30 Dinge, die ich in zwei Wochen auf Zypern gelernt habe
Von griechischen Buchstaben über die UN-Pufferzone in Nikosia bis zu Hummus und Tahini
#1 Eine Stunde Verspätung ist harmlos. Wer sich für 21:00 in einer Bar verabredet, kann damit rechnen, dass die letzten gegen 22:30 eintrudeln - oder gar nicht.
#2 Spontanität ist alles. Morgens zu wissen, was man abends machen wird, oft unmöglich. Das ist manchmal nervig, wenn man gerne Pläne schmieden würde. Manchmal auch super, wenn man spontan Pläne braucht.
#3 Griechische Buchstaben sind weniger kompliziert als gedacht. Auch wenn se auf den ersten Blick ganz anders als unser Alphabet aussehen, sind es eben doch nur Buchstaben, die auswendig gelernt werden müssen. Ähnlich schwer wie im Arabischen oder gar Chinesischen sind die Buchstaben zumindest nicht.
#4 Google Maps kennt die UN-Pufferzone in Nikosia nicht. Die zyprische Hauptstadt ist geteilt in die Hälfte der Stadt, die zur Republik Zypern gehört, und die Hälfte, die zur Türkischen Republik Nordzypern gehört. Während erstere EU-Mitglied ist, wird letztere international ausschließlich von der Türkei anerkannt. Zwischen den Gebieten verläuft die UN-Pufferzone. Weil Google Maps mit Satellitenbildern arbeitet und solche in Militärgebieten nicht gemacht werden dürfen, schlägt Google Maps ständig Wege vor, die quer durch die Pufferzone verlaufen und deshalb bereits seit Jahren nicht mehr passierbar sind.
#5 Die Republic Zypern verkauft EU-Pässe an Wohlhabende. Als ich es das erste Mal gehört habe, war ich geschockt. Inzwischen weiß ich: Das macht nicht nur Zypern. Wer ausreichend investiert, muss nicht einmal in Zypern wohnen und bekommt trotzdem einen zyprischen Pass - inklusive EU-Pass.
#6 Hummus ist wichtig und wird mit "X" geschrieben. Das "H" aus unserem Alphabet kennt das Griechische nicht. Wörter wie "Hummus" aber auch Namen wie "Hannah" werden deshalb mit "X" geschrieben. Neben Tahini ist Hummus der bislang einzige vegane Brotaufstrich, den ich finden konnte.
#7 Yoga kennt unendlich viele Stile. Nachdem ich es bislang nie ganz geschafft habe, meine Hobbies mit ins Ausland zu nehmen, war ich gleich an meinem ersten Arbeitstag abends bei einer Probestunde in einem Yogastudio. Inzwischen habe ich einen Vertrag für drei Stunden pro Woche unterschrieben und war außerdem im Home for Cooperation, einem Begegnungszentrum in der UN-Pufferzone, wo ein gesandter der Indian High Commission zweimal wöchentlich Yoga anbietet: Während der Unterricht im Studio eher anstrengend und mit einer Menge Schweiß und Muskelkater verbunden ist, geht es im Home for Cooperation mehr ums Meditieren.
#8 Auch Katzen frühstücken gerne Hummus. Meine schwedische Mitbewohnerin und ich frühstücken leidenschaftlich gerne auf unserem Dach, auf das wir von unserem gemeinsamen Balkon aus klettern können. Meist gesellen sich einige Katzen zu uns.
#9 Nikosia fühlt sich sicher an. Im Vergleich zu europäischen Städten wurde ich egal zu welcher Uhrzeit noch nie komisch angesprochen, mir wurde noch nie hinterhergepfiffen. Obwohl der Fahrstil der meisten Autofahrer*innen etwas chaotisch ist, halten sie zumindest in der Altstadt oft an, um Fußgänger*innen passieren zu lassen.
#10 Die zypriotische Hauptstadt ist bunt. Ich habe noch nie eine Hauptstadt erlebt, deren Zentrum so bunt und multikulturell wirkt.
#11 Co-Working-Spaces sind überall - und alle Cafés haben solides Wlan.
#12 Auf UN-Stützpunkten dürfen keine Fotos gemacht werden. Die NGO, in der meine Mitbewohnerin arbeitet, liegt in der UN-Pufferzone. Nach dem Yogaunterricht dort hat sie mir letzte Woche ihr Büro gezeigt. Weil es im obersten Stockwerk des Gebäudes ist, hätte ich liebend gerne ein Foto gemacht, hab mich dann aber nicht getraut: Überall sind Schilder angebracht, das Fotos jeder Art streng verboten sind.
#13 Die Grenzen zwischen Norden und Süden ist nicht für jeden so einfach passierbar. In den ersten Jahrzehnten nach den Vorfällen von 1974 war die Grenze geschlossen. Heute muss ich nur auf beiden Seiten jeweils einmal meinen Ausweis vorzeigen, um passieren zu können. Das mache ich regelmäßig - um einkaufen zu gehen, weil die Bars im Norden aufgrund des aktuellen Kurses der türkischen Lira billiger sind als im Süden und um zum Home for Cooperation zu gelangen. Nicht für alle ist das so selbstverständlich: Wer von der Türkei aus nach Ercan im Norden Zyperns fliegt, kann sich zwar in Nordzypern bewegen. Für den Süden bräuchte er jedoch einen Visum. Auch Reisende, die am Flughafen von Larnaca im Süden angekommen sind und dort angaben, weiter in den Norden reisen zu wollen, wurde bereits mehrfach die Einreise verweigert. Was für mich mittlerweile ganz selbstverständlich in meinen Alltag gehört, ist letztendlich ein Privileg.
#14 Nikosia ist klein. Wo auch immer man ist, trifft man Leute, die man kennt.
#15 Zypern hat die schönsten Strände. Ich war wirklich im Glauben, schon viele schöne Strände in meinem Leben gesehen zu haben, aber Zypern und insbesondere der Osten von Larnaca hat mich noch einmal richtig begeistert.
#16 Öffentliche Verkehrsmittel gibt es wenige, Autos dafür umso mehr. Das ist ein Teufelskreis: Durch den vielen Verkehr trauen sich viele nicht Fahrrad zu fahren - und fahren noch mehr Auto.
#17 Dächer wurden zum Frühstücken gemacht.
#18 In der Mathematik sprechen wir lauter griechische Buchstaben falsch aus. Alpha wird im Griechischen tatsächlich wie "Alpha" ausgesprochen, Beta aber wie "Wita" und Gamma eher wie "Ramma".
#19 Essen ist wichtig
#20 Cyprus Coffee sollte man nicht zu schnell trinken. Er wird in kleinen Tassen serviert und am Boden setzt sich oft jede Menge Kaffeesatz fest. Wer ihn zu schnell herunterkippt, wird eine Menge Pulver auf der Zunge spüren.
#21 Aerial Yoga löst Glücksgefühle aus. Und Schwindel. Ich wollte schon lange einmal Aerial Yoga ausprobieren, bei dem man für alle Übungen ein Tuch benutzt, das von der Decke hängt. Mal unterstützt es einen nur beim Dehnen, mal baumelt man kopfüber von der Decke. Ich bin eigentlich kein großer Fan davon, meinen Kopf unterhalb meiner Füße zu habe, und hab in der Yogastunde total das Gefühl dafür verloren, wo oben, unten, vorne und hinten eigentlich ist. Danach breiteten sich dafür endlose Glücksgefühle in mir aus, allerdings sehr bald gefolgt von Kopfschmerzen. Ich werde es trotzdem nochmal probieren - ich glaube, es ist ein guter Ausgleich zum herkömmlichen Yoga.
#22 Der Zypernkonflikt betrifft nicht nur das Land, sondern auch das Meer und die dortigen Ressourcen. Lange Zeit war es still um den Konflikt, jetzt kocht er wieder etwas hoch. Weil die Türkei nicht anerkannt, dass die Republik Zypern die gesamte Insel umfasst, erkennt sie auch nicht den Anspruch der Republik auf Bodenschätze im Norden an. Erdöl und Erdgas könnten den Konflikt daher verschärfen.
#23 Zypern balanciert zwischen Naher Osten und Europa. Viele sind stolz darauf, zu Europa zu gehören, schreiben sich selbst britische Genauigkeit zu und unterstützen die EU-Mitgliedschaft. In Musik, dem Dialekt und dem Essen spiegelt sich dafür umso stärker der Einfluss des Nahen Ostens wieder.
#24 Griechenland und Zypern verbindet eine Hassliebe. Eine Liebe, weil sie dieselbe Sprache sprachen und es lange Zeit Bewegungen gab, die Zypern an Griechenland anschließen wollten. Hass, weil das Griechisch auf Griechenland oft als "das richtige Griechisch" bezeichnet wird und weil man nicht "so korrupt wie dort" sein will.
#25 Die Peace Building Community ist klein. Wenn Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen stattfinden, sieht man oft dieselben Gesichter. Das ist cool, weil sich so schnell Fuß fassen lässt und sich gerade unter Freiwilligen und Praktikant*innen Kontakte knüpfen lassen. Zugleich ist es aber sehr schwierig für die Gemeinschaft, die Zypriot*innen zu erreichen, die nicht schon im Friedensprozess engagiert sind.
#26 Frauenrechte sind wichtig. Daran muss ich mich ab und zu erinnern. Diesmal war es eine Frauenrechtlerin, die auf einer Podiumsdiskussion sprach und geflüchteten Frauen im Norden von Zypern juristischen Beistand ermöglicht.
#27 „Missing Fetine“ ist ein sehr sehenswerter Film - sowohl inhaltlich spannend, als auch filmisch interessant gemacht.
#28 Distanzen mögen Zypriot*innen nicht. Die 40 Minuten Autofahrt bis ans Meer erscheinen mir wie ein Katzensprung. Viele Zypriot*innen, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, tun allerdings so, als bräuchte man dafür mindestens ein verlängertes Wochenende.
#29 Im Norden ist alles billiger. Ob Ohrringe, Bier oder Lebensmittel. Liegt auch am Kurs der Lira.
#30 Vielen Zypriot*innen erscheint der Konflikt weit weg. Mein Erasmusbuddy, ein Student von vor Ort, der sich bereit erklärt hat, internationalen Studierenden, Praktikant*innen und Freiwilligen beim Einleben zu helfen, überquert die Grenze zum Norden nie. Er hat schlimme Geschichten über die Vorfälle von 1974 gehört und will die im Norden nicht unterstützen. Für viele, die ich kenne und die im Peace Building Process aktiv sind, ist das die Wurzel des Problems. Einige Zypriot*innen weigern sich explizit, Kontakte zu der jeweils "anderen" Gemeinschaft zu knüpfen. Andere wiederum denken einfach nicht daran, dass Zypern nicht an der "Green Line", der Grenze zwischen den beiden Gebieten", aufhört. Wenn man mit ihnen spricht, klingt es oft, als würde dort, wo der Norden beginnt, für sie die Erde enden.