Alla olika, alla lika!
Janna realisiert, dass sie nur noch zweieinhalb Monate ihres Aufenthalts in Schweden vor sich hat. Doch statt Trübsal zu blasen, nutzt sie diese Zeit so ausgiebig wie möglich.
Radioshows
Und wieder sind mehr als sechs Wochen vergangen… Sechs schöne, sehr volle und ereignisreiche Wochen… aber ich fange mal von vorne an.
Ende März schlenderten Valentina und ich an einem sonnigen Freitag von der Lillboskola zurück ins „Zentrum“. Als sie Anfang Februar ankam, hatten wir mal (mehr aus Spaß) überlegt, eine Radiosendung zu machen. Plötzlich hatten wir an diesem Mittag die spontane Idee, einfach bei dem Radioleiter (Vizebürgermeister oder so von Edsbyn) vorbeizuschauen, ihn zu fragen bezüglich einer internationalen Sendung. Es war ne witzige Situation, als wir kurz später in seinem Büro saßen, nicht recht wussten, wie wir ihn von unserer Idee überzeugen sollten – hatten ja gar keine richtige Vorstellung, wie unser Programm aussehen sollte, wie das alles funktioniert und so. Wie auch immer, er lud uns dann jedenfalls zum Radio ein, zeigte uns alles und so nahm unsere Karriere als Radiojournalisten ihren Lauf.
Nickie war auch sofort dabei. Das erste Mal interviewte er uns auf Schwedisch und anschließend machten wir unser Programm „Olika - Lika“ (Nach dem Motto „Alla olika, alla lika“ bzw. „All same, all different“) auf Deutsch und Italienisch. Wir sprachen über unseren Freiwilligendienst, wie wir dazu kamen, was es einem bringt und so was. Das war alles ein bisschen chaotisch an dem Tag, zumal wir davon ausgingen, dass das Interview direkt vor unserer Sendung eingespielt werden würde, sodass wir uns nicht noch mal großartig vorstellten.
Dem war aber nicht so. Das heißt, es muss sehr komisch gewesen sein, wenn im Radio plötzlich ohne Vorwarnung 20 Minuten Italienisch und anschließen noch mal so lange Deutsch geplaudert wird.
Das zweite Mal hatte Nickie sich dann eine Struktur überlegt, das war besser. Erst diskutierten wir auf Englisch eine ganze Weile über Vor- und Nachteile der verschiedenen Schul- und Bildungssysteme in Deutschland, Italien, Luxemburg und Schweden. Im Anschluss daran lasen wir jeweils einen Ausschnitt eines kleinen Romans auf Deutsch, Italienisch und Französisch. Das Programm dauerte insgesamt dann fast anderthalb Stunden, wobei es zwischendurch immer mal wieder eine kleine musikalische Pause gab. Es machte großen Spaß und ist eine interessante Erfahrung. Wir werden sicher noch ein paar Sendungen einspielen, sie werden hier im regionalen Radiosender nun zweimal wöchentlich abends gesendet. Tja, das war Abenteuer Radio.
Ausflugsenttäuschungen
Am letzten Märztag hatten Vale und ich Lust, gemeinsam einen Ausflug zu machen. Im Reiseführer hatte ich ein kleines Örtchen an einem großen See herausgesucht, was sehr nett beschrieben war. Wir setzten uns also in den Bus und fuhren los. Dort angekommen war die Enttäuschung groß: Es war ein einziger Industrieort, ohne Supermarkt, ohne Ortskern, ohne irgendwas…
Als wir einen älteren Mann fragten, wo es hier denn zu einem Café, bzw. zur Ortsmitte ginge, schaute der uns nur groß an und meinte, dass der Supermarkt (die ehemalige Ortsattraktion) inzwischen abgerissen sei. Es war einfach nichts da! Es lag an einem See, aber selbst der war nicht schön. Alles war wie ausgestorben und wir waren froh, dass ne Stunde später wieder ein Bus zurück in die Zivilisation fuhr.
Wir beschlossen, noch eine Weile ans Meer zu fahren, suchten einen Ort heraus, zu dem uns der Bus bringen konnte. Flop Nr. 2: Wir landeten auf einem riesigen Industriegelände, nur im Hintergrund konnte man ein paar kleine Flecken Meer erspähen. Nach einem kurzen Spaziergang Richtung Süden kamen ein paar stattliche Wohnhäuser mit Grundstück zum Wasser hin, allerdings getrennt durch riesige Felsen, sodass wir nicht wirklich zum Meer hervordringen konnten. Schade!
Schnell nahmen wir den nächsten Bus, der uns über Söderhamn Richtung Edsbyn brachte. Unser Ausflug war also ein einziger Flop, aber einiges lernten wir: Nun wissen wir wenigstens, wo wir nicht noch mal hinfahren brauchen und wie schön wir es doch eigentlich in unserem Edsbyn haben (und das will schon was heißen, denn schön ist Edsbyn auch nicht!). Toll, wie man Dinge durch den Vergleich mit anderen plötzlich ganz anders wahrnimmt und zu schätzen weiß. Tja, und was den Reiseführer angeht, so war das leider nicht die erste Enttäuschung, man sollte sich also lieber nie zu viel erhoffen.
Ostern und Geburtstag
Am Ostersonntag fuhr ich mit dem Zug dann nach Stockholm, um dort ein paar Tage mit meinen Eltern zu verbringen. Am Flughafen traf ich sie mit David, der zufällig im gleichen Flieger wie sie saß, und so „fikaten“ wir erstmal zusammen.
Die folgenden zwei Tage verbrachten wir dann sehr schön im „Venedig des Nordens“. Es war sehr schön, weil auch ich noch einige neue Ecken der Stadt kennen lernen durfte. Abends feierten wir gemütlich im Hotelzimmer in meinen Geburtstag hinein, war eine lustige Situation. Wir mussten erstmal einen Tisch improvisieren, Gläser erfragen und so.
Meinen Geburtstag verbrachten wir vormittags noch in der Altstadt und Stockholm, unter anderem in meinem Lieblingscafé, und dann größtenteils im Auto, das meine Eltern für die nächsten Tage mieteten. Wir fuhren Richtung Edsbyn, klapperten auf dem Weg aber in der Region nördlich von Stockholm noch einige nette kleine Orte ab.
Von hier aus zeigte ich ihnen dann unseren Ort, meine verschiedenen Schulen und die Tanzschule usw. Außerdem machten wir eine Wanderung hoch zum Mückenberg, von dem wir eine schöne Aussicht über die Wälder und Seen der Umgebung genossen, und einen Tagesausflug zu einem Wildpark (mit Elchen, Wölfen und anderen örtlichen Wildtieren) und einer Halbinsel, mit einem niedlichen kleinen Fischerort. Und dann trafen sie natürlich auch Nickie und Vale sowie Helena und ein paar Freunde.
Die Woche mit meinen Eltern war sehr, sehr schön und intensiv. Manche sagten, es sei komisch gewesen, wenn Leute von zu Hause plötzlich in ihre neue Welt „eindrangen“. Das fand ich aber gar nicht. Im Gegenteil – ich fand es schön, ihnen einen kleinen Einblick in mein schwedisches Leben geben zu dürfen – ist ja doch was anderes als aus Erzählung oder von Fotos.
Schulalltag
Seit den Osterferien gab ich an der Grundschule in Viksjöfors einen Französischkurs für Schüler der fünften und sechsten Klasse. In der ersten Stunde, hatte ich sechs Schüler – drei Mädchen und drei Jungen. Nach 20 Minuten verzogen sich die Jungen und meinten „sie dachten, es sei einfach“ und so gingen sie lieber zum Sportunterricht. Also habe ich jetzt drei Mädchen. Das macht totalen Spaß, da sie super motiviert und interessiert sind. Außerdem machte ich mit Klasse drei und vier ein Kunstprojekt zu Hundertwasser. Das ist ebenfalls toll, weil es den Kindern großen Spaß macht und wirklich schöne Bilder dabei herauskommen!
Ende April wurde es plötzlich über Nacht grün, die Knospen platzten auf und es wurde richtig frühlingshaft! Ich glaube, ich war noch nie so glücklich über den Frühling wie dieses Jahr. So oft bin ich stehen geblieben, habe mich an ein paar Knospen oder Blüten erfreut!
In den vergangenen Wochen flogen außerdem oft Zugvögelschwärme über unser Wohnhaus, und jedes Mal habe ich mich so gefreut! Von weitem konnte ich sie meist schon „schnattern“ hören und lief ans Fenster, um sie zu begrüßen. Es erinnerte mich an „Nomaden der Lüfte“, wo es auch teilweise um Zugvögel aus Skandinavien geht. Ist so schön, an was für kleinen Dingen ich mich hier oft erfreue!
Inzwischen haben wir uns hier von zwei Lehrern Fahrräder ausleihen können. Ich war so froh, endlich wieder Fahrrad fahren zu dürfen! Ich liebe es, es ist immer so ein Gefühl der Freiheit, wenn ich Rad fahre, lauer Wind mir durch die Haare bläst, ich singe und dahin radle. Nun ist es aber leider so, dass die Räder uralt sind, und zwar richtig alt! Bei längeren Strecken über drei Kilometern traue ich mich gar nicht, das Rad zu nehmen, weil es einfach so schrottig ist. Vale fuhr damit einmal nach Viksjöfors und als sie bereits im Ort war und sich unterhielt, kullerte plötzlich eines der Räder davon! Ein Mann konnte ihr glücklicherweise gleich behilflich sein, aber trotzdem. Das ist mir nicht so ganz geheuer. Schade… Naja, laufen tue ich ja auch gerne und bei längeren Strecken muss ich halt weiterhin den Bus nehmen.
Ab in die Natur!
Am Donnerstag vor zwei Wochen, war jedenfalls so schönes Wetter, dass ich beschloss, den ganzen Weg von Viksjöfors nach Hause zu laufen. Es wurde ein kleines Abenteuer daraus. Erst lief ich hinunter zum See, der sah so wunderbar blau aus, die Luft war warm und ich wollte das Wasser testen. Ich setzte mich eine Weile an den Steg, zog Schuhe und Strümpfe aus und hielt meine Füße ins Wasser. Oh, war das kalt! Brrr! Nach einer Sekunde spürte ich meine Füße nicht mehr – Eiswasser war es! Ist ja aber auch noch nicht lange aufgetaut. Ich hielt meine Füße ein paar Mal, insgesamt vielleicht vier oder fünf Sekunden, ins Wasser, dann beschloss ich, dass es für den Tag reiche mit der Abhärtung.
Also machte ich mich auf den Nachhauseweg. Ich schlenderte durch Viksjöfors und weiter die kleine Landstraße Richtung Edsbyn. Nach dem Ort begann links der Wald und als ein kleiner netter Fußweg hineinführte, folgte ich diesem. Sah doch so schön aus, der Wald, durchflutet von Sonnenstrahlen. Der Weg wurde immer schmaler zu einem dünnen Pfad und schließlich verlor sich die Spur.
An sich kein Problem, von der Richtung her, hätte ich einfach immer parallel der Straße folgen können, das Problem war nur, dass das Moos immer weicher und weicher wurde und mir damit mulmiger und mulmiger zumute. Sah es aus wie ein bewachsener Fels, sank ich dennoch plötzlich ziemlich tief ein. Oh je, das fand ich dann nicht mehr witzig. So kletterte ich, wenn möglich, von Wurzel zu Wurzel und schaute, möglichst schnell aus dem sumpfigen Wald herauszukommen. Ich war so erleichtert, als ich endlich wieder auf der Landstraße war!
Als ich dann der Straße folgte kam nach einer ganzen Weile mit einem Mal ein mittelgroßer Hund von einem kleinen Seitenweg auf mich zugeschossen. Und ich habe doch so Angst vor Hunden! Ich dachte mir „Oh nein, was mache ich denn jetzt?“. Der kam so auf mich zugewetzt und ich dachte, der springt mich jetzt an und beißt mich – die merken ja schließlich, wenn man Angst hat. Ich hatte aber Glück: Genau auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb der Hund stehen! Puh! Und ich lief möglichst ruhig weiter.
Insgesamt war ich drei Stunden unterwegs, der Weg wollte einfach kein Ende nehmen und zum Schluss war ich total fertig, sodass ich in Edsbyn erstmal einen leckeren Kaffee getrunken habe, bevor ich nach Hause ging. Und gut geschlafen habe ich in der Nacht dann allemal!
Feierlaune
Hier in Schweden gibt es am 30. April und 1. Mai viele Feste zum Frühlingsbeginn. Am 30. April war ich spontan zu einem privaten Fest eingeladen. Es war eines der schönsten Erlebnisse, die ich hier in den Monaten hatte. Das Fest fand statt bei Linnéa, sie wohnt in einer alten Kapelle. Wundervoll! Die Kapellenhalle ist ein riesiger Raum mit großen Fenstern zu drei Seiten, sodass es super hoch und hell ist. Viele Gäste (sie waren so zwischen 20 und 40) machten Musik – spielten Gitarre, Klavier oder Akkordeon, sangen und trommelten. Die Stimmung war einfach herrlich ausgelassen und nett.
Am Abend danach gab es in einem kleinen Nachbardorf ein riesiges Feuer. Wir tanzten zudem einen Lichtertanz, bei dem die Leute nur die Lichter, nicht aber uns sehen sollten, und es wurde ein riesiges wunderschönes Feuerwerk veranstaltet. Das merkwürdige war, dass nach dem Feuerwerk innerhalb von drei Minuten all die vielen Menschen verschwunden waren. Das war so komisch, plötzlich alle weg… statt noch ein wenig zusammen zu stehen, zu plaudern und so…
Heimatbesuch
Donnerstag, den 3. Mai flog ich dann für eine Woche ins schöne Berlin. Juhuu! Ich war so glücklich, zu Hause zu sein. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie überwältigt ich war. Wir fuhren vom Flughafen nach Hause und ich war einfach nur glücklich, da zu sein. Alles war so üppig, grün und in voller Blüte… herrlich!
Anlass war ein großes Fest, das wir anlässlich des 18. Geburtstages meines Bruders machten. Dazu luden wir alle möglichen Freunde, Bekannte, ehemalige Erzieher und Lehrer, Einzelfallhelfer etc. und Verwandten ein. Es war ein kunterbunter Abend und ein wunderschönes Fest! Und mein Bruder war die ganze Zeit so glücklich, das hat mich so gefreut. Er scheint es richtig genossen zu haben! Toll!
Was außerdem noch anstand, waren die Bewerbungen an den Unis. Zumindest einen Teil der Bewerbungen konnte ich von Berlin aus schon erledigen. Und natürlich habe ich mich auch in Berlin beworben. Vor Schweden meinte ich immer, dass ich es eigentlich ganz schön fände, mal eine andere Stadt kennen zu lernen, woanders zu studieren, aber mittlerweile würde ich doch ganz gerne in Berlin bleiben. Ist doch echt ne tolle Stadt! Mal sehen, wünscht mir Glück, vielleicht klappt es ja!
Ansonsten habe ich noch ein paar meiner engsten Freunde getroffen, Berlin einfach so genossen. Die Woche ging viel zu schnell herum! Aber umso intensiver war sie und desto mehr wusste ich sie zu schätzen, zu genießen.
Ich war ziemlich traurig, als ich wieder zurückfliegen musste! Zwar habe ich hier in Schweden auch noch ein paar sehr schöne Dinge vor und die zweieinhalb Monate werden vergehen wie im Flug, aber dennoch fiel es mir nicht leicht! Det finns en vissa person, som vet varför ;) Jag saknar dig!! Jag är ledsen, att jag inte kan vara med dig, just nu! Men det blir säkert underbart på sommaren...
Endspurt
Am Freitag machten wir (mit N. & V.) noch einen Abendspaziergang zu einem schönen See hier im Dorf. Direkt am Wasser steht eine kleine Steinbank, auf der wir saßen, schweigend die Ruhe genossen und nachdachten. Gestern Abend ging ich noch mal alleine dort hin – es ist einer meiner Lieblingsplätze geworden! So schön, einfach da zu sitzen, den Abend zu genießen, die Stille, nur ab und zu hört man Vögel oder Enten. Bei so einer Stimmung werde ich auch immer ein wenig traurig, aber das macht nichts. Manchmal ist es auch schön, traurig zu sein und Sehnsucht zu haben!
Gestern war ich auf einer schwedisch-amerikanischen Hochzeit – war interessant! Mittags waren wir bei der Trauung und abends sangen wir dann mit unserem Chor auf dem Hochzeitsfest.
Jetzt habe ich noch anderthalb Arbeitswochen (dazwischen ist noch Himmelfahrt), dann kommen meine Tanzgruppe und viele andere aus verschiedenen Ländern für eine Woche hierher, und dann ist es nur noch eine Schulwoche bis zu den Sommerferien! Unglaublich – das heißt, ich habe echt nur noch zweieinhalb Arbeitswochen, obwohl ich noch zweieinhalb Monate in Schweden bin. In den Sommerferien werden wir drei auf einem Sommercamp mit etwa 200 Jugendlichen zwei Tage lang einen Tanzworkshop geben. Huui, bin ich mal gespannt! Danach verreisen wir erst eine Woche in den Süden nach Öland, um dort zwei sehr nette Freiwillige zu besuchen – mit ihnen werden wir dann auch Mittsommernacht verbringen.
Anschließend geht es dann in den Norden nach Lappland, wo wir vermutlich in einem der Nationalparks wandern wollen und die Mitternachtssonne erleben werden. Nach unserer Rückkehr haben wir noch ein paar wenige Tage hier in Edsbyn, wo wir auch noch ein großes Abschiedsfest in Viksjöforsbaletten machen werden. Dann geht es weiter zur Gymnastrada nach Österreich und anschließend hole ich nur noch kurz meine Sachen. Dann treffe ich mich mit Lea, einer engen Freundin, um gemeinsam in Småland eine gute Woche zu wandern. Wahrscheinlich treffe ich mich danach noch mal mit David hier in Schweden und dann ist meine Schwedenzeit schon vorbei. Aber ich komme sicherlich manchmal in den Ferien zurück!!
Frühlingsgrüße aus dem Land der Elche, Janna