Alles neu im Januar
Hallo meine Lieben,
nachdem ich mich lange nicht gemeldet habe, versuche ich jetzt endlich wieder einmal die Gegenwart einzuholen und berichte von den fünf Wochen, die seit den Weihnachtsferien schon wieder vergangen sind.
Bevor wir nach dem Jahreswechsel auch die Arbeit in den anderen Projekten begannen, erkundeten Ellen und ich vor Neujahr noch die mit etwa 325 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Rumäniens, Cluj-Napoca (deutsch: Klausenburg). Der Aufenthalt dort hatte sich für uns zwangsläufig vor und nach den Weihnachtsferien ergeben, da unser Flughafen in Târgu Mureș einige Wochen zuvor spontan geschlossen hatte und alle Flüge nun nach Cluj umgeleitet wurden. Glücklicherweise stand diese Stadt ohnehin auf der Liste unserer rumänischen Reiseziele, da sie sowohl kulturell und geschichtlich, als auch im Freizeitangebot für junge Leute einiges zu bieten hat. Von den Transsilvaniern hört man sogar oft, es handelte sich um „die beste Stadt Rumäniens“. Neben dem Besuch der wichtigsten Sehenswürdigkeiten und des Kunstmuseums bot uns Cluj jedenfalls einen tollen Rahmen, zusammen mit einer großen internationalen Gruppe von Freiwilligen in 2017 hinein zu feiern.
Einige Tage später begann auch in der Foundation ein neuer Abschnitt unseres Auslandsaufenthaltes und jeder meiner zurückgekehrten EVS-Familie musste sich erneut der Herausforderung eines neuen Arbeitsalltags mit unterschiedlichen Charakteren stellen. Für mich bedeutete das den Wechsel von meiner Gruppe in ATRIUM zur „Grupă roșu“ (rote Gruppe) in PERSEVERENTA. Neben dem (sogar noch) früheren Aufstehen bereiteten mir vor allem die völlig unterschiedlichen Schwerpunkte der beiden Tageszentren einige Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu der Arbeit mit den geistig eingeschränkten Erwachsenen, die einen kreativen Rahmen vorrangig auf eine intellektuelle Entwicklung ausgelegt ist, liegt die Hauptaufgabe der Betreuer und Therapeuten der drei PERSEVERENTA-Gruppen darin, die Kinder zunächst auf ein möglichst unabhängiges Alltagleben vorzubereiten. Dies bedeutet, dass wir beispielweise das eigenständige Umziehen und Essen üben und die Kinder einen Weg entwickeln sollten, wie sie im sozialen Umfeld ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können, sei es über Sprache, Gesten, oder Hilfsmittel wie Bildkärtchen. Abgesehen von besonderen Ereignissen wie der Besuch im Kindertheater (Rotkäppchen auf Rumänisch) und der gemeinsamen Backaktion, folgt der Alltag also einem relativ geregelten Ablauf. Doch selbst wenn die neue Arbeit eine gewaltige Umstellung von meiner geliebten Gruppe in ATRIUM bedeutet, konnte ich mich in den letzten Wochen dennoch eingewöhnen, habe meine Mitarbeiterinnen und vor allem die sechs Kinder zwischen fünf und sieben Jahren sehr ins Herz geschlossen und sammle auch an meinem neuen Platz viele schöne, wertvolle Erfahrungen.
Nach der ersten Woche in unseren neuen Projekten wurden Elisa, Julia, Ellen und ich wieder einmal von der Spontanität (beziehungsweise der semi-gut funktionierenden Kommunikation) der Foundation überrumpelt, da man uns mitteilte, ein lokaler Fernsehsender sei gekommen um uns für die „Deutsche Stunde“ seines Programms zu interviewen, die einmal pro Woche für die deutsche Minderheit von Târgu Mureș (nach den Rumänen und Ungarn die größte vertretene Nationalität der Stadt) ausgestrahlt wird. Die Dokumentation berichtete über unsere Arbeit, den Europäischen Freiwilligen Dienst und unserer Leben hier in Rumänien allgemein, sodass wir uns diesen Sonntagmorgen schlussendlich mit unseren ungekürzten Kommentaren als die neuen Fernsehstars von Neumarkt (deutsch für Târgu Mureș) bewundern konnten. Zum Glück beschränkte sich unsere neue „Berühmtheit“ allenfalls auf diese halbe Stunde und wurde sicherlich auch nur von einem Bruchteil der rumänischen Bevölkerung überhaupt verstanden, weshalb wir bisher von Paparazzi und Autogrammjägern verschont blieben.
Dennoch gestaltete sich unser Freizeitleben auch im Januar nach wie vor abwechslungsreich, wir waren in mehreren Konzerten, im Kino, beim Bowlen und empfingen für ein Wochenende zwei unserer Freundinnen vom On-Arrival-Seminar. Mit unseren Gästen, die in Rumäniens kleinster Stadt, Tușnad (mit seinen etwas mehr als 2000 Einwohnern sogar kleiner als Ittersbach), ihr EVS verbringen, besuchten wir erneut die wichtigsten Orte von Târgu Mureș und konnten sogar einen Spaziergang auf dem mindestens 50cm dick zugefrorenen Fluss Mureș (deutsch: Mieresch) machen.
Da am 24.01. mit einem Feiertag der 1862 stattgefundenen Vereinigung des rumänischen Teils von Moldawien, der Walachei und Transsilvanien gedacht wird, unternahmen wir einen Ausflug nach Sighișoara (deutsch: Schäßburg), um diese Bilderbuchstadt auch Julia, Elisa und Joao zu zeigen, die bei unserer Flashmob-Aufführung im November nicht dabei gewesen waren. Nach ihrer Gründung in der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts war diese jahrhundertelang vorrangig von Siebenbürgischen Sachsen bewohnt, weshalb die deutsche Sprache auch hier wieder einmal sehr präsent ist. Weiterhin wird Sighișoara auch auf besondere Weise mit der literarischen Gestalt „Dracula“ von Bram Stoker in Verbindung gebracht, da Vlad Țepeș (Vlad III. Drăculea, der Pfähler), möglicherweise dort geboren wurde und zwischen 1431 und 1436 in der Stadt gewohnt haben soll. Trotz der eisigen Kälte schlenderten wir nach dem mittelalterlichen Zentrum, welches seit 1999 sogar als Unesco-Weltkulturerbe gilt, auch durch die Gassen des neueren Teils der etwa 28.000 Einwohner starken Stadt und erlebten erneut die rumänische Lebensfreude in Form eine Zusammenkunft von Menschen, die zu traditioneller Musik tanzten und sich offensichtlich gut amüsierten.
Auch mit unseren Kollegen trafen wir uns dieses Wochenende erneut zu einer kleinen Feier. Da ein geplantes Skiwochenende in den Bergen aufgrund eines plötzlichen Umschwungs zu „warmem“ Wetter (etwas über 0°C und Regen) abgesagt werden musste fand das bereits vorbereitete Abendessen im Rahmen eines gemütlichen Abends mit landestypischen Gerichten, Gesellschaftsspielen und Tischtennis in der Foundation statt. Zwar war ich etwas enttäuscht über das verpasste Skifahren, doch ich habe die Hoffnung noch nicht völlig aufgegeben und angeblich sollen die Temperaturen auch nochmal etwas sinken (- auf erneute -20 Grad wie wir sie im Januar schon miterleben mussten spekuliere ich dennoch nicht). Abgesehen davon wird es sicher auch in den nächsten Wochen viel Abwechslung in unserem Haus geben, da aufeinanderfolgend drei unserer WG-Mitglieder Gäste aus ihren Heimatländern empfangen werden.
Bis bald, pe curând!