Wer ist hier eigentlich wirklich geistig behindert?
Diese Reportage soll mehr einen nachdenklichen bzw. anprangernden Faktor haben. Der Artikel soll zum Nach- bzw. Umdenken anleiten. Diese Reportage spiegelt meine Gedanken zur aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftssituation wieder.
Ein Stück Kuchen, ein Glas kalte Cola, eine neue CD oder ein nettes Gespräch. Alles Dinge, die für uns selbstverständlich geworden sind. So selbstverständlich, dass wir verlernt haben, sie wert zu schätzen. Gerade wenn es sich um ein Geschenk handelt, scheinen wir den Wert der Geste gar nicht mehr wirklich wahrzunehmen. Oder das nette, tiefe und vertrauensvolle Gespräch mit einem Freund/einer Freundin. Wir vergessen völlig, dass die uns zuhöhrende Person, ihre Zeit für uns opfert. Außerdem dürfen wir diesen Menschen mit unseren Problemen belasten bzw. einen Teil davon auf ihnen ablasten.
Seit einiger Zeit beobachte ich den Zerfall der Wertschätzung. In so ziemlich allen Bereichen. Vor allem die kleinen Dinge, scheinen keinen Wert mehr für uns zu haben. Die Notwendigkeit sich irgendwelche Statussymbole anschaffen zu müssen, nimmt immer weiter zu. In dieser turbokapitalistischen Gesellschaft, scheint man nur von Wert zu sein, wenn man möglichst viel unnötigen Krams besitzt. Am Besten auch noch finanziert. „Sprich man kauft sich Zeug das man nicht braucht, von Geld das man nicht hat, um Leute zu beeindrucken, die man nicht leiden kann.” (Volker Pispers)
Innerhalb der heutigen Gesellschaft geht es nicht mehr darum, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Im Gegenteil. Sollte man es wagen auch nur im Ansatz zufrieden mit seiner jetztigen Situation zu sein, wird darauf in vielen Fällen mit Unverständnis, Neid und Missgunst geantwortet. Vielmehr ist es oberstes Ziel, den anderen immer übertreffen zu müssen. Das fängt bereits in der Schule an. Mit dem Beginn des 1. Schultages, geht es nicht etwa um Gemeinschaft, Respekt vor dem Anderen, Hilfsbereitschaft und dergleichen. Nein. Die ganze Schulzeit besteht aus einem einzigen Konkurrenzkampf der Schülerinnen und Schüler. Es dreht sich alles nur darum, besser zu sein als der Andere. Und wenn der beste Freund, die beste Freundin eine besser Note in der letzten Klausur erreichen konnte als man selbst. Tja. Dann kann es auch mal zu Spannungen kommen.
Aber mit Ende der Schulzeit kann man diese Zustände keineswegs hinter sich lassen. Danach geht es erst richtig los. Ein Leben lang wird uns durch Werbung, Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft eingetrichtet, so viel wie möglich zu konsumieren. Kaufen, kaufen, kaufen. Dein Keller steht schon brechend voll, du musst aber trotzdem weiter kaufen. Komm und noch eine neue Hose, noch ein neues Oberteil und neue Schuhe. Die Stange im Kleiderschrank biegt sich zwar schon durch. Aber da war halt dieses Teil dabei, dass man schon immer haben wollte!
Oder noch einen Konsole, den tollen Handyvertrag, wo man alle zwei Jahre ein neues Handy bekommt. Ob das wirklich notwendig ist. Diese Frage stellt sich in den meisten Fällen wohl eher weniger. Ein neues Auto wäre auch ganz schön. Das Alte tuts zwar auch noch oder eine Fahrkarte für die Öffis wäre nicht nur günstiger sondern auch besser für die Umwelt. Aber hey... Die Finanzierungsraten sind so günstig. Da muss man doch einfach kaufen!
„Was ich habe ist mir zu wenig. Ich brauche viel, ich brauche ganz viel. Hab nichts zu schenken. Wozu verzicht? Zwar bin ich reich. Doch reicht das nicht. Bescheidenheit? Alles was recht ist. Ich nehme alles, auch wenn es schlecht ist. Ich werde nie satt, ich werde satt. Es ist besser, wenn man mehr hat!” (Rammstein – Mehr)
Und wie wäre es mit einem Urlaub am anderen Ende der Welt? Zwei Wochen in Neuseeland. In zwei Wochen ein ganzes Land und eine ganze Kultur kennen lernen. Was für eine Leistung. Tonnenweise Co2 raus ballern, irgendwas von „Ich will die Welt sehen” oder „Völkerverständigung” labbern, sich zwei Wochen in der Sonne das Hirn braten lassen, um dann zurück in Deutschland die AfD zu wählen.
Die Mehrheit der Menschen, die in den kapitalistischen Ländern leben, sind heute mehr denn je davon überzeugt, dass nur grenzenloses Wirtschaftswachstum und der damit verbundene grenzenlose Konsum, ein erfülltes Leben ermöglichen. Jedes Wochenende kauft man sich irgendeinen unnötigen Scheißdreck, um dem Gefühl des Glücks etwas näher zu kommen. Komisch dass das Glücksgefühl, welches man beim Kauf noch so sehr verspürt hatte, auch genau so schnell wieder verfliegt.
Das Thema „Glück” und „Glücklich sein” ist in den letzten Jahren auch immer mehr zum Kassenschlager geworden. Überall gibt es Bücher zum Thema „Glück”. Und überall steht mehr oder weniger das Gleiche drin. Wir sollen weniger konsumieren. Und was machen wir? Wir kaufen uns die Fortsetzung.
Angesichts schwindender Ressourcen, wachsender Armut, tonnenweise Plastikmüll in den Weltmeeren usw., sollte doch endlich mal ein Prozess des Umdenkens in Richtung Wertschätzung und Nachhaltigkeit stattfinden. Sicherlich tut es das auch in Teilen. Aber bei Weitem nicht so sehr, wie es notwendig wäre.
Das ist allerdings auch nicht besonders verwunderlich. Unser Wirtschaftssystem, der Kapitialismus und diejenigen, die durch dieses System unfassbaren Reichtum anhäufen, kann unter anderem nur dann funktionieren, wenn die Menschen so viel wie möglich konsumieren. Ob das wirklich sinnvoll oder gar gerecht für alle Menschen auf der Erde ist, das spielt dabei erstmal eine untergeordnete Rolle. Das muss es auch. „Denn wenn die Menschen weltweit Vernunft annehmen würden und nur noch die Sachen kaufen, die sie auch wirklich benötigen. Dann ist der Kapitalismus am Ende.” (Volker Pispers)
Und damit auch der unfassbare Reichtum einiger weniger.
Und so dreht sich das Rädchen unaufhaltsam weiter. Auf Kosten unseres Planeten und auf Kosten von Milliarden von Menschen, die in unvorstellbarer Armut leben und unter unmenschlichen Bedinungen unsere Jeans und iPhones produzieren oder die noch kaum vorhandenen Rohstoffe abbauen.
Doch ticken wirklich alle Menschen so?
Natürlich nicht. Viele Menschen, unter anderem auch ich selbst, wollen diese Zustände nicht mehr länger hinnehmen. Nur kann man innerhalb dieses Systems keine nachhaltige Lösung finden, die gleichzeitig gerecht für alle Menschen auf der Welt ist. „Und wenn dieses System keine Lösungen zulässt, dann sollten wir vielleicht das gesamte System ändern.” (Greta Thunberg)
Man muss die Menschen immer wieder daran erinnern. Dieses System, die Wirtschaft, Geld, Zins- und Zinseszins. Das sind alles Erfindungen von Menschen, die nur deshalb einen Wert besitzen, weil wir ihnen diesen geben.
Doch um wirklich einen großen „System change” hinlegen zu können, braucht es ein Umdenken. Es braucht Vorbilder. Menschen die uns zeigen, was tatsächlich einen Wert besitzt. Diese Menschen gibt es. Meiner Meinung nach sind es die Menschen, die wir als „geistig behindert” bezeichnen.
Klingt erstmal etwas verwirrend. Wieso sollten uns Menschen mit Behinderungen ein nachhaltiges und gerechtes Verhalten lehren können? Wie komme ich darauf?
Nun, in Deutschland habe ich im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres in einem Behindertenheim gearbeitet. Hier in Ungarn arbeite ich ebenfalls in einer Behinderteneinrichtung. Und während meiner Arbeit mit diesen Menschen, konnte ich Folgendes beobachten...
Diese Menschen sind in der Lage, sich über ganz kleine Dinge zu freuen. Beispielsweise ein Stück Geburtstagskuchen. Wie gut der geschmeckt hat, darüber wird noch tagelang geredet. Oder wenn sie zum Beispiel in den Pausen die Möglichkeit haben, etwas zu malen. Sie sind so mit Herz dabei, dass ich jedes Mal beeindruckt bin. Noch ein anderes Beispiel. In dem Behindertenheim in Deutschland, gab es einen Kollegen mit Down-Syndrom. 100% schwerbehindert. Seine Lieblingsmusik war Rock und Metal. Zufälligerweise hatten er und ich also den gleichen Musikgeschmack. Eines Tages habe ich ihm eine meiner alten CDs geschenkt. Die Freude war riesengroß. Gefühlt im ganzen Haus hat er diese CD herum gezeigt. Wochen später erzählte er mir noch, dass er immer noch meine CD hören würde. Bis heute bekomme ich Whatsapp Nachrichten von ihm. Mein FSJ ist mittlerweile zwei Jahre her.
Die Fähigkeit sich über so einen langen Zeitraum, über vermeindliche Kleinigkeiten wie ein Stück Kuchen oder eine alte CD zu erfreuen, hat mich zutiefst beeindruckt.
Wie oft ich über diese Menschen und ihr unglaublich hohes Maß an Wertschätzung nachdenke.
Und dann beobachte ich uns. Uns. Die angeblich geistig gesunden Menschen, die einen hemmungslosen und zerstörischen Konsum ausleben, der unsere eigene Existenz auf der Erde bedroht. Wir angeblich geistig gesunden Menschen, die ständig miteinander konkurrieren anstatt zusammen zu arbeiten. Wir angeblich geistig gesunden Menschen, denen es am Arsch vorbei geht, ob ein Kind am anderen Ende der Welt eine Kugel in den Kopf gejagt bekommt, Hauptsache unser Arbeitsplatz bei Rheinmetall ist sicher. Wir angeblich geistig gesunden Menschen, die soviel Hass und Misstrauen untereinander sähen, dass wir uns gegenseitig foltern und bekriegen. Schon seit Tausenden von Jahren. Wir angeblich geistig gesunden Menschen, die anstatt unserer Gemeinsamkeiten, meistens nur die Gegensätze sehen.
Bei diesem Verhalten stellt sich mir abschließend eine Frage...
Wer ist hier eigentlich wirklich geistig behindert?
Quellen:
https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2018-01-22-82-prozent-weltweiten-vermoegenswachstums-geht-reichste-prozent?fbclid=IwAR3mf0y4TA95HdWfODSnp6SJdDK8iwA-k4EhW-_FrbLgxkaJZVPpdUzQ_5g
https://www.nachrichten.at/kultur/Ein-Gluecksbuch-das-funktioniert-waere-das-allerletzte-auf-dem-Markt;art16,2723146?fbclid=IwAR3vZ7gsSJ941PzB0jThoLPMJWuicG299V_PGBDVtBDltAZY8ih0K_khb6E
https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-11/ise-bosch-reichtum-spd-ungleichheit?fbclid=IwAR07XOvCpIAarJ1fbI_vmLAJjYUDk969wsv9gzj9hefwNVZ2EL5G9RGcP3k
https://www.spiegel.de/plus/kapitalismuskritik-arme-arbeitnehmer-reiche-aktionaere-a-e0dca544-d663-446e-a0bb-2c4960f935a6?fbclid=IwAR1eLXGCw5MANBT_RHvDAn_WMybkJwPrhqk-Xj_cZieucSVJ8Nhhy4yy1cI
https://www.polarstern.ch/wachsender-konsum-und-schwindende-ressourcen/?fbclid=IwAR2vFwE2DFus2vGeBrQiWOtWUjtTUQFXrP40cXe33HOpKU44ERmyIo4wT2Y
https://www.jetzt.de/umwelt/heute-ist-erdueberlastungstag?fbclid=IwAR3sS8W9Iy1Rn7cAgmZSqMpO8XKQWzlc21vy2f1SHLrMcm_S0h71sNSx0-k
https://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/plastik/unsere-ozeane-versinken-im-plastikmuell/?fbclid=IwAR2j1c4IMX4FzkQdnd3vV-Z0zT2qYHETZ8-W6DZTvElXtF76BxBacWhX7CQ
https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/meere/muellkippe-meer/muellkippemeer.html?fbclid=IwAR2u3wfl9vWn1dArbvsniMCM6wQ4u3HShf4lfnWPmfcCTOS1Pe_KOGy3kTw