Wie viel Europa ist in Polen?
Polen feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum zum EU-Beitritt. An der Wahlbeteiligung fürs Europaparlament lässt sich dafür jedenfalls keine Euphorie feststellen.
Der Mai war in Polen eigentlich ein absoluter Europamonat. Nach dem Nationalstolzwochenende am Anfang des Monats mit dem Dzien Konstytutcji (Tag der Konstitution) wurde am 9. Mai der Beitritt zur EU gewürdigt.
Ich hätte mir viele Feierlichkeiten dafür vorstellen können, doch sicher nicht diese Art an Promotionprogramm für die EU-Regionalfonds. Neben den üblichen Bonbons gab es sogar ein Bilderbuch über den „Euroman“, der kindgerecht und farbenreich Sinn und Verwendung aller Geldmittel erklärt. Polen profitiert wie alle späteren Beitrittsländer von den vollen Töpfen der Infrastrukturprogramme. Ganz transparent finden sich praktisch an jedem Laternenpfahl dazu Infotafeln über die Fördersumme. Welche Vorteile die Unionsmitgliedschaft hat, ist hier im Alltag also viel sichtbarer als in Deutschland, wo grade vor der Wahl viel Kritik auf die Ausgaben der EU erging.
Doch eine Motivation zur Wahl zu gehen, scheint es für die polnische Bevölkerung nicht gewesen zu sein. Die Wahlbeteiligung lag mit 22,7 % weit unter dem ebenfalls wenig glänzendem EU-Durchschnitt. In „meinem“ Wahlkreis Warmia i Mazury und Podlasie war sie sogar mit 17,9% noch geringer als in ganz Polen. Dabei hatte sogar die Lokalzeitung Gazeta Olsztynska noch vorher einen recht emotionalen Wahlaufruf gestartet.
In Polen entsprechen die 13 Wahlgebiete mit jeweiligen Kandidatenlisten nur annähernd den Woiwodschaften. Das Warschauer Einzugsgebiet hat auf wesentlich kleinerer Fläche entsprechend gleich viele Wahlberechtigte wie die beiden dünnbesiedelten nordöstlichen Woiwodschaften. Dass der Osten des Landes als arm und konservativ gilt, war mir bewusst. Doch dass hier noch ein Wettbewerb unter einander stattfindet, wusste ich nicht. Die besagte Gazeta Olsztynska schrieb jedenfalls wenig neutral, dass die Wahlberechtigten in Podlasie nach ihrem üblichen sonntäglichen Kirchgang zur Wahlurne weitergehen werden – woraus gleich eine Verbindung zu einem möglichen Wahlsieg der PiS hergestellt wurde. Im Wahlgebiet Nummer 3 führt dann auch ihr Kandidat Karol Karski mit 36,11%.
In ganz Polen liefern sich die regierende „Bürgerplattform“ PO Donald Tusks ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS. Nach den bisherigen Hochrechnungen werden beide Parteien jeweils neunzehn der 51 polnischen Parlamentsmitglieder entsenden können. Da auch der kleine Koalitionspartner Polskie Stronnictwo Ludowe vier Vertreter nach Brüssel schicken darf, stellt Polen nach Deutschland die zweitgrößte Gruppe an Abgeordneten in der Fraktion der Europäischen Volksparteien.
Das linke Wählerspektrum konnte von seinen Parteien kaum an die Urnen gelockt werden. Das junge Bündnis „Europa+ Twój Ruch“ des ehemaligen Tusk-Vertrauten Palikot zog noch bei der letzten Parlamentswahl triumphierend in den Sejm ein. Bei den jetzigen Europawahlen verfehlte es den Sprung über die polnische Fünf-Prozent-Hürde. Links der Mitte ist Polen also nur durch die Sozialdemokraten SLD mit schwachen 9,5% vertreten.
Überraschend erreicht die europafeindliche „Neue Rechte“ KNP vier Sitze. Der Parteivorsitzende Korwin-Mikke machte im Vorfeld frauenfeindlichen Parolen und beunruhigenden antisemitischen Thesen auf sich aufmerksam. Immerhin scheiterte eine weitere rechtsnationale Gruppierung, „Ruch Norodowy“ an der Fünf-Prozent-Hürde. Ihre großzügig plakatierte Wahlwerbung hatte mich doch sehr erschreckt. Sie zeigen den Warschauer Regenbogen wie er am 11. November von Nationalisten in Brand gesetzt wurde. Deutlicher lässt sich eine Absage gegenüber jeglicher Toleranz kaum ausdrücken.
Die Wahlergebnisse und –beteiligung in Deutschlands Nachbarland spiegeln das politische Desinteresse der polnischen Bevölkerung wieder. Eine Europawahl erreicht noch weniger Wähler als nationale Wahlen, weil den Abgeordneten im fernen Brüssel mit ihren hohen Diäten kaum Vertrauen entgegen gebracht wird.