Alltagsrassismus
Das ist ein Thema, welches mich seit meinem Freiwilligendienst in der Türkei mehr und mehr beschäftigt, wahrscheinlich weil ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Land wohne, in dem ich offensichtlich fremd bin.
"Wow, du sprichst aber gut Deutsch!" " Und woher kommst du wirklich?" "Gehst du wieder zurück in deine Heimat?" Diese Frage werden Menschen, die wohl nicht stereotypisch deutsch aussehen, jeden Tag gestellt. Mir war lange Zeit nicht bewusst, was das in diesen Menschen auslöst, bis ich selber meine "Ausländer"-Erfahrung gemacht habe: Hier bin ich fremd, aber zu meinem Glück verbinden alle mit meinem Heimatland Deutschland überwiegend positive Bilder. Bei meinen Freiwilligendienst-Kolleginnen aus der Ukraine sieht das schon ganz anders aus, die wenigsten sagen offen, dass sie aus der Ukraine kommen aus Angst, hier dann als "leichtes Mädchen" zu gelten.
Natürlich macht einem diese positive Sonderrolle, die ich genieße, am Anfang noch Spaß: Man erregt Aufmerksamkeit auf der Straße, viele Menschen kommen auf einen zu und wollen Zeit mit einem verbringen (großer Vorteil als EVS-Freiwilliger) und Millionen von Fotos werden gemacht. Auch dass sich Leute freuen, wenn ich türkisch spreche, finde ich noch lustig und selbstverständlich nehme ich auch die ganzen Einladungen, Extras und Geschenke gerne an, aber vor allem, weil ich hier nur kurzzeitig bin. Weil das hier nicht mein Leben ist.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlen muss, als Deutsche/r mit Migrationshintergrund gefragt zu werden, wie lange man denn schon in Deutschland ist. Schließlich ist das hier die Heimat dieser Menschen, die oftmals kaum noch Verbindung zu dem Land ihrer Vorfahren haben. Wie unwillkommen, wie fremd muss man sich dann fühlen? Meiner persönlichen Einschätzung nach, kann das ein sehr negativ prägendes Ereignis sein: Meine EVS-Koordinatorin Emine ist in Deutschland aufgewachsen, hat sich aber wegen dieser Haltung vieler Menschen für ein Leben in der Türkei entschlossen – Wo sie aber auch eine Fremde, ein Almanci ist.
Diese Begriffe und Klassifizierungen sind es, was Alltagsrassismus ausmacht: Dabei geht es um den zentralen Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung. Viele Begriffe um Menschen mit Migrationshintergrund sind politisch inkorrekt und diskriminierend, weil sie Fremdbezeichnungen sind und damit das elementare Recht auf Selbstbestimmung tangieren. Die Autorin Noah Sow definiert sich daher als "People of Color", eine Selbstbezeichnung aus dem Widerstand gegen Rassismus. Grada Kilomba hat diesen Rassismus als "Vorurteil kombiniert mit Macht" definiert, denn letztlich geht es genau darum: Mit seiner Sprache, seinem Verhalten und seiner Perspektive Machtverhältnisse aufzubauen, rassistische Strukturen von "wir" und den "Anderen" aufrechtzuerhalten und sich damit selber zu konstituieren (ein wundervolles Buch zu dem Thema ist Orientalismus von Edward Said).
Denn warum müssen wir feststellen, dass der Mensch uns gegenüber anders ist? Um uns selber zu definieren, um unsere deutsche Identität zu festigen. Oder eben die türkische Identität wie in meinem Fall. Was mich momentan noch nicht wirklich stört, obwohl mir auch schon negative Perspektiven aufgefallen sind, die ich dann aber zum Glück mit einer menschlichen Begegnung relativieren konnte. Und genau das halte ich für das Heilmittel gegen Alltagsrassismus: Menschlichkeit, Kommunikation und Begegnung. Integration ist ein Lernprozess für Alle, das muss aber erstmal auch so wahrgenommen werden und in den öffentlichen Diskurs aufgenommen werden.
Interessant ist dabei auch die Rolle von Freiwilligen kritisch zu reflektieren, vor allem wenn es um ihre Berichterstattung geht: Glokal e.V. leistet sehr gute Arbeit darin, Leitfäden zu formulieren um auf subtilen Rassismus in Reiseberichten und Blogs zu vermeiden, hier mehr dazu: http://www.glokal.org/publikationen/mit-kolonialen-gruessen/
Das Wichtigste ist der Diskurs. Wir sollten nie darüber aufhören zu reden, wir sollten Betroffenen den Raum lassen und unser Verhalten und Ausdrucksweise reflektieren.
Weiterführend:
http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland
http://www.bpb.de/mediathek/178985/die-entstehung-des-rassismus