Zwischenbericht
Nach 5 Monaten eine Zusammenfassung.
Mein Freiwilligendienst ist jetzt vorüber und ja, ich weiß, ich habe nicht wie versprochen nocheinmal etwas geschrieben. Aber genau deshalb stelle ich nun den Zwischenbericht, den ich für meine Entsendeorganisation verfassen musste, hier rein. Als kleine Zusammenfassung darüber, was ich in den ersten 5 Monaten Moldawien erlebt habe. Los geht´s:
Im Juni letzten Jahres erhielt ich die endgültige Zusage für meinen Europäischen Freiwilligendienst. Es sollte also tatsächlich ab September für zehn Monate in die Republik Moldau gehen, genauer gesagt direkt in die Hauptstadt Chișinău, in eine Organisation für „gefährdete“ Kinder und Jugendliche.
Von dem Leben, was ich dort führen sollte, konnte ich mir keinerlei Vorstellung machen. Moldawien liegt zwischen der Ukraine und Rumänien in Osteuropa und ist nun nicht gerade ein Land, das besonders oft in den Nachrichten, dem Geschichts- oder Erdkundeunterricht oder sonst irgendwo erwähnt wird. Nicht einmal einen Reiseführer gibt es davon. Bevor ich mich mit meiner Idee, nach der Schule einen Freiwilligendienst zu machen beschäftigt habe, hatte ich zugegebener Maßen selber nicht die leiseste Ahnung, dass dieses Land überhaupt existiert und vielen meiner Freunde und Bekannten ging es ähnlich. Die genaueste Angabe, die jemand darüber machen konnte, war: „Das liegt doch da unten, am Schwarzen Meer, oder? Das gehörte damals zur Sowjetunion.“
Nach meinen Internetrecherchen kannte ich zwar die Geschichte und einige Daten wie Größe oder Einwohnerzahl der relativ jungen Republik, ein Bild von dem Land selber, den Menschen und der Kultur konnte ich mir trotzdem noch nicht machen. Wäre ich in ein Land gefahren, über das man mehr weiß (oder zumindest mehr zu wissen glaubt), wie zum Beispiel Indien, Japan oder Brasilien, so wäre ich bestimmt voreingenommener gewesen und hätte jetzt viele Eindrücke zu berichten, die meinen vorherigen Erwartungen widersprächen. Da dem aber nicht so war, begann ich meinen Freiwilligendienst ohne großartige Vorstellungen und Erwartungen. Das Einzige, was ich mir wirklich erhoffte, waren viele neue Erfahrungen.
Bezogen auf die Arbeit im Projekt hatte ich die Befürchtung, mich vor allem in der ersten Zeit eher wie eine Praktikantin anstatt als eine Hilfe zu fühlen. Nach einer Eingewöhnungszeit wollte ich es schaffen die Kinder in ihrem Alltag zu begleiten, ihnen bei eventuellen Problemen beiseite zustehen und insgesamt eine Unterstützung für sie zu sein, was allerdings mehr ein Wunsch und Ziel als eine Erwartung war.
Bevor die Reise losgehen sollte, fand zunächst noch das 10-tägige Vorbereitungsseminar in Berlin statt. Wir lernten unter anderem einiges über uns selbst, unsere Verankerung in der deutschen Kultur, das Umgehen mit Vorurteilen und Stereotypen und noch viele weitere Dinge. Für alle, die es kennen, ich trage mein „Wertearmband“ nach wie vor! Ich denke, geholfen hat mir das Seminar auf jeden Fall. Alleine schon der Austausch mit den anderen angehenden und den ehemaligen Freiwilligen aus dem letzten Jahr, war bereits Gold wert. Ebenso waren die behandelten Themen sehr interessant und hilfreich. Neben den wichtigen, aber eben nicht besonders spannenden Aspekten wie Versicherung, Rechte und Pflichte usw. gab es auch weniger formale Themeneinheiten, wovon mir vor allem jene über Diskriminierung, Vorurteile und die persönlichen Werteskala im Gedächtnis geblieben sind.
Am 4. September war es dann endlich so weit und die Reise in das unbekannte Land Moldawien sollte losgehen! Als ich in Chișinău landete, wurde ich von meiner Mentorin Veronica herzlich am Flughafen empfangen. Die erste Aufregung verflog schnell und machte der Neugier auf das neue Land Platz. So war ich nun also in dem Land angekommen, von dem ich so überhaupt keine Vorstellung hatte. Den allerersten Eindruck hatte ich natürlich schon beim Landeanflug erhalten und die Daten, die ich im Internet gefunden hatte, bestätigten sich: Landwirtschaftlich geprägt, kleine Dörfer, brüchige Infrastruktur außerhalb der größeren Städte. Meine ersten Eindrücke in den darauffolgenden Tagen und Wochen bestanden vor allem darin, dass mir immer wieder auffiel, wie viel lebhafter es auch in der Woche abends auf den Straßen ist als in Deutschland; dass die meisten Menschen unglaublich freundlich und hilfsbereit sind; dass sie ganz besonders interessiert sind, wenn sie jemanden treffen, der nicht aus Moldawien kommt (Arbeitsmigration ist ein ganz großes Thema hier. Viele träumen von einem Leben im Ausland und sind deshalb immer überrascht, wenn jemand erzählt, dass er/sie freiwillig hier herkommt und dann auch noch „umsonst“ arbeitet); und dass es ist nicht immer ganz einfach, jemanden zu finden, der Englisch sprechen kann, aber Verständigung funktioniert auch irgendwie mit ein paar nachgeschlagenen rumänischen Wörtern und Pantomime.
Nach etwas mehr als einer Woche Aufenthalt, in der ich mich bestimmt 20-mal verlaufen habe, kam ich dann das erste Mal in mein Projekt, Casa Gavroche. Dabei handelt es sich um eine Einrichtung, gleich einem Kinderheim, in dem Kinder und Jugendliche für bis zu sechs Monaten leben können und einen geregelten Tagesablauf haben. Die Kinder werden größtenteils aufgrund familiärer Probleme aus ihren Familien genommen, zum Beispiel, wenn die Eltern im Ausland arbeiten, Alkoholiker sind, es ihnen finanziell nicht möglich ist, ihre Kinder zu versorgen, etc. etc.. Spätestens nach sechs Monaten kommen die Kinder nach Möglichkeit wieder zurück zu ihren Eltern, zu Angehörigen oder werden an Pflegefamilien weitervermittelt.
Die erste Woche war ich nur einige Nachmittage zum Zugucken dort und fing danach erst normal an zu arbeiten. Das gestaltete sich allerdings wie erwartet ein bisschen schwierig, da es niemanden dort gibt, der Englisch spricht und die einzige Kommunikation deshalb mit Händen und Füßen stattfand und auch teilweise noch stattfindet. Vor allem aufgrund dieser Schwierigkeit hat es sehr lange gedauert, bis ich mich ins Projekt eingefunden hatte. Gerade die ersten zwei/ zweieinhalb Monate waren insofern eine Herausforderung für mich, als dass ich nicht wirklich wusste, was meine Rolle dort war und mich nutzlos und überflüssig fühlte. In dieser Zeit halfen sehr viele Studenten im Center aus, sodass einfach nicht viel zu tun war, denn es kamen etwa fünf Studenten auf insgesamt 12 Kinder. Doch seit einiger Zeit sind keine oder wenn dann nur noch gelegentlich mal ein Student anwesend und ich habe mehr zu tun. Auch die Verständigung wird stetig besser, da ich die Sprache immer besser beherrsche, sodass sich die Mitarbeiter nun, da ich die Grundlagen kann und immer mehr verstehe, wesentlich mehr Mühe als am Anfang geben, mit mir zu kommunizieren. Ende November kam außerdem eine Mitarbeiterin vom ADVIT zum sogenannten Evaluation-Meeting in mein Projekt, um mit meinem Supervisor und mir zu besprechen, wie die letzten Monate waren und ob es Änderungen geben soll. Heraus kamen neue Arbeitszeiten und ein fester Plan für jede Woche. Seitdem arbeite ich von montags bis mittwochs jeweils von 7.30 bis 13.30 Uhr und donnerstags und freitags von 13.00 bis 19.00 Uhr. Inzwischen fühle ich mich einigermaßen hilfreich, weil mit den neuen Zeiten auch neue Aufgaben dazugekommen sind. Morgens bringe ich fünf Kinder zur Schule, ein Weg von etwa 20 Minuten. Um 9.00 Uhr bringe ich dann zwei andere in den Kindergarten. Danach sind zurzeit nur noch drei Kinder übrig, die weder zur Schule noch zum Kindergarten gehen. Zwei Mädchen, Nastia und Vlada, beide drei, und ein Junge, Augustin, sechs Jahre. Warum er nicht zur Schule geht, habe ich noch nicht herausgefunden. In den Stunden, bis die anderen Kinder aus der Schule zurückkommen, so gegen 13/14 Uhr, male ich mit den dreien, puzzle oder gehe nach draußen. Ich habe mir auch einige Dinge selber zur Aufgabe gesetzt. So können die beiden Kleinsten sich jetzt selber die Nase putzen (mit ein bisschen „Ja, super! Nochmal! Du kannst das!“) und bringen ihre gebrauchten Taschentücher sogar selber in den Müll. Natürlich erst, nachdem sie jedes Mal wieder versuchen, mir diese anzudrehen. Neben dem Naseputzen und Müll in den Mülleimer werfen, probiere ich auch ihnen beizubringen, dass man sich nachdem man zur Toilette war, die Hände wäscht. Und neuerdings putze ich, wenn ich morgens arbeite, mit ihnen ihre Zähne. Das ist nämlich eine Sache, die, wie mir gesagt wurde, nicht in den morgigen Zeitplan passt und so werden die Zähne nur abends geputzt. Deshalb putze ich jetzt nachdem ich die Schul- und Kindergartenkinder weggebracht habe, zumindest mit den Kleinen die Zähne.
Noch ein kleiner persönlicher Erfolg in meinem Projekt ist es, den Kindern beizubringen, Bitte und Danke zu sagen und sich zu entschuldigen, wenn sie jemandem etwas wegnehmen und es dann auch wieder zurückgeben (müssen). Es ist zwar noch ein langer Weg, aber es wird immer besser.
In der Nachmittagsschicht ist meine Hauptaufgabe, den Schulkindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Am Anfang konnte ich nur versuchen, ihnen ein bisschen bei Mathe, Englisch oder Französisch zu helfen, aber aufgrund meiner mangelnden Rumänischkenntnisse leider mehr schlecht als recht. Doch inzwischen schaffe ich es, ihnen auch einige Sachen zu erklären (immer mit Zuhilfenahme von Zeichnungen, Stiften etc., aber immerhin). Das Problem ist nur, dass jetzt alle mit mir Hausaufgaben machen wollen. Vier Kinder, die an einem ziehen, während man versucht, von einem anderen Kind eine Antwort auf die Frage zu kriegen, ob vier größer oder kleiner als sieben ist. Das ist schon ganz schön anstrengend. Auch habe ich das Gefühl, dass sich nie jemand mit ihnen hinsetzt und ihnen erklärt, wie etwas geht, wenn sie es nicht verstehen. Für viele sind einfache Rechenaufgaben in der dritten Klasse, Hunderterzahlen untereinander addieren zum Beispiel, schon sehr schwer, da scheinbar nie jemand nochmal wiederholt hat, dass man hinten anfängt und die untereinander stehenden Zahlen zusammenrechnet, nicht die nebeneinander stehenden. Außerdem müssen sie am Anfang sofort Schreibschrift lernen, die so verschnörkelt ist, dass ich mich schon anstrengen muss, um zu erkennen, was jetzt ein Buchstabe ist und wo der nächste anfängt. Wir haben mehrere Kinder, die in der 2., 3. und sogar 4. Klasse noch nicht lesen können. Es wird so viel Wert darauf gelegt, dass sie die Buchstaben schön schreiben, dass die Frage, ob sie den Laut dazu kennen, meist untergeht. Das ist zugegebenermaßen eine Sache, die ich bis heute noch absolut nicht verstehe.
Für die Zukunft habe ich keine großen Projekte geplant, sondern will mich vorwiegend auf kleine Dinge konzentrieren. So werde ich auf jeden Fall das Zähneputzen, Händewaschen, sowie das Bitte-und-Danke-Spielchen fortführen. Außerdem habe ich kürzlich damit angefangen, den Kleineren, während der Rest in der Schule ist, beizubringen, ihren Namen in Großbuchstaben zu schreiben. Das klappt bei Vlada ganz gut und bei den anderen beiden, sagen wir mittelmäßig. Weiterhin ist es mein Ziel, mein Rumänisch soweit zu verbessern, dass ich den Kindern besser bei den Hausaufgaben helfen und ihnen Geschichten vorlesen kann.
Bezogen auf meinen Aufenthalt hier allgemein, will ich auf jeden Fall noch mehr vom Land kennenlernen. Ein bisschen gereist bin ich schon, allerdings wenig direkt in Moldawien.
So war Anfang Oktober mein On-arrival Training in der Ukraine. Dafür ging es zunächst etwa fünf Stunden mit dem Zug nach Odessa, einer Stadt, die in der Ukraine am Schwarzen Meer liegt und von da aus mit dem Nachtzug weiter in Richtung Slavske. Slavske ist ein kleines, verschlafenes Dörfchen irgendwo in der Nähe von Lviv mitten in den Karpaten. Wir waren insgesamt 22 Freiwillige, davon der Großteil aus Chișinău. In den vier Tagen die wir dort waren, habe ich nicht wirklich viel Neues gelernt, allerdings muss ich fairerweise dazu sagen, dass mein Vorbereitungsseminar in Deutschland über zehn Tage sehr ausführlich war und mir deshalb das Meiste schon bekannt war. Versicherungsfragen, interkulturelles Lernen und so weiter und so fort. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass es verschwendete Zeit war, weil ich viele nette Menschen aus ganz Europa kennengelernt habe.
Des Weiteren waren meine Mitbewohnerin Julia und ich einmal für ein paar Tage in Bukarest und haben uns dort mit zwei Freunden, Alicia und Caron aus der UK getroffen, da die beiden keine Aufenthaltsgenehmigung in Moldawien bekommen haben.
Zudem steht das Mid-term Training kurz vor der Tür und wird in einem Dorf in Moldawien stattfinden. Und ich kann es kaum erwarten, dass es endlich Frühling wird, denn dann wollen ein paar Freiwillige und ich zusammen über circa zwei bis drei Wochen eine Osteuropatour machen. Die Details sind noch nicht festgelegt, aber wir hoffen, es durch Moldawien und über einige andere Länder entlang des Schwarzen Meeres bis nach Istanbul zu schaffen. Ob das klappt, steht aber noch in den Sternen.
Was meine Gastsituation betrifft, bin ich glücklich mit der Freiwilligen-WG, in der ich wohne. Mit Julia, auch aus Deutschland, verstehe ich mich super. Vor einigen Wochen ist unsere andere Mitbewohnerin Jackie, aus England, leider ausgezogen, weil wir Kakerlaken und eine Maus haben und das eine Spur zu viele Krabbeltiere für sie waren. Was wirklich schade ist, denn ich habe gerne mit den beiden zusammengewohnt und jetzt ist ein Zimmer wieder leer und wird es scheinbar auch zumindest bis April bleiben.
Mein Leben hier ist manchmal etwas chaotisch, weil immer etwas passiert und Spontanaktionen keine Ausnahmen sind. Alles in allem habe ich aber schon so etwas wie einen Alltag. In der Woche arbeite ich und treffe mich ab und zu mit anderen Freiwilligen. Zum Beispiel zu unseren neu angefangenen „Rumänischtreffen“, wo wir eigentlich bei Kaffee oder Tee einfach über dies und das auf Rumänisch plaudern wollen, oft aber doch wieder ins Englische abschweifen. Am Wochenende unternehme ich dann meist mehr mit den Freiwilligen und deren Mentoren. Zwar kenne ich darüber hinaus inzwischen viele nette Menschen aus der hiesigen Bevölkerung, vorwiegend junge Leute, die man gelegentlich am Wochenende wiedersieht, aber zu mehr als einer Bekanntschaft ist davon leider noch niemand geworden. Das ist ein weiterer Grund dafür, weswegen ich unbedingt weiter an meinem Rumänisch arbeiten will. Viele aus der jüngeren Generation können zwar Englisch sprechen, aber ich möchte mich wirklich und mit allen Menschen hier verständigen und austauschen können und nicht nur mit einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft.
Im Allgemeinen denke ich, dass ich in den letzten fünf Monaten viel gelernt habe und die Zeit ging schneller herum, als ich dachte. Ich bin alleine schon dadurch, dass ich nicht mehr zuhause bei meinen Eltern lebe, wesentlich selbstständiger geworden, was natürlich noch dadurch verstärkt wird, dass ich mich in einem Land zurechtfinden muss, in dem ich mich weder mit der Sprache noch mit der Kultur wirklich auskenne. Dass es mir am Anfang in meinem Projekt nicht leicht fiel, ich dort jetzt aber gut zurechtkomme, hat mich außerdem ein wenig selbstbewusster gemacht.
Durch die Arbeit mit den Kindern ist mir zudem bewusst geworden, was für ein großes Glück es ist, in seiner eigenen Familie aufzuwachsen, ohne dass ein Elternteil zum Arbeiten auswandern muss oder die Eltern einen weggeben müssen, weil sie kein Geld mehr für Kleidung oder Heizung haben. Und wie wertvoll Aufmerksamkeit und eine gute Erziehung mit klaren Grenzen ist. Wenn ich in fünf Monaten nach Deutschland zurückkomme werden mir, denke ich, unglaublich viele Dinge auffallen, die ich jetzt noch nicht wahrnehme, die im Vergleich aber sichtbar werden. Dinge, die in Deutschland selbstverständlich, in anderen Ländern aber Privilegien sind. Das geht vom Besitz einer Waschmaschine über tausend Kleinigkeiten bis hin zur finanziellen Unterstützung Arbeitsloser durch den Staat. Ich bin auf jeden Fall schon gespannt darauf, was mir erst bei meiner Rückkehr bewusst werden wird und bis dahin freue ich mich erst einmal auf die zweite Hälfte meines EFDs und die vielen noch kommenden Erfahrungen in meinem Gastland Moldawien.