Ziemia Obiecana
Johannson ist endgültig angekommen in Lodz. Er hat die schönen Seiten der Stadt entdeckt und ist bei einem Spaziergang auf etwas gestoßen, dass ihn nicht nur glücklich, sondern auch wieder zum Freiwilligen macht.
Adaptation
Langsam komme ich an in Lodz. Neulich habe ich mein Rad westlich der Hauptstraße durch das Land der unabgesenkten Bordsteine gequält. Das Auge muss sich erst an die Stadt gewöhnen, doch mit etwas gutem Willen entdeckt man schöne Seiten. Zum Beispiel das Kunstmuseums, die Musikakademie und viele andere Häuser reicher Leute. Alle einzeln, keine Kohärenz... trotzdem schön. Klassizismus und viele Neo-Style: Neogotik, Neorenaissance, Neobarock, Art Nouveau. Und auch die Wohnblocks gefallen mir: wer Hinterhöfe liebt, wird Lodz zumindest mögen. So tief und verschachtelt hat man nur vor dem Krieg gebaut. Dazu viele Pubs und einfach Unmengen guter Cafés. Inzwischen habe ich drei Tandems und komme trotzdem kaum hinterher, jedes Lokal zu probieren.
Lernbeziehung
Zweite gute Nachricht: neben Tandems bringe ich ab Donnerstag einer kleinen Polin Deutsch bei. Die Mutter hat in Magdeburg ihren Doktor gemacht; ich hatte einmal aus ihrer Arbeit zitiert. Nun ist sie hier an der Uni angestellt, direkt unter dem Chef der Soziologie, und ich weiß wer jetzt gute Beziehungen hat.
Die Fabryka Sztuki
Das Beste: ich bin wieder Freiwilliger! Vor einer Woche bin ich beim Abgrasen der letzten Punkte im Stadtführer über etwas Wundervolles gestolpert. Hinter Kopischs Bleicherei (ältestes Industriegebäude) durchstöberte ich drei alte Fabrikhallen nach 'Scheiblers Kraftwerk', und was ich nicht alles fand. Lagerräume mit Fotos und Leinwänden bis an die Decke, Kisten mit Broschüren, Banner und Plakate an den Wänden, und schließlich, kein Zweifel, Ausstellungsräume. Ich fiel nicht auf, denn es liefen viele junge Leute umher.
Ich kehrte um zu einem Verwaltungsbau, an dessen Anfang ich eine Rezeption fand. Ich erfuhr, ich bin in der 'Kunstfabrik'. Drei alte Backsteinhallen der weitläufigen Fabrikkomplexe im Süden, in jeder Ecke etwas zu Skurriles zu entdecken, Dinge aus hundert Jahren in allen Kombinationen. Die meisten Mitarbeiter waren eindeutig zu jung für bezahlte Arbeit, was nur eins bedeuten konnte. So fragte ich: ich bin begeistert, kann ich hier als Freiwilliger anfangen. Fünf Minuten später war die Freiwilligenkoordinatorin bei mir, ich bekam ein Namensschild und das offizielle T-Shirt in die Hand gedrückt: kannst gleich loslegen.
Das Designfestival
Ich kam gerade richtig, zwei Tage später fand das II. Internationale Designfestival statt. Viel zu tun. Drei Hallen mit je drei Etagen werden mit Kunst und Arbeitsproben aus Firmen und Designschulen bestückt. Ich arbeitete mit der italienischen Gruppe „Puzzle4Peace“, die gesamte Erdetage mit Makropuzzles zu füllen. Das brachte mich auf die Idee, Francesca, unserer kleinen Italienerin davon zu erzählen. Die ist Künstler durch und durch und hatte als erstes ihr Wohnheimzimmer in eine Oase des guten Geschmacks verwandelt. Als sie am nächsten Tag um Mitternacht aus der Fabryka Sztuki zurück kam, hatte sie auch ein Namensschild und berichtete voll Begeisterung, sie hätte sich mit den Italienern über 'meine Ideen über Raum' ausgetauscht. Ich profaner Geist bin voll zufrieden mit Kistenschleppen.
Schön trotz Schönheit
Inzwischen hat das Festival begonnen und ich betätige mich als Steward – bitte nichts anfassen. Vergessen Vereine, vergessen AIESEC-Frust. Eine bunte Institution, junge Menschen, interessante Menschen, und ja, meist auch gut aussehende Menschen. Auch intellektuelle Eitelkeiten, sicher, und einige sehr androgyne Gestalten, jetzt wo die Designer selbst da sind. Die lichten merkwürdig entrückte Models vor den irrealen Hintergründen ab, die ich an alter Industriearchitektur so mag. Sie präsentieren superschicke Alltagsgegenstände in einer 'Play & Joke' genannten Ausstellung, auf der man nichts berühren darf. Letzte Nacht auf der Festivalsparty fand man sie im VIP Raum, schweigend, mit Vodka und Erdbeertörtchen und Blondinen die eindeutig zu jung für sie waren. Wir normalen Freiwilligen werden gar nicht wahrgenommen. Aber in der Fabrik selbst lerne ich interessante Leute kennen, bekomme spannende Aufgaben und ich spreche Polnisch: was will ich mehr?
Lodz, ich bleibe hier.