Zur historischen Verantwortung stehen!
Viele Deutsche meinen, dass zum Thema Zweiter Weltkrieg alles gesagt wurde. Vielleicht sogar zuviel. Zum Jahrestag des Kriegsausbrauchs sollte man sich trotzdem erinnern. Denn der von Deutschen verursachte Krieg wirkt bis heute nach. Ein Kommentar von Malte Koppe.
Am 1. September 2009 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Dieses Datum bringt für Staat und Bürger in Deutschland eine besondere Verantwortung mit sich. Die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte begann mit dem Überfall Nazideutschlands auf Polen. Sie gipfelte in der unfassbaren Massenvernichtung von Menschen in deutschen Konzentrationslagern und endete mit Flüchtlingselend in ganz Mittel- und Osteuropa.
Zum Jahrestag treffen Merkel und Putin sowie Vertreter der EU und USA in Danzig auf die polnische Staatsspitze. Der Tag und seine Symbolik hat für alle geschichtsbewussten Polen eine besondere Bedeutung. Denn Warschau sieht sich noch immer im Kampf. Im Kampf der historischen Deutungen und Interpretationen. In Putins Russland wird zum Unmut Polens die sowjetische Mittäterschaft am Zweiten Weltkrieg starkköpfig verneint. Und die kontextlose Würdigung der deutschen "Vertriebenen" interpretiert Polen als zaghaften Versuch des westlichen Nachbarn, die eigene Kriegsschuld abzulegen. Der aggressive Ton Warschaus dient dabei sicher nicht immer der berechtigten Sache.
Fest steht: In der Diskussion um den Kriegsbeginn am 1. September 1939 dürfen Ursache und Wirkung nicht vermischt werden. Die eigene Täterrolle muss auch das wiedervereinigte und euroopaintegrierte Deutschland nicht nur in Sonntagsreden, sondern durch Taten betonen.
Eine solche wäre beispielsweise eine Beteiligung an den Unterhaltungskosten der heute auf polnischem Boden gelegenen Gedenkstätten der deutschen Konzentrationslager. Gegenwärtig werden diese aus polnischen Steuergeldern finanziert. Mehr noch: Auch Berlin sollte sich neben der polnischen Regierung jeder fälschlichen Titulierung dieser in den Medien als "polnische KZs" entgegenstellen.
Symbolische Handlungen und politische Rituale haben in Polen eine hierzulande unterschätzte Bedeutung. Zu einer weiteren Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen würde daher eine Aufhebung bis heute geltender polenfeindlicher Vorschriften führen. Hierzu gehört zum Beispiel das 1940 von Herman Göring unterzeichnete Verbot sämtlicher polnischer Minderheitsorganisationen. Solche "Kleinigkeiten" bleiben im sich als multikulturell rühmenden Deutschland ungehört. In Polen jedoch kommt es zu berechtigter Entrüstung.
Gut und lobenswert ist, dass die deutsche und polnische Regierung seit einigen Jahren auch nach vorne blicken. Mehrere gemeinsame Stiftungen leisten im Schatten der Öffentlichkeit wertvolle Arbeit. So beispielsweise das für Jugendaustausch zuständige Deutsch-Polnische Jugendwerk. Noch besser wäre es, wenn von Berlin ein Anstoß zur Aufwertung der chronisch unterfinanzierten Institutionen ausginge.
Bleibt zu hoffen, dass die Politiker Deutschlands und Polens am Jahrestag des Kriegsausbruchs die gleiche Weisheit besitzen wie die katholischen Bischöfe beider Länder. In einer im August veröffentlichten gemeinsamen Erklärung fordern sie "Redlichkeit in der Auseinandersetzung mit den Schrecken der Vergangenheit" und "Verzicht auf Stereotypen, die wirkliches Verstehen behindern".
Deutschland hat gegenüber Polen die gleiche Schuld wie gegenüber Israel und den übrigen Staaten Ostmitteleuropas. Der 1. September ist der richtige Zeitpunkt, hieran mit lauter Stimme zu erinnern.