Always look on the bright side of life
Corona hat mein Leben um 180° gedreht. Damit musste ich erstmal klarkommen, habe aber auch viel daraus lernen können, zum Beispiel Pessimismus zu fasten.
Es ist schon eine ganze Weile her seit dem ich das letzte Mal einen Blog geschrieben habe. Ich habe es zwar versucht aber irgendwie konnte ich nie was Vernünftiges zusammenbringen. Es gibt mich zwar noch als Autorin, nur nicht mehr aus Tschechien.
Wie viele habe auch ich die Situation am Anfang sehr unterschätzt. Ich habe mir nicht vorgestellen können, dass ich um diese Zeit wieder an meinem Schreibtisch in meinem deutschen Zuhause wäre und diesen Artikel schreiben würde.
Hier ein kleiner Rückblick:
15.03.2020
Anfangs hatte ich noch gelacht darüber, dass einige Deutsche Tschechien wegen des Virus verlassen hatten.
Und jetzt sitze ich selber hier. Heute habe ich erfahren dass Tschechien alle Grenzen dicht machen will. Nach mehreren Gesprächen mit Mama und meiner Sendeorganisation ist klar, dass es für mich keinen Sinn macht zu bleiben. Ich wäre die erste die ins Homeoffice geschickt werden würde und wenn das Land Ausgangsbeschränkungen verhängen würde hieße das, dass ich alleine wäre, ohne Beschäftigung und das wohlmöglich für mehrere Monate, ausgesperrt aus dem eigenen Land, dessen Grenze nur anderthalb Autostunden entfernt ist. Ich will nicht weg, aber ich habe wohl keine Alternative.
Im Internet habe ich gelesen dass am 17.03.um 24 Uhr die Grenzen dicht sein werden. Schweren Herzens buche ich also einen Zug. Doch dann kriege ich eine Mail vom Auswertigen Amt. Die Grenzen schließen nicht erst übermorgen sondern schon am nächsten Tag. Meine Hände fangen an zu zittern. Das heißt ich habe ungefähr 12 Stunden um in den Zug Morgen um 9 in Horažďovice zu steigen um noch rechtzeitig in Prag einen Zug zurück nach Berlin zu kriegen.
Wenn ein Ticket in der ersten Klasse billiger ist als das in der zweiten dann läuft irgendwas gehörig falsch. Corona hat schon so vieles durcheinandergewirbelt. Während ich packe laufen die Tränen und ich verfluche den Ministerpräsidenten und die tschechische Regierung für die Maßnahmen.
16.03.2020
Die Sonne lacht vom Himmel, es ist eisig. Schweren Herzen schließe ich meine Wohnungstür ab. Die Hälfte meiner Sachen lasse ich erstmal zurück, alle Plakate hängen noch an den Wänden. Das tschechische Wetter zeigt sich nochmal von seiner besten Seite. Nach dem ich die letzten Dokumente unterschrieben habe, bringen mich mein Chef und meine Koordinatorin zum Bahnhof.
Es fühlt sich surreal an als ich sie ein letztes Mal umarme und dann in den Zug steige.Ich schwöre ihnen, dass ich zurückkommen werde.
Auf den Bahnhöfen in Pilsen und in Prag herrscht eine komische, gehetzte Stimmung. Ich bin bei weitem nicht die einzige Deutsche, die mit Sack und Pack das Land verlässt. Die Bahn nach Berlin ist dann aber doch erstaunlich leer. Eigentlich fahre ich gerne Zug, doch auf diese Reise hätte ich liebend gerne verzichtet.
Ende des Rückblicks.
Seit diesem Freitag im März heißt es jetzt schon seit fast 2 Monaten für mich warten. Am Anfang war ich ziemlich frustriert, nicht nur wegen meiner Situation, sondern auch weil ich Berlin noch nie so leer erlebt habe. An Wochentagen 12 Uhr mittags sind so wenig Leute unterwegs gewesen wie sonst an Wochentagen zwei Uhr nachts. Das hat einfach nicht gepasst, Berlin ist nie leer.
Frustriert hat mich auch das Verhalten der Menschen in der Kriese. Die ausgeräumten Regale fand ich sehr erschreckend.
Es hat mich traurig gemacht, wie unsolidarisch sich Menschen doch verhalten können und wie wenig sie einander vertrauen.
Ich habe Tschechien vermisst und mein Leben dort. Ich habe dann auch aufgehört Nachrichten zu lesen, da eine Hiobsbotschaft nach der anderen kam und ich mich nicht mehr davon runterziehen lassen wollte.
Die evangelische Kirche hatte für die Fastenzeit vor Ostern zum Pessimismusfasten aufgerufen, was ich mir zum Motto nahm. Pessimissmus hätte mir in meiner Situation erst recht nicht weitergeholfen. Ich habe mir vorgenommen positiv zu bleiben.
Ich singe immer noch ,,Always look on the bright side of life" beim Händewaschen.
Mitlerweile habe ich mich aber gut an die Situation gewöhnt. Jeder Tag ist zwar irgendwie identisch, aber so viel Schlaf wie jetzt zum Beispiel habe ich lange nicht mehr gekriegt und ich habe jetzt auch Zeit für Dinge, für die ich vorher keine Zeit hatte.
Ich bringe mir jetzt Gitarre bei und habe ein Lied zu einem Klopapierlied umgedichtet, um damit gegen Hamsterkäufe zu protestieren
und versuche mein Bestes beim social distancing zu geben.
Das lebendige Berlin habe ich sehr vermisst und deswegen freue ich mich über jede Lockerung die jetzt kommt. Denn jede lässt Berlin ein Stück von sich selbst zurückerobern. Gestern Abend hat man endlich wieder Kinder auf den Spielplätzen johlen und kreischen gehört. Immer mehr unserer Lieblingsrestaurants bieten jetzt Takeaway und alleine dadurch wirken die Straßen so viel lebendiger. Die Masken nehme ich gerne in Kauf um das normale Leben zurück zu bekommen, das Abstandhalten ist schon so eintrainiert, dass ich automatisch zurückweiche, wenn jemand die 1,50m zu mir unterschreitet.
Corona hat mich auch einige Dinge realisieren lassen. Zum Beispiel wie viel mir andere Menschen bedeuten, dass ich es nicht für selbstverständlich nehmen sollte sie umarmen zu können. Und auch wie sehr ich das bunte lebendige Berliner liebe.
Man sagt einmal Berliner immer Berliner und das stimmt auch, zumindest für mich. Egal wohin ich später mal gehen werde, für mich wird diese Stadt immer die schönste Stadt der Welt bleiben.
Ich denke diese Pandemie hat uns allen gezeigt, dass Leben, unsere,, Normalität“ mehr zu genießen, da wir nie wissen können wie sie am nächsten Tag aussehen wird. Ich sehe das auf der Straße, wie Leute bewusst tiefer die Luft einatmen, sich lächelnd umgucken, einfach froh sind wieder draußen sein zu dürfen und förmlich sprühen vor Lebenslust.
Dieser Virus hat uns gezeigt, wie wichtig uns eigentich all diese kleinen Dinge im Leben sind, die wir meistens übersehen und wo einem erst bewusst wird wie wichtig sie doch sind, wenn man sie plötzlich nicht mehr hat.
Für mich ist mein ESK hoffentlich noch lange keine Geschichte, denn es sieht ganz danach aus als könnte ich im Juni wieder arbeiten. Mir fehlen nur noch ein paar Dokumente um zurück nach Tschechien zu kommen und meinen eigentlichen Alltag wiederaufzunehmen. Ich vermisse dieses Land und besonders die Leute dort und hoffe daher sehr dass alles klappt.