Altstadtpfutzies
"Und dir gefällt's? Dann warst du wohl noch nirgendwo anders!“ Doch, das war Stoertebeker. Eine kleine Ode an Kaunas.
„Oh, toll, du lebst jetzt also schon sechs Monate in Litauen? Wie gefällt's dir? Und wo genau?
- „In Kaunas“, antworte ich, wie immer, „und mir gefällt es sehr, sehr gut!“. Und wie immer rechne ich schon mit derselben Reaktion.
Der Litauer fängt an zu lachen. „In Kaunas? Und dir gefällt's? Dann warst du wohl noch nirgendwo anders!“
Doch, war ich. Zigmal sogar, in Vilnius, Klaipėda, Šiauliai, auf der Insel Nida, in Rīga und Druskininkai. Und ich liebe kaum etwas mehr, als am Wochenende Vagabund zu spielen und an andere Orte zu reisen, aber das eine, das ich doch mehr liebe, ist das Gefühl, nach dem Wegfahren das erste Mal wieder das Ortsschild zu sehen: Kaunas, zweitgrößte Stadt Litauens, ehemalige Hauptstadt von 1920-1940, Stadt im Zeichen des dümmlich starrenden Bullen.
Fragt man die Litauer oder auch den Rest dieser kleinen Welt, was denn so zum Örtchen Kaunas zu sagen sei, kommt oftmals der Spruch, Kaunas sei die größte Tankstelle auf der Autobahn von Vilnius nach Klaipėda, Kaunas, Hauptstadt der fyfos(Tussen) und marozai(Gangster), oder mein Liebling: Kaunas nemiestas, šudas nešviestas, Kaunas ist keine Stadt und Scheiße ist keine Butter.
Sie alle lieben die Stadt wie keine andere!
Und irgendwie haben sie ja auch Recht, hier ist keine große Auswahl an Kneipen oder Clubs in die Feiernde gehen können, Touristen sind nach einer Stunde sight-seeing gelangweilt, um 10Uhr abends sind so gut wie sämtliche Straßen bereits wie leergefegt von Menschen. Die Häuserfassaden bröckeln vom einen Ende der Straße bis zur anderen bis auf den letzen Farbpatikel ab und gefühlte 40Prozent aller Gebäude der Altstadt stehen leer.
Und wisst ihr was? Ich habe mich in diesen symbolischen Abfalleimer der Nation verliebt, vom Stadteil Šilainiai über den Fluss Nemunas zur Neris bis hinunter zur Kauno Marios Bucht fühle ich mich wie in der richtigen Stadt angekommen. Es ist zwar eine Hass-Liebe, das muss ich zugeben, aber in guten Beziehungen gehört Streit ja dazu, hat irgendein kluger Mensch bestimmt einmal festgestellt.
Das Zentrum, die Freiheitsallee, ist zwar sehr schön, aber gut, viel zu sehen gibt es dort nicht. Und die Leute schnorren dich im Takt nach Zigaretten an, was den Eindruck auch nicht gerade euphorisch in die Höhe schnellen lässt. Die Altstadt ist da schon ein bisschen interessanter, die alten Bauten reihen sich wunderbar farbig aneinander und an den Seiten lassen sich schnell gemütliche Kleinigkeitenläden finden, und dann hört die Altstadt auch plötzlich schon auf. Dahinter soll ein schöner Park sein hat man gehört, aber der ist bei den Schneemassen ohnehin nicht zu erkennen. Garnichtmal so übel alles, aber nicht, was einen hochaufjauchzen lässt, wirklich nicht.
Doch es gibt diese zwei Gründe, wie ich im Nachhinein keine andere Stadt als Kaunas für meinen Freiwilligendienst gewählt hätte: Meine großen zwei Lieben, meine Wohnung und das Boške, deren Namen dort oben im Himmel auf ewig als Sterne funkeln werden, bestimmt.
Wir Altstadtpfutzies haben es uns mittlerweile sehr gemütlich gemacht in unserem kleinen Hinterhof hinter der Backsteinkirche. Wir, damit meine ich mich, meine zwei Mitbewohner aus Deutschland und Moldawien, die drei Pfund Spinnen und jegliche Nachtgespenster, die bei uns als Gast eingeschleust wurden. Eine Küche mit Gasherd und Gasofen, der aussieht, als sei er zum Kinderbacken gemacht, dahinter der wohl kleinste Raum der Welt, der von uns finnische Botschaft getauft wurde, und dessen Zweck wohl nur zum darin Rauchen bestimmt sein kann. Das Bad liegt am Flur, an dem sich drei Zimmer reihen, und in der Mitte dieser Räume befindet sich dann meine Aladinhöhle – denn Zimmer kann man es guten Gewissens nicht nennen. In dem einst großen Raum habe ich durch schieben und hebeln und knechten versucht, mir einen privaten Bereich zurechtzuzimmern, und das endete damit, dass ich mit Schränken und unmengen von kyrillischen Büchern drei Meter hoch Stapelmännchen gespielt habe, das ganze wird dann mit einer Tür aus einem Hauch von Nichts und kitschigem Blumenstoffvorhang geschlossen, tada! Meine immense Privatssphäre wird nur leider gebrochen, wenn ich jeden Morgen durch das Türknallen meines Mitbewohners aufwache, der durch mein Zimmer watscheln muss, oder ich schon in der Nacht vom Schnarchen und Grummeln der fast permanenten Gäste genervt werde, denn das Sofa steht direkt vor meiner unüberwindbaren Zimmerwand. Und doch hatte ich kaum je einen Ort, den ich so geliebt habe wie diese Wohnung, die von manchem Menschen schon mit derjenigen aus dem Flim Fight Club verglichen wurde. Schwer zu beschreiben, was den Charme dieses Kabuffs ausmacht, um es also einfacherweise in den Worten eines russisch-moldawischen Freiwilligen auszudrücken: „It´s brrriliant, this is like a rrrreal undergrrround-club!“
Und das vielleicht schönste an dieser Wohnung ist der Weg zum B.O., Blue Orange, oder auch Boške, der ist nämlich nur vier Minuten lang. Das B.O. ist eine wunderbar ranzige Bar, in der wir nun seit zwei Monaten etwa jeden zweiten Tag unsere Abende versacken lassen. Der märchenhafte Zauber des B.O. besteht darin, dass man wohl nirgendwo solche liebenswerten und auch seltsamen Volltrottel in ganz Litauen findet, wie dort. Von Philosophenrunden bis Neuzeithippies, steinalte Piratenhaudegen, Weltenbummler, merkwürdige Individuen mit Vogelnesthaaren, Francophonisten, extrem glückliche Polen, Fotografen, passionierte Trinker, widerwärtige Ranzlappen – hier lässt sich alles finden. Und dazwischen, immer, irgendwie, wir, einmal fasziniert beim Double von Ian Curtis sitzen, um dann später, vier Uhr morgens von meiner Mitbewohneirn geweckt zu werden:“Wach auf! Ian Curtis sitzt in unserer Küche!“, ein andernmal mit der Finnenbande auf dem Tisch tanzend, und dann wieder gut diskutierend, über Religion, Freundschaft, Liebe, Tierrechte. Auf meinem Herzen ist ein großes „B“ tättowiert.
Man muss sich also Wege suchen, in Kaunas seinen Platz zu finden. Es dreht sich darum, sehr kreativ zu werden, sich die Zeit zu vertreiben, sehr offen zu sein zu den ganzen mysteriösen Gestalten, öfter mal nicht nein zum Wein zu sagen – und einfach mitlachen, wenn mal wieder ein Spruch kommt über dieses Fleckchen hier in der Mitte dieses Landes. Mein Weg ist, alles mit viel Humor zu nehmen, und vor allem zu versuchen, mich selbst in diesem Irrenhaufen (denn das ist die Stadt) mit Humor zu sehen. Und dann merkst du plötzlich: Auf irgendeine seltsame Art bin ich sehr wohl Kaunietė!
Tuchkus hat mir vor kurzem geschrieben: „I´m happy that you are Kaunietė. Kaunas needs you!“
Gut, gut, dann bleibe ich also noch ein Weilchen hier. Und selbst sollte ich dann eines Tages gehen, denke ich an den Slogan der Patriotenwerbung, die überall in den Straßen aushängt: Kaunas, tai mano miestas. Nesvarbu, kur bučiau. Dies ist meine Stadt, ganz egal, wo ich auch sein mag.
Und zum Abschluss noch einen kleinen Einblick in das litauische Vokabular: mein vorheriges Lieblingswort šiukšlių dėžė (Abfalleimer) wurde nun abgelöst von eškėtrožių arbata (Hagebuttentee).
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