Ambassadeurs Européens
Ich mache meinen Freiwilligendienst im CRIJ, einem Jugendinformationszentrum in Reims (Nordosten Frankreichs). Bereits zwei Monate nach meiner Ankunft im September wurde ich das erste Mal „ins kalte Wasser geworfen“: Ich sollte im Rahmen meiner Arbeit vor einer Schulklasse über meine Erfahrungen mit dem europäischen Solidaritätskorps berichten. Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um selbst an diesem Programm teilzunehmen? An wen kann man sich wenden, wenn man Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Projekt benötigt? Wie fühlt es sich an, in einem fremden Land zu leben, fern von Familie und Freunden?
Mobilité et programmes européens – pourquoi pas moi?
Mobilitätsprogramme in Europa – warum nicht ich? So lautet das Motto der Kampagne « Ambassadeurs Européens » (Europäische Botschafter), mit der meine Organisation in die Schulen der Region geht. Ziel des Projektes ist es, Schüler zu ermutigen, für einen bestimmten Zeitabschnitt ihres Lebens ins europäische Ausland zu gehen.
Oft ist es auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen, dass nicht noch viel mehr Jugendliche diese Chance nutzen. Dies zu ändern, hat sich das Jugendinformationszentrum zur Aufgabe gemacht. Es schickt kleine „Botschafter-Teams“ in die Schulen und informiert die Jugendlichen über die zahlreichen Möglichkeiten eines Auslandsaufenthaltes. Diese Teams bestehen jeweils aus einem Europa-Spezialisten sowie 1-2 Jugendlichen aus dem europäischen Ausland, den sogenannten Ambassadeurs Européen.
Letztere haben den Schritt, ins Ausland zu gehen, bereits gewagt. Sie leben derzeit in Frankreich und können deshalb besonders authentisch darüber berichten, wie sich das anfühlt, in einem zunächst „fremden“ Land zu sein und zu erleben, wie man sich dort von Tag zu Tag besser zurecht findet und jede Menge neuer Freunde findet.
Die Veranstaltungen dauern ca. 1 Stunde und bestehen aus zwei Komponenten:
Zuerst erklären die Ambassadeurs, über welches Mobiliätsprogramm sie nach Frankreich gekommen sind. Manche machen, wie ich, einen Europäischen Freiwilligendienst. Andere haben sich dafür entschieden, über das Erasmus-Programm einen Teil ihres Studiums oder ein Praktikum in Frankreich zu absolvieren. Die Schüler bekommen exemplarisch einen detaillierten Einblick in das Programm, das der oder die Vortragende aktuell gerade besucht, und erhalten darüber hinaus einen Überblick, was es sonst noch alles so gibt (darunter auch Workcamps, Woofing, Aupair,…).
In der zweiten Hälfte geht es dann darum, mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen. Anders als in Deutschland, wo ein Gap-Year oder Auslandssemester mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme darstellt, sind die Hemmungen für längere Zeit ins Ausland zu gehen hier in der Region sehr groß.
Die Top 3 Ängste und meine Erfahrungen damit
1) „Mein Sprachniveau ist nicht ausreichend“
Die Hauptangst der Franzosen betrifft das Sprechen einer Fremdsprache. Dies liegt zum einen daran, dass im Schulunterricht das aktive Sprechen viel zu kurz kommt, vor allem aber an der Tatsache, dass die Schüler denken, man müsse die Fremdsprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschen.
In diesem Punkt machen wir den Schülern mit unserem Besuch etwas Mut: Sie erleben hautnah, dass man sich, auch ohne eine Sprache perfekt zu beherrschen, durchaus verständlich machen kann. Und aus eigener Erfahrung konnte ich berichten, dass unvollständige Sprachkenntnisse einen nicht daran hindern, Kontakte zu knüpfen oder den Alltag zu bestreiten. Im Gegenteil: Die Franzosen freuen sich sehr, wenn sie merken, dass ich ihre Sprache spreche und die kleinen Fehler tragen oft zur Erheiterung bei.
2) „Ich habe Angst, Familie und Freunde zu verlassen“
Da die Schüler, mit denen wir sprachen, noch nie länger von zuhause weg waren, ist diese Angst verbreitet und verständlich. Allerdings versuchen wir deutlich zu machen, dass für die meisten spätestens ein paar Jahre später ohnehin ein Einschnitt bevorsteht: Nach dem Abitur z.B. ziehen viele Absolventen zum Studium in eine andere Stadt. Warum also nicht noch einen Schritt weitergehen und das eigene Land für eine begrenzte Zeit verlassen?
Ob ich nicht Heimweh hätte, werde ich immer wieder gefragt. Tatsächlich spielt Heimweh für mich persönlich bisher keine Rolle. Dies mag auch dran liegen, dass es in Zeiten von Whatsapp und Co leichter ist denn je, den Kontakt zu Familie und Freunden zu halten. Hinzu kommt, dass man um einiges mehr zu erzählen hat als im normalen Alltag.
3) „Kulturschock“
Die eigenen Gewohnheiten aufzugeben und sich auf etwas Neues einzulassen, fällt manchmal schwer. Ein Ambassadeur aus Spanien erzählte in einer unserer Präsentationen, dass für ihn der stark veränderte Tagesrhythmus die größte Herausforderung gewesen sei. Er sei es gewohnt, jeden Tag eine Siesta zu machen, und das Abendessen beginne bei ihm frühestens um 22 Uhr.
Ich persönlich finde es sehr bereichernd, diese verschiedenen Bräuche und Gewohnheiten kennenzulernen. Bei meinem Auslandsaufenthalt in Frankreich entdecke ich nicht nur die französischen Gepflogenheiten: Wenn ich am Wochenende ausgehe, dann sitzen wir oft mit 10 Personen aus 10 verschiedenen Ländern an einem Tisch, und es ist unmöglich, dass einem der Gesprächsstoff ausgeht.
Warum es sich lohnt, seine Ängste zu überwinden
Wenn wir die Schüler fragten, was denn die Vorteile eines längerfristigen Auslandsaufenthaltes seien, tauchten erstaunlicherweise die Hauptängste diesmal als Hauptmotivationen auf:
Allem voran das Erlernen einer neuen Sprache, was im Ausland um einiges leichter fällt. Aber auch die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, die man erlangt, wenn man auf sich allein gestellt ist. Wer die Erfahrung machen durfte, schwierige Situationen auch in fremder Umgebung meistern zu können, gewinnt ein hohes Maß an Selbstbewusstsein: ähnliche Herausforderungen im eigenen Land kommen einem dann nicht mehr so schwierig vor.
Noch allzu gut erinnere ich mich daran, wie aufgeregt ich war, als ich im Rahmen der Kampagne Ambassadeurs Européens vor 50 Schülern sprechen sollte, auf Französisch. Inzwischen fällt mir das erheblich leichter und ich empfinde sehr viel Freude dabei.
Hier findet ihr ein kleines Video über die Kampagne:
https://www.youtube.com/watch?v=93HzQVdA3Z4
Quellen:
Umfragewerte unserer eigenen Kampagne : https://prezi.com/wogovvl0lm2d/resultats-de-lenquete-mobilite-et-programmes-europeens-pourquoi-pas-moi/?utm_campaign=share&utm_medium=copy#
https://www.bfmtv.com/societe/pourquoi-les-francais-sont-ils-si-mauvais-dans-les-langues-etrangeres-1265434.html
https://www.arte.tv/sites/de/das-arte-magazin/2017/08/11/mut-zur-blamage/
https://www.nwzonline.de/hintergrund/fremdsprachen-unerwuenscht_a_3,0,3835800507.html