Zwischen Styroporlebkuchen und Konsumwahnsinn: Zu Besuch in der Weihnachtshauptstadt Straßburg:
Nach dem Attentat am 11. Dezember ist es an der Zeit über den Straßburger Weihnachtsmarkt zu schreiben, ohne, dass es an erster Stelle um Terror geht. Denn in der elsässischen Hauptstadt ist Weihnachten von ganz besonderer Bedeutung. Selbst nach den Feiertagen strömen die Menschen noch in die Stadt, um bei Glühwein und Bredele (elsässisch für Plätzchen) den beeindruckend variierten Weihnachtstrubel zu bestaunen.
Ende November beginnt die touristische Hochsaison in Straßburg, der Stadt, die sich selbst „Captitale de Noël“ (dt. Weihnachtshauptstadt) nennt. Pünktlich am letzten Novemberwochenende öffnet der berühmte Straßburger Weihnachtsmarkt seine Pforten. Es ist die Zeit im Jahr, in der kilometerlange Lichterketten die Straßen schmücken, riesige Plüschbären und Zuckerstangen von den Fassaden der Fachwerkhäuser hängen und wuselnde Menschenmaßen die Innenstadt belagern. In der Vorweihnachtszeit mutiert die Stadt zu einem einzigen großen Weihnachtswunderland - irgendwo zwischen Konsumtempel und konstruierter Erlebniswelt. Denn in Straßburg konzentriert sich der Weihnachtsmarkt nicht nur auf den Marktplatz, sondern erstreckt sich über die komplette Innenstadt. Hinter jeder Ecke steht eine Glühweinbude, Gold und Glitzer hängen von den Straßenlaternen und die Beleuchtungsinstallationen in Lebkuchenform blinken im Takt vor sich hin. Mehr als 300 Marktbuden bieten Kulinarisches und Handwerkskunst für die etwa zwei Millionen Tourist*innen, die nur für den Weihnachtsmarkt in die Stadt kommen.
Ein Markt mit Tradition
Und das nicht ohne Grund. Der Straßburger Weihnachtsmarkt beeindruckt nicht nur mit seiner Größe, sondern auch mit seiner traditionsreichen Geschichte - schließlich gehört er zu den ältesten Weihnachtsmärkten Europas. Bereits im Mittelalter gab es in Straßburg einen Weihnachtsmarkt. Auf dem „Klausenmärki“, dem Nikolausmarkt, kamen um den 6. Dezember Zuckerbäcker, Wachszieher, Kräuter- und Lebkuchenhändler am Münster zusammen, um ihre Waren zu verkaufen. Zur Zeit der Reformation um das Jahr 1570 wurde der Markt dann zum „Christkindelsmärki“ umbenannt. Mit der Zeit machten die Händler*innen immer länger in der Stadt Halt, um ihre Waren anzubieten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dann auch die Produktpalette immer reicher: Es gab nun auch Parfüm, Schmuck und Spielzeug zu kaufen.
Weihnachten ist Programm
Heute lockt der Weihnachtsmarkt nicht mehr nur mit Weihnachtsleckereien und Kunsthandwerk, sondern längst auch mit einem ausgefeilten Rahmenprogramm, das selbst den letzten Weihnachtsmuffel verzaubern soll. Dafür hat sich die Stadt neben den traditionellen Weihnachtsbuden, noch einige andere Alternativen ausgedacht. Unter dem Slogan „Heimliche Weihnachten“ soll der Weihnachtsmarkt auch den Bewohner*innen der Stadt wieder schmackhaft gemacht werden: Abgelegen von Touristenströmen, bietet die Stadt ein umfassendes Programm an Workshops und Veranstaltungen für die ganze Familie, bei denen es weniger ums Kaufen und mehr um’s Basteln und Erleben geht. Noch alternativer wird’s auf dem Marché OFF. Auf dem kleinen Markt auf dem Place Grimmeissen treffen sich vor allem Einheimische. Leuchtende Glitzerkugeln und überteuerte Lebkuchen sucht man hier vergeblich. Vielmehr gibt es biologische und gesunde Leckereien von regionalen Herstellern, einen Second-Hand Laden und ein Zelt für fair gehandelte Produkte aus aller Welt. In der Mitte des Platzes finden zudem täglich Konzerte und Workshops statt, die nicht unbedingt etwas mit Weihnachten zu tun haben, aber zum Mitmachen und Teilen einladen. Ziel des Marché OFFs ist es, eine Weihnachtmarkt-Alternative zu bieten, die für Umweltschutz und Nachhaltigkeit steht und damit auch unser weihnachtliches Konsumverhalten hinterfragt.
Doch die Stadt bietet nicht nur auf den Straßen und Plätzen ein überwältigendes Weihnachtsprogramm. Zusätzlich zum Markt gibt es in der Weihnachtszeit unzählige Besuchertouren, Nachtspaziergänge und Konferenzen, die den Besucher*innen die Weihnachtstraditionen im Elsass näherbringen sollen.
Weihnachten für die Straßburger*innen
Doch was bedeutet dieser Weihnachtstrubel eigentlich für die Menschen, die in Straßburg leben? So faszinierend der Weihnachtsrausch für die Tourist*innen auch sein mag, die meisten Straßburger*innen meiden die Innenstadt in den vier Weihnachtsmarkt-Wochen so gut es geht. Denn mit den Touristenströmen lässt sich der Vorweihnachtsstress nicht unbedingt einfacher bewältigen. Die Zugänge zur historischen Altstadt werden von Sicherheitspersonal bewacht und jede*r, der/die in die Stadt will, ob auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen, muss seine Taschen kontrollieren lassen. In der Stadt selbst drängen sich die Tourist*innen staunend durch die engen Gassen, posieren in aller Ruhe für das obligatorische Weihnachts-Selfie und blockieren dabei vor allem denen Weg, die es eilig haben, weil sie ihr ganz normales Leben zu leben haben. Und wer das Weihnachtswunderland jedes Jahr zu sehen bekommt, für den wirkt es auch nicht mehr ganz so schillernd, wie beim ersten Mal. Viele Straßburger*innen treffen sich deshalb auf dem Marché OFF, um fernab von touristischer Hektik, bei Bio-Glühwein, das zu tun, worum es bei Weihnachten eigentlich geht: Zeit mit Freunden und Familie verbringen und stressfrei das genießen, was die eigene Stadt eigentlich zu bieten hat.