Wo zum Teufel?
Lettland besteht zum größten Teil aus Wald und Bäumen. Daher ist es keine Überraschung, dass Orienteering eine der beliebtesten Sportarten ist.
Es ist einer der letzten warmen Herbsttage in Ogre, Lettland. Die goldene Sonne streckt ihre doch noch angenehm warmen Strahlen durch die dichtgewachsenen Wälder und das Unterholz. Der Geruch von feuchtem Moos und dunkelgrünen Tannennadeln wabert zwischen den Stämmen umher. Reife Blaubeeren überziehen wie ein Teppich den Boden.
Eigentlich könnte alles so idyllisch sein.
Doch die fast märchenhafte Ruhe im Wald wird gestört.
Menschen rennen durch das Unterholz. Ausgestattet mit einer detailgenauen Karte, in der jeder noch so kleine Ameisenhaufen eingezeichnet ist, einem Chip und einem analogen Kompass versuchen sie so schnell wie möglich von einem Kontrollpunkt zum nächsten zu gelangen. Sie betreiben Orienteering, den Nationalsports Lettlands.
Als Pionier dieser Sportart gilt der Schwede Ernst Killander, der 1913 diese Art des Laufsports erfand, um für die damalige Jugend Leichtathletik interessanter zu gestalten. Rasch verbreitete sich Orienteering in Schweden und in dessen Nachbarländern aus und etablierte sich in vielen anderen Ländern, da für jede Altersgruppe Läufe gestaltet wurden und werden. In Deutschland ist der Orientierungslauf relativ unpopulär, da er oftmals mit paramilitärischen Übungen und dem dritten Reich in Verbindung gebracht wird.
Am 21. Mai 1961 wurde die Sportart erstmals international organisiert. Fünf Jahre später fand die erste Weltmeisterschaft statt. Medaillen holen sich größtenteils Teilnehmer aus Skandinavien.
Im Laufe der Zeit entwickelten sich verschiedenste Formen des Orienteerings. So gibt es Wettkämpfe, die über mehrere Tage im Gebirge, die sogar bei Nacht mit Taschen- und Stirnlampen oder in den engen Gassen der italienischen Inselstadt Venedig stattfinden.
Doch zurück nach Ogre. Der Wettkampf neigt sich nach drei Stunden seinem Ende zu. Die letzten Läufer der gut 400 Teilnehmer hetzen völlig verdreckt zum Zielpunkt zurück. Jede einzelne Sekunde zählt jetzt, um die beste Platzierung zu erreichen. Kurz bevor die Sonne hinterm Horizont verschwindet, hat es auch der letzte, doch noch sehr fitte 80-Jährige geschafft. Langsam kehrt wieder Ruhe im Hauswald von Ogre ein. Es ist stockfinster, als das letzte Auto zurück in die Stadt ist. Nun können sich auch Fuchs und Hase ungestört gute Nacht sagen.
Anmerkung des Autors:
Ich selbst durfte bei einem Trainingslauf in Ogre teilnehmen. Den ersten Punkt fand ich mit Hilfe noch problemlos. Danach wollte ich, so naiv ich bin, alleine weiterlaufen. Nach gut einer Stunde suchen nach dem nächsten Kontrollpunkt, gab ich genervt auf und stellte für mich selbst fest, dass Orienteering doch keine bessere Schnitzeljagd ist sondern ein hohes Maß an Konzentration, Abstraktion und Ausdauer erfordert.