Zusammensein, Abschiede und Willkommen
Dieses Wochenende war das letzte für Rado und Elise. Wir haben es viel zusammenverbracht. Dann mussten wir uns verabschieden.. Und mittenrein kam Anastasia, die Neue.
Dieses Wochenende war für zwei von uns das letzte in Redon: Rado und Elise sind diese Woche nach Hause gefahren. Und so haben wir es viel alle miteinander verbracht.
Freitagnachmittag. Vier Mädels und ein Junge in unserer kleinen Küche. Wir versuchen einen Karottenkuchen und einen Apple Pie zu backen. Rado ist der einzige, der eine Ahnung vom Rezept hat. Elise, Sera, Franzi und ich wollen sehen, wie es funktioniert – denn der war beim letzten Mal einfach zu gut. Und so rühren und raspeln und mixen wir, hören dabei laut „Highway to Hell“ und „We are the champions“ und sind glücklich zusammen.
Freitagabend. Soirée de danse. Für Rado und Elise war dieser Abend das letzte Projekt im Rahmen des „projet collectif“. Mit ein bisschen Verspätung sind wir Freiwilligen gemeinsam durch die Kälte zum Centre Social gezogen, wo wir von den beiden und einigen Mitgliedern des Hauses erwartet wurden. Rado und Elise haben schon öfter Tanzstunden gegeben. Heute kommt zum Swing aber noch Walzer und Polka dazu. Wir schlagen uns tapfer, finde ich. Dafür, dass einige noch nie getanzt haben und der Saal durch einer Mischung aus Jugendlichen, Residentes von adapei (geistige Behinderung) und mehr oder weniger motivierten, mehr oder weniger alten Erwachsenen besteht. Die Polka lässt uns nach den komplizierte(re)n Schritten von Walzer und Swing dann befreit durch den Saal springen. Und zum Abschluss essen wir gemeinsam Kuchen – der richtig gut geworden ist!
Freitagnacht. Wir sitzen in unserer Küche, Stefania, Sera, Franzi und ich. Mehrere vorher noch halb volle Flaschen sind mittlerweile nicht mehr halb voll, und wir sind gut drauf. Wir reden über Gott und die Welt und lachen. Stefania steht rauchend im Balkonfenster, wir leeren das Kuchenblech. Eine schöne Mädelsrunde habe ich da gefunden. Später, als wir unsre Runde schon aufgelöst haben, kommt Rado von seinem letzten Abend mit seinen Kollegen heim. Er grinst mich an, als ich die Treppe runterschleiche, um Nicolò nicht zu wecken und erzählt mir bei einer traditionellen Tasse Tee seinen Abend. Langsam liegt der Abschied in der Luft.
Samstagnachmittag. Theatertreffen von LASSO (Liberté Artistique Scandé Sans Obligation). Guillaume holt mich ab und wir treffen im Centre Associatif in Allaire den Rest der bunten Truppe. Einige Jugendliche der Theatergruppe vom Theaterwochenende sind dabei und Morgane. Wir reden – oder eher: die anderen reden und ich strenge mich an, alles zu verstehen – über den Stand der Gruppe, später dann über bevorstehende Projekte. „La chantatrice chauve“ wollen sie spielen, und vielleicht schließe ich mich an. Dann werden Texte und kurze Stücke vorgetragen, wir versuchen uns am Jonglieren und Tanzen. Ein Zauberer ist dabei, ein Zirkuskünstler.
Samstagabend. Dîner chez Stefania. Tiina und Stefania haben gekocht. Zu neunt sitzen wir um den Tisch, alle Freiwilligen – Stefania, Franzi, Tiina, Sera, Elise, Nicolò, Rado und ich – und Nicola. Wir stoßen an mit Wein, dann mit französischem Bier, dann mit Wein und Wein.. Stefania hat wie immer super gekocht und wir essen und reden und genießen. Ich fühle mich richtig wie in einer Gruppe, es ist schön und ungezwungen – und echt. Wie eine große Familie. Dann machen wir Fotos, Erinnerungen müssen bewahrt werden. Und diese „Familie“ werde ich niemals vergessen, so wie sie ist.
Samstagspätabend. Wir sind losgezogen auf ein Konzert, „Pieds à l’Ouest“. Afrikanische Musik. Wir haben ein paar Bekannte getroffen und mit Franzi und Tiina bin ich vor in die Menge. Lebendige afrikanische Musik, eine bombastische Stimme und Lebensgefühl. Wir bewegen uns im Takt mit und fühlen uns gut. Draußen treffen wir Stefania und Sera, die trinken und reden. Rado stellt uns einen seiner Kollegen vor. Wir holen und Wein und setzen uns dazu. Als wir Musik von innen hören, kehren wir zurück. Hinter, hinter der Menge, dort wo Platz ist, tanzen wir. Wir drehen und wirbeln und lachen und springen. Und genießen. Zum Schluss spielen sie „Could you beloved“ – und begeistert singen wir mit.
Samstagnacht. Durch das nächtliche Redon laufen wir zurück, nach Hause. Wir lassen Bob Marley und die Beatles laufen und tanzen Hand in Hand über die Straßen und Wege. Tiina findet Halloweenkürbisse. Wir setzen uns in unsere Küche, als jedoch ein aufgebrachter Nicolò an uns vorbei zur Tür hinaus stürmt, ziehen wir um in Tiinas Zimmer. Wir essen Nudeln und reden – und lösen die Nacht schließlich in Richtung verschiedener Apartments und Betten auf.
Sonntagnachmittag. Spontanes gemeinsames Essen vorbereiten. Eine Freundin von Rado kann doch nur zum Apéro kommen. So backen Stefania, Franzi und ich Pizza, sitzen zusammen, reden und hören Metal. Ein entspannter sonniger glücklich-langsam-melancholischer Sonntagnachmittag.
Sonntagabend. Essen bei Stefania Klappe die Zweite. Wir sitzen zusammen, essen und reden. Es könnte zur Gewohnheit werden, das finden alle, außer Stefania vielleicht. Rado kriegt langsam ein bisschen Panik, morgen ist sein letzter (richtiger) Tag. Wir sitzen draußen und reden, unter den Sternen ist das leichter. Mama Stefania kommt dazu und nimmt uns in den Arm.
So richtig glaubt es noch keiner.
Montagabend. Rado arbeitet lange. Ich räume die Küche auf und bereite mit Franzi und Nicolò unseren Apéro, der kein Apéro ist, weil er nach dem Essen ist, aber wir haben es mal so getauft, vor. Als Rado hereinkommt, grinst er. „That’s for me I guess.“ For sure. Wir stoßen an und probieren alle gezauberten Kleinigkeiten. Dann redet Rado. Er will nicht an jeden schreiben, wie es Tradition ist, er will reden. Und es ist wirklich schön, er kann sowas. Er sagt uns als Gruppe, wie glücklich er hier war und dann jedem, was für ihn besonders war. Tränen in den Augen, ein paar rollen auch. Jetzt ist es wirklich gleich soweit, Abschied. Wir reden und Rado ist immer mal mit wem anders unterwegs. Stefania und Tiina entdecken ihre gemeinsame Jugendmusik, die ich aber auch liebe und so tanzen wir bald singend durch die Küche. Traurigkeitskompensation, auch wenn Stefania und ich bald als letzte am Fester stehen und doch noch fast weinen. Und dann Rado fest in den Arm nehmen.
Dienstagnachmittag. Wir sitzen im Französischkurs und reden über Essen. Da kommt Rado. Sich verabschieden, bevor er endgültig fährt. Wir nehmen ihn jeder nochmal fest in den Arm. Und dann pack ich es doch nicht mehr. Ich gehe raus zu Tiina und Stefania, die draußen raucht. Sie nehmen mich in den Arm, während meine Tränen laufen. Als Rado kommt, grinst er mich schief an und meint „No Woman, No Cry“. Dann geht er, nimmt Stefania in den Arm und verschwindet.
Wir haben Treffen für das Fimfestival in Brest nächstes Wochenende. Und da mittenrein – aber geplant – kommt Anastasia, unsre neue Freiwillige für das Kino Cinemanivel. Klein wie wir fast alle, gut Französisch sprechend, supernett, überfordert wie wir alle am Anfang. Danach gehen wir durch den strömenden Regen nach Hause. Stefania kocht und wir setzen uns zusammen, alle restlichen Mädchen. Wir reden, alle auf verschiedene Weise abgekämpft. Nicolò, unser verbleibender Junge, kommt nach der Arbeit auch vorbei. Abschied und Willkommen.
In unserer Wohnung finde ich Nachrichten von Rado. Einen Brief an alle und viele kleine Notizen, in er Teebox, im Ofen, in meinem Schrankfach. Ich soll nicht weinen, ich soll lachen, denn es war eine gute Zeit.
Mittwochabend. Abschieds-Abendessen für Elise. Wieder sitzen wir in B4, bei Elise, Stefania und Anastasia und essen zusammen. Elise hat sich über meinen Brief und die Charlie-Chaplin-Kohlezeichnung total gefreut. Ihre Freundin Alice ist auch da, ein echte Französin. Wir reden und hören Musik. Sie ist traurig und freut sich gleichzeitig. Wir stoßen auf eine gute Zeit an und auf die Zukunft.
Zum Abschied nehmen wir uns fest in den Arm, Tränen in den Augen, aber ein Lächeln auf den Lippen. Sie wird mir fehlen.
Gefühlschaos pur. Abschiede und Willkommen. Aber das ist das Leben.
C’est comme ça. Life is life.
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