berichtet wird, dass alle Chocoladenletters von den Mäusen angefressen wurden und dann die Eltern einen Abend damit verbringen, jede Schokolade anzuknabbern. Wo wir schon bei Schokolade sind: An typischen Leckereien gibt es neben den populären Buchstaben (jeder bekommt seinen Anfangsbuchstaben) noch herrliche Kruidnoten (ähneln optisch Amarettini, geschmacklich Spekulatius), außerdem „gevuulde speculaas“ und Pepernoten.
Nun komme ich nochmal zurück zu meiner Frage: Ist das Sinterklaasfest das Gleiche wie das Nikolausfest, St. Martin oder vielleicht sogar wie Weihnachten? Wie wir gesehen haben, gibt es einige Unterschiede. Aber der Gedanke dahinter ist der gleiche: Mit anderen teilen. Zusammenleben als Gegenpol zur Individualisierung. Egal ob das nun auf Arme, Kinder, Kranke oder die Familie bezogen ist. All diese Traditionen fordern uns auf, zu helfen. Wie viel das nicht nur den Beschenkten, sondern auch den Schenkenden gibt, habe ich selbst erfahren: Gestern Abend habe ich mit einer Gruppe von Leuten zweier Kirchen im Amsterdamer Rotlichviertel Sinterklaasgeschenke an die dort arbeitenden Frauen verteilt. Es war so schön zu sehen, wie sie sich gefreut haben. Und egal ob es Sinterklaas nun wirklich gibt oder nicht: Er existiert. Mit solchen Taten können wir es zeigen: „Sinterklaas, das bist du selbst!“
Quellen:
https://www.duden.de/rechtschreibung/Tradition
https://www.nemokennislink.nl/publicaties/de-geschiedenis-van-sint-nicolaas/
https://www.sueddeutsche.de/panorama/weihnachts-legenden-wer-ist-eigentlich-dieser-typ-in-rot-1.920827-2
https://www.sueddeutsche.de/kultur/brauchtum-der-nikolaus-heiliger-gabenbringer-mit-langer-tradition-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-151201-99-22666
René Klaassen: „Sinterklaas, meer dan één legende. De vele andere verhalen over de heilige man“, Antwerpen-Apeldoorn 2009.
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